Interview mit Jens Bullerjahn Interview mit Jens Bullerjahn: «Das ist dümmlich»
Halle (Saale)/MZ. - Fast alle Städte, Kreise und Gemeinden im Land müssen drastisch sparen. Ab kommendem Jahr werden die Zuschüsse vom Land neu geregelt. Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) erarbeitet derzeit einen neuen kommunalen Finanzausgleich. Über neue Hilfe, alte Schulden und die Pflichten der Kommunen sprachen mit Bullerjahn die MZ-Redakteure Hartmut Augustin und Kai Gauselmann.
Herr Bullerjahn, werden Sie den Kommunen jetzt alle Zuschüsse streichen?
Bullerjahn: Selbst wenn ich je kurzzeitig so eine Idee gehabt hätte: Damit wäre selbst ich nicht in den Landtag gegangen.
Die Ruhrgebietsbürgermeister haben behauptet, die Ost-Städte wüssten nicht wohin mit dem Geld.
Bullerjahn: Ich habe die Nase langsam voll, dass immer die Dresdener Frauenkirche mit dem Gelsenkirchener Bahnhofsvorplatz verglichen wird. Aber ich bleibe gelassen: Der Solidarpakt ist vertraglich geregelt und Verträge werden in der Politik eingehalten. So eine platte Debatte zu führen wie die Bürgermeister aus dem Ruhrgebiet, hilft niemandem. Das ist dümmlich und verstärkt nur die Vorurteile an den Stammtischen. Es ist aber auch klar: Künftige Förderung wird nach Bedarf ausgerichtet, nicht nach Ost und West.
In Wahrheit ächzen die Kommunen im Land unter ihren Schulden, zu hohen laufenden Kosten; sie müssen drastisch sparen. Wie werden Sie da mit dem neuen Finanzausgleich helfen?
Bullerjahn: Wir haben unter anderem durch den Solidarpakt über 20 Prozent mehr Einnahmen in den Kommunen als im Westen. Es wird aber immer weniger, das ist der Anpassungsdruck. Wir wollen weiter mit Teilentschuldungen helfen. Der Finanzausgleich wird insgesamt auf alle Fälle weniger, wir werden aber über die Verteilung zwischen den Kommunen reden müssen.
Wird das Land die Schulden der Kreise, Städte und Gemeinden übernehmen?
Bullerjahn: Wir helfen den Kommunen bei den aufgelaufenen Altfehlbeträgen. Und der Gutachter schlägt zusätzlich zur Teilentschuldung eine Beteiligung des Landes bei diesen Fehlbeträgen vor. Wir würden den Kommunen dann aufzeigen, wie innerhalb von fünf Jahren ihre Fehlbeträge abgebaut sein könnten. Ziel ist, dass bis 2019 ein Teil der Kommunen fast gänzlich entschuldet sein wird, und die anderen nur noch eine Verschuldung haben wie der Durchschnitt im Westen.
Wieviel Geld werden Sie dafür in die Hand nehmen?
Bullerjahn: Die genaue Höhe der Fehlbeträge ist noch zu ermitteln. Wir gehen derzeit von 500 oder 600 Millionen Euro aus. Wenn 2019 die Fehlbeträge weg oder reduziert sind, die laufenden Kosten gesenkt sind und die Infrastruktur saniert ist, dann sollten die Kommunen mit den dann absehbaren Einnahmen auskommen können. Die Hilfen werden aber nicht umsonst sein. Zur Entschuldung gehört auch ein Konsolidierungskonzept, das bei Nichteinhaltung Sanktionen nach sich zieht. Die Kommunen müssen, wie auch das Land, ihre Hausaufgaben machen.
Was erwarten Sie konkret?
Bullerjahn: Dazu gehört der weitere Abbau von Personal und Kostensenkungen in vielen Bereichen. In manchen Kommunen wird es schon reichen, wenn man nach Auslaufen der Altersteilzeit diese Stellen nicht wieder besetzt. Und bei den Hebesätzen wird das Gutachten ergeben, dass unsere Kommunen viel geringere Hebesätze als zum Beispiel die in Sachsen haben. Darüber müssen wir reden. Der Gutachter schlägt auch vor, einen Demografiefaktor einzuführen: Diejenigen ein Stück zu entlasten, die stark an Bevölkerung verlieren. Über all das müssen wir reden. Als Regierung legen wir am 3. Mai auf einer Konferenz in Magdeburg erste konkrete Vorschläge für den neuen Kommunalen Finanzausgleich vor.
Wer wird bei der Neuverteilung Gewinner sein?
Bullerjahn: Die Großstädte werden nach den bisherigen Gutachtervorschlägen gegenüber 2012 deutlich besser dastehen. Sie werden aber vor allem wesentlich mehr Planungssicherheit haben. Es kann aber nicht immer nur ums Geld vom Land gehen. Halle zum Beispiel muss sich auch politisch und strategisch überlegen, wo die Stadt 2020 in ihrer Entwicklung stehen will.
Erwarten Sie neue Konzepte?
Bullerjahn: Das Gesicht der Stadt wird sich weiter nachhaltig verändern. Wenn ich überlege, was wir hier investiert haben und noch werden. Aktuell, allein für 50 Millionen Euro der Bau des Geisteswissenschaftlichen Zentrums und mehr noch für die Neugestaltung des Verkehrsknotens Steintor. Der Ausbau des Technologie- und Gründerzentrums geht weiter, wir werden ein neues Finanzamt in Halle bauen. Parallel dazu wird die Chemieindustrie verstärkt Fachkräfte suchen und in Zukunft höhere Löhne zahlen. Hier entsteht einiges, Halle hat viel zu bieten. Da muss man nicht immer zuerst klagen, was noch nicht gemacht wird. Klar - der Finanzausgleich ist die finanzielle Grundlage. Aber wir als Land können Chancen zur Entwicklung nur eröffnen, nutzen müssen sie die Kommunen selbst.
Also, die Botschaft ist: Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt gehen rosigen Zweiten entgegen.
Bullerjahn: Bestimmt nicht. Aber zwischen Untergang und rosigen Zeiten gibt es noch einen Zwischenweg. Den wollen wir gemeinsam gehen.