Innovative Entwürfe von Designern Innovative Entwürfe von Designern: Mode für Menschen mit Handicap

Halle (Saale) - Auf den ersten Blick sind die Perlen auf dem Abendkleid einfach nur hübsch anzusehen. Ein schönes Detail. Wer jedoch genauer hinschaut, bemerkt die besondere Anordnung. Was hier kunstvoll auf den Stoff gebracht wurde, ist viel mehr als eine Verzierung. Eine Botschaft in Blindenschrift. Die Berliner Designerin Christine Wolf, die das Kleid und eine ganze so mit Perlen versehene Kollektion entwarf, möchte damit blinden und sehbehinderten Frauen ermöglichen, sich ohne Hilfe zu kleiden. „Die Perlen vermitteln über einen Code Kombinationsmöglichkeiten der einzelnen Kollektionsteile und Informationen zu Material und Größe sowie Pflegehinweise“, erklärt die 35-Jährige. Denn: „Auch wenn blinde Frauen nicht im Spiegel sehen können, ob etwa ihr Outfit zusammenpasst, möchten sie natürlich gut aussehen.“ Vor der Arbeit an der Kollektion sprach die Designerin mit Betroffenen. „Eine erzählte mir, dass sie ihre Sachen oft kalt wäscht, damit sie sich nicht - von ihr unbemerkt - verfärben.“
Perlenprojekt entstand im Rahmen der Moskauer Fashion Week
Das Perlenprojekt - entstanden für eine Modenschau mit Kleidung für Menschen mit Handicap im Rahmen der Moskauer Fashion Week voriges Jahr - ist ein Beispiel für schöne Mode, die an die Bedürfnisse von Betroffenen angepasst ist. Kleidung, die nicht nur funktional ist, sondern individuell. Davon gibt es inzwischen einige Beispiele - für Menschen mit ganz unterschiedlichen Handicaps. Wobei sie dennoch längst nicht die Auswahl haben wie alle anderen.
Und: „Die sogenannte adaptierte Mode ist eine Nische. Meist sind es Kleinhersteller, die sich darauf spezialisieren“, sagt Kathleen Wachowski. Sie ist Vorsitzende des Netzwerks Smart-Fit-In, das Forscher, Designer und Hersteller miteinander sowie mit den Nutzern - seien es Menschen mit Behinderung oder etwa Ältere mit Bewegungseinschränkungen - zusammenbringen will. „Große Unternehmen sind für das Thema bisher nicht offen. Also sind es oft Betroffene, Angehörige selbst oder ihnen Nahestehende, die diese Mode machen - Einzelkämpfer“, berichtet sie. Dabei habe dieser Bereich ein enormes Zukunftspotential. „Der Bedarf an angepasster Kleidung wird steigen - es geht aber auch darum, dass sich Menschen mit Handicap diese leisten können.“ Smart-Fit-In will deshalb die Rahmenbedingungen für die Herstellung dieser Mode verbessern und besondere Projekte auf den Weg bringen. Eine Idee: Körperscanner könnten in der Zukunft genutzt werden, um Kunden im Laden zu vermessen - „mit den Daten würde das gewählte Kleidungsstück vom Anbieter angepasst und geliefert werden“.
Juliane Huhn entwarf Kollektion „Clever Dressed"
Mode, die für Menschen mit Handicap gemacht ist, dieses aber nicht gleich offenbart, hatte auch Juliane Huhn im Sinn, als sie ihre Kollektion „Clever Dressed - Kleidung für Menschen mit eingeschränkten motorischen Fähigkeiten“ entwarf. „Ich habe überlegt, was ich selbst anziehen würde, wenn ich in der Situation wäre. Die Sachen sollten wie normale Kleidungsstücke wirken - und nicht den Krankenhaus-Stil haben wie vieles, das in dem Bereich angeboten wird“, sagt die Studentin der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Halle, deren Kollektion bei einem Studienprojekt entstand.
Juliane Huhn experimentierte mit Secondhand-Kleidung und übertrug die Erkenntnisse auf eigene Entwürfe: Sie nutzte nicht nur besonders elastische Materialien, sondern versah die Teile für Frauen und Männer - „alles schlichte Basics“ - auch mit versteckten Zusatzverschlüssen, die den Einstieg in die Kleidung bei eingeschränkter Beweglichkeit erleichtern. Eine Jacke etwa besteht aus zwei Teilen, „die mit einem Gummiband verbunden sind. Mit einem Reißverschluss wird sie hinten geschlossen“, erklärt die 28-Jährige, die sich dem Thema weiter widmen möchte. Bislang liegen die Stücke als Prototypen vor.
So ist es übrigens auch mit der perlenverzierten Kollektion von Christine Wolf. „Ich teste gerade, wie die Blindenschrift effizienter aufgebracht werden kann - das Aufsticken der Perlen ist sehr aufwendig, was die Kosten in die Höhe treibt“, berichtet die Designerin, die nicht nur Mode für Menschen mit Handicap entwirft.
Rollitex kleidet Rollstuhlfahrer ein
Bei Murat Kurt verhält es sich etwas anders. Seine Berliner Firma Rollitex macht ausschließlich Kleidung für Rollstuhlfahrer - von lässig bis adrett. Seit einem Badeunfall sitzt der heute 46-Jährige im Rollstuhl, kam so zur Modebranche. „Ich habe mich früher immer gern schick angezogen. Im Rollstuhl aber trug ich dann Jogginghose - weil es das Bequemste war“, erzählt Murat Kurt. „So geht es vielen. Doch irgendwann wollte ich daran etwas ändern.“
Längst ist Kurt Experte, was Mode für Rollstuhlfahrer angeht. „Bei den Hosen ist es etwa wichtig, dass die Beine länger sind, weil sie in sitzender Position hochrutschen. Dagegen wird der Bund hinten höher geschnitten. Und wir achten darauf, wo die Nähte verlaufen, damit keine Druckstellen entstehen.“ Es ist aber eben nicht nur die Funktionalität, die ihm wichtig ist. „Unsere Sachen könnten von der Optik auch in einer gewöhnlichen Boutique angeboten werden“, ist er überzeugt. Und berichtet amüsiert, dass bei ihnen im Laden schon Leute Kleidung kaufen wollten, „die nicht im Rollstuhl sitzen“. (mz)

