Integration von Flüchtlingskindern in der Schule Integration von Flüchtlingskindern in der Schule : Gebetet wird daheim

Röblingen - Die erste große Hürde, der Sprung in die 5. Klasse, ist genommen. Und weil das so schön ist, aber schon hinter ihnen liegt, wollen Schamir und Amir Hussein aus Stedten (Landkreis Mansfeld-Südharz) nicht mehr darüber reden. Jetzt sind die Elfjährigen nur noch gespannt, was das neue Schuljahr bringt. Die Vorfreude steht ihnen unübersehbar ins Gesicht geschrieben. Die beiden afghanischen Jungen lernen ab heute in der Sekundarschule. Damit geht für sie, ihre Eltern und die bisherigen Lehrer von der Grundschule ein Traum in Erfüllung.
Wie bei Olympia - kurz vor dem Schulstart
Bevor die Klingel zum Unterricht ruft, werden auch in Röblingen die Lehrbücher noch einmal abgezählt, die Stapel auf die Klassen verteilt. Letzte Lücken in Spielmaterialien müssen noch ergänzt werden. Und auch das: Der passende Einstieg in die erste Stunde ist bis zuletzt ein Thema. Heike Brinkmann-Laux, die Grundschullehrerin von Schamir und Amir Hussein, sagt: „Wie bei Olympia kurz vor dem Start.“
Eigentlich ist den Röblingern ein kleines Wunder gelungen. Als vor Jahresfrist der Flüchtlingsstrom nach Deutschland einsetzte, waren auch sie nicht vorbereitet. Und dennoch nahmen Lehrer, Eltern und Schüler die Herausforderung an. „Mit viel gutem Willen von allen Seiten“, wie die Lehrerin sagt.
Im letzten Schuljahr: Der Bürgerkrieg
In Erinnerung ist den sechs Lehrerinnen der Moment geblieben, als die ersten Flüchtlingskinder eine kleine Zuckertüte als Willkommensgruß entgegennahmen. Damals brachten Scharam und Amir Hussein gerade einmal ein schüchternes „Guten Tag“ über ihre Lippen. Kein Wunder, hinter den Kindern lagen Wochen einer überstürzten Flucht vor dem Bürgerkrieg in ihrer alten Heimat.
Heike Brinkmann-Laux: „Machen wir das Beste daraus, das ist unsere Devise von Anfang an.“ Auch wenn oder gerade weil die Bedingungen für Integration nicht optimal waren, noch immer nicht sind. Es fehlten und fehlen eigentlich Lehrer, um letztlich den Erfolg garantieren zu können. Jetzt zu Schuljahresbeginn treibt einen Teil der deutschen Eltern diese Sorge erneut um. Sechs Lehrer, sieben Klassen, so lautet die Rechnung, die sie dem Land aufmachen. Es wird sogar demonstriert, Kommunalpolitiker schlagen Alarm. Das Landesschulamt signalisiert unterdessen, an einer Lösung zu arbeiten. Unterstützung verspricht bis jetzt aber nur eine neue Lehrkraft für den gezielten Sprachunterricht mit ausländischen Schülern.
Keine etra Klasse für Flüchtlingskinder
Eine extra Klasse für Flüchtlingskinder sei angesichts der Personalnot illusorisch. Aber es geht auch so, wenn laut Brinkmann-Laux „alle an einem Strang ziehen“. Gemischte Klassen, so ihre Erfahrung, bringen die Integration sogar eher voran. „Abschottung ist so unmöglich.“ Gepflogenheiten und Sprache würden leichter angenommen. Nur die Verteilung der Plätze im Klassenraum erweise sich mitunter als Problem. Dass ein Junge seinen Platz neben einem Mädchen hat, sei in anderen Ländern einfach nicht üblich. „Doch Kinder, hiesige und zugezogene, sind so herrlich aufgeschlossen“, sagt die Lehrerin. Zunächst befürchtete Konflikte, die noch im vergangenen Jahr eine Einwohnerversammlung beschäftigten, sind ausgeblieben. „ Nein, niemand rollt in der Schule den Gebetsteppich aus.“ Der bleibe zu Hause. Auch während der Fastenzeit waren nach ihrer Erfahrung immer alle fit. „Denn die im Koran vorgeschriebenen Einschränkungen gelten für Kinder gar nicht.“ Nicht ganz einfach ist ihr zufolge hingegen, mit der neuen Namensvielfalt zurecht zu kommen. Lorenz, Philipp und Lisa, das sei man gewohnt. Aber jetzt dürfen auch noch Amina, Mina und Fehaidon nicht vergessen werden. Die Kunst besteht laut Brinkmann-Laux jedoch in der Wissensvermittlung. Natürlich werden die deutschen Kinder wie gewohnt unterrichtet. Aber die ausländischen Schüler erhalten gleichzeitig auf sie zugeschnittene Aufgaben. Unterm Strich bedeutet das Mehrarbeit, schon bei der Vorbereitung auf die Stunden.
Kosten von den fremden Speisen
„Die größte Hilfe sind die Kinder selbst.“ Wer wissen wolle, was Motivation ausmache, könne es hier erleben. So konnten die Neuankömmlinge schon nach kurzer Zeit das deutsche Alphabet aufsagen, Worte und Bilder zuordnen. „Damit werden sie natürlich selbstbewusster.“ Das Schulessen meiden sie zum Beispiel. Bei Mutter schmecke es anders. Vom mitgebrachten Frühstück, Fladen und Gemüse, lassen sie andere gerne kosten.
Anteil am Klima haben Eltern der Flüchtlingskinder und Helfer in den Unterkünften. Brinkmann-Laux: „So lernen die Kinder praktisch den ganzen Tag.“ Mittlerweile können Schüler wie Scharam und Amir Hussein dem Unterricht in vielen Fächern, darunter Musik, Kunst und Deutsch, wie Einheimische folgen. „Ja, das sind keine Sitzenbleiber.“ Sie schaffen später den Realschulabschluss, ist die Lehrerin sicher. (mz)
