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Heinrich-Heine-Grundschule Reinsdorf Heinrich-Heine-Grundschule Reinsdorf: Den «Schatz der Stille» entdeckt

Von Manuela Bank 01.07.2003, 17:15

Reinsdorf/MZ. - Deutsch in der 1. Klasse in der Heinrich-Heine-Grundschule Reinsdorf bei Wittenberg: eine ganz normale Schulstunde. Lehrerin Ute Schwarz übt mit ihren Schülern den unbestimmten Artikel. Was wird vor das Substantiv "Haus" gesetzt, was vor "Katze"? An der Tafel stehen aber nicht nur die Beispiele, sondern auch das Wochenmotto: "Ruhig und still geht's, wie ich will."

Dem Motto folgt die Tat: Immer wieder nimmt Ute Schwarz mit ihren Schülern bewusste Auszeiten vom Lernstoff. Ein paar Sekunden sitzen die Kinder bereitwillig ganz still und sagen keinen Mucks. "Was hast du gehört?", fragt Schwarz danach. Ein Schüler hört das Ticken seiner Armbanduhr, ein anderer stellt fest: "Die über uns haben getrapst." Eine ganz normale Schulstunde? Ja. Aber eine mit viel Ruhe und mit besonderen Gesprächsanlässen.

In der Grundschule Reinsdorf hat die Vermeidung von Störfaktoren, wie Unruhe und Lärm, einen festen Stellenwert. Dazu gehört auch, dass "den Schülern der Wert der Stille bewusst gemacht wird", sagt Schwarz. Das ganze Schuljahr über haben sich die zehn Lehrer und 130 Kinder der Grundschule intensiv mit dem Thema beschäftigt, denn, so die einhellige Meinung: "Lärm macht das Lernen schwer". Und nicht nur im Unterricht stört er, auch zur Pausenzeit in den Fluren und auf dem Schulhof. Denn die Grundschule liegt zwar idyllisch an einem Wald, teilt sich das Haus aber mit der örtlichen Sekundarschule. Die unterschiedlichen Pausenzeiten der Schulen sorgen stets für eine Menge Krach.

Der Grund für das Engagement in Sachen Lärm-Vermeidung liegt in Reinsdorf nahe. Seit 1995 ist die Grundschule eine Integrationsschule, hier lernen körperbehinderte,s> lernbehinderte und nicht behinderte Kinder zusammen. Auch zwei hörbehinderte Schüler zählen dazu. In der Grundschule lernen insgesamt sechs integrierte Kinder, in der Sekundarschule wird das Konzept im Haus erfolgreich fortgesetzt. Von 280 Schülern sind dort 21 behindert. "Wir sind eine Schule ohne Ausgrenzung", so Grundschulleiterin Gabriele Köhler. Das Miteinander schaffe eine selbstverständliche Rücksichtnahme unter den Schülern, ohne dass die Lehrer Druck ausübten.

Das intensive Anti-Lärm-Konzept hat einiges an der Schule bewegt: In Projekten wurden Geräusche untersucht, der "Schatz der Stille" mit entspannenden Übungen entdeckt und Lärmmessungen mit einem Akustiker durchgeführt. Das Ergebnis: 95 Dezibel während der Pausen im Schulflur und 98 Dezibel im Klassenraum beim Frühstück. "Also zu laut", sagt Köhler. Ein Lärmdienst von Schülern für Schüler wurde eingerichtet, der zum Beispiel das Pausenverhalten beobachtet. Und neue Auslegware und Gardinen wurden angeschafft, um die Akustik zumindest in den Räumen zu verbessern, in denen sinnesbehinderte Kinder lernen.

Das Integrationskonzept und die Anti-Lärm-Initiative haben Erfolg, befindet die Grundschulleiterin: "Unsere hörgeschädigten Kinder liegen bei den Hörtests über dem Durchschnitt." Das sei auch an der Sekundarschule so, bestätigt Schulleiterin Birgit Klanert. Und auch die Eltern sind mit der Schule zufrieden. Astrid Pelz zum Beispiel. Ihr Sohn Martin, der Spastiker ist, geht in die 4. Klasse: "Im Haus gibt es unter Schülern keine Schimpfworte." Martin, so sagt sie, könne durch das normale Miteinander viel mehr als vergleichbare Kinder mit der Erkrankung, die nicht integrativ beschult würden: "Er hat nicht nur eine bessere Feinmotorik, sondern auch viel mehr Selbstvertrauen." Eine Sorge hat Astrid Pelz jedoch: Sie befürchtet, dass der Schulstandort Reinsdorf in Gefahr sein könnte: "Das wäre ein Schock". Sie müsste Martin dann bis nach Dessau fahren. Dort sei zumindest eine Sonderschule für Körperbehinderte: "Das ist aber keine mit Integrationskonzept."