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Harzer Schmalspurbahnen Harzer Schmalspurbahnen: Mit 191 Tonnen Stahl durch den Harz

Von Alexander Schierholz 03.08.2013, 12:05
Stimmt der Klang? Auch die Bremsprobe mit Hilfe eines Hammers gehört zu den Aufgaben eines Zugführers.
Stimmt der Klang? Auch die Bremsprobe mit Hilfe eines Hammers gehört zu den Aufgaben eines Zugführers. Andreas Stedtler Lizenz

Nordhausen/MZ - Was so eine Uniform-Weste doch ausmacht! Gerade will ich mir etwas zu essen holen, mittags am Bahnhof Drei Annen Hohne der Harzer Schmalspurbahnen (HSB), als mich ein Ehepaar anspricht: „Fährt dieser Zug zum Brocken?“ - „Fährt er“, bestätige ich freundlich, „in 20 Minuten“. Meine erste eigene Auskunft - und sie stimmt auch noch! „So schnell kann es gehen“, sagt Ronald Wenzel und grinst.

Wenzel, 56, Frohnatur, Eisenbahner durch und durch („seit 40 Jahren“), ist heute mein Chef. Der Nordhäuser ist Zugführer bei den HSB, so wie ich. Jedenfalls für einen Tag. Schnell lerne ich, dass es dabei um weit mehr geht als um die Kontrolle und den Verkauf von Fahrkarten. Der Zugführer ist der Chef des Zuges, für alles verantwortlich. Auch wenn sich noch gar nichts bewegt.

Bahnhof Nordhausen Nord, 9.45 Uhr. Eine halbe Stunde noch, dann dampft Zug 8920 los in Richtung Brocken. 191 Tonnen Stahl, die an jedem Unterwegsbahnhof sicher zum Stehen gebracht werden wollen. Deshalb ist jetzt Zeit für die Bremsprobe. Wenzel reicht mir einen langstieligen Hammer. Dann beginnt folgende Prozedur: zweimal pro Waggon auf die Bremsklötze schlagen, dann Bremse lösen - das übernimmt der Lokführer -, dann alles noch einmal von vorne. Beim ersten Durchgang muss es dumpf klingen, beim zweiten hell. Nur dann ist alles in Ordnung. „Die Bremsprobe ist eine Klangprobe“, sagt Wenzel. In unserem Fall stimmt alles, also darf ich jetzt pfeifen und die Kelle heben. „Lauter“, frotzelt Wenzel, „man hört ja gar nichts!“

Pappkarten aus Kindertagen

Im Dienstabteil, untergebracht im letzten Waggon, drückt er mir eine Fahrkartenzange in die Hand. „Dann wollen wir mal!“ Tickets kontrollieren, kann ja nicht so schwer sein, denke ich. Ich werde es bald besser wissen. „Guten Morgen, die Fahrkarten bitte!“ In Variationen werde ich diesen Satz heute noch unzählige Male wiederholen. Bei den HSB gibt es sie noch, die kleinen Pappkarten aus Kindertagen. Für die Hinfahrt wird links unten gelocht, für die Rückfahrt rechts unten.

Soweit ganz einfach. Wären da nicht die vielen Sondertickets - die Harzcard, die Mehrtageskarten, das Gruppenticket, einmal sogar ein Geschenkgutschein! Ronald Wenzel erklärt geduldig, was wo zu knipsen ist. Ich versuche mir alles zu merken. Bis der nächste Fahrgast wieder ein neues Ticket zückt, das ich noch nicht kenne. Und der übernächste Passagier möchte erst noch einen Fahrschein kaufen. Zum Glück haben sie auch bei den Harzbahnen mittlerweile kleine mobile Verkaufsgeräte, welche die Tickets drucken. „Früher mussten wir die Fahrpreise immer selbst ausrechnen“, erzählt Wenzel.

Nach einer knappen halben Stunde ist Ilfeld erreicht, der erste größere Zwischenhalt. Wir warten auf einen Gegenzug, eine Zugkreuzung, wie Eisenbahner sagen. Wie an jedem Unterwegsbahnhof heißt es für uns auch hier: raus auf den Bahnsteig, schauen, ob Fahrgäste ein- und aussteigen. Ist der Bahnsteig wieder leer, pfeifen und dem Lokführer per Funk oder Zuruf den Abfahrtsbefehl erteilen. „Dabei zur Lok schauen und möglichst auch vor die Lok, ob die Gleise frei sind“, schärft Wenzel mir ein. Das machen der Lokführer und der Heizer zwar auch, aber bei den Harzbahnen gilt das Mehr-Augen-Prinzip. Auf manchen Bahnhöfen sind rechts und links des Zuges Bahnsteige, „dann steigen die Leute oft von beiden Seiten ein“, schildert Wenzel. Das erfordert noch mehr Aufmerksamkeit. Ich lerne: Ein Zugführer muss seine Augen überall haben, möglichst gleichzeitig. „Übungssache“, sagt Wenzel, „mit der Zeit geht das wie von selbst“.

Bei mir nicht. Jedenfalls nicht so schnell. Elend, mit Zug 8903 auf der Rückfahrt von Drei Annen Hohne Richtung Nordhausen. Die Zugleitung in Wernigerode hat eine außerplanmäßige Zugkreuzung gemeldet. Wenzel zückt einen Schlüssel: „Da vorne steht der Schaltkasten. Schlüssel rein, eine Drehung.“ So aktiviere ich den Bahnübergang. Ein Surren, die Schranken schließen sich. „Weiter geht’s“, sagt Wenzel. Meinen Einwand, wir müssten doch noch den Gegenzug abwarten, quittiert er mit einem Grinsen. „Der ist doch längst durch!“ Ich war so mit der Schranke beschäftigt, dass ich nicht zum anderen Gleis geschaut habe.

Zeit für den Likör

Im Zug ist es deutlich ruhiger als auf der ersten Tour. Die Fahrkarten sind alle kontrolliert, Zeit also für den Likör. Nein, nicht was Sie jetzt denken! Ich muss bloß mit einem schweren Korb durch den Zug ziehen und Hochprozentiges an den Mann und an die Frau bringen: „Darf ich Ihnen einen Likör anbieten - Kräuter, Schlehe, Heidelbeere, gibt es nur hier!“ Am Abend werde ich diesen Satz singen können.

Noch mehrmals am Tag geht das so, doch der Korb ist am Ende nicht viel leichter. Den meisten Fahrgästen ist es wohl einfach zu heiß. „Vielleicht auf der Rückfahrt“, das ist die Antwort, die ich am häufigsten zu hören bekomme. Ein Tag als Zugführer bei den Harzer Schmalspurbahnen: Vieles hätte ich mir vorstellen können. Nur nicht, dass ich auch Schnaps verkaufen muss.

Fahrkartenkontrolle mit Zugchef Ronald Wenzel.
Fahrkartenkontrolle mit Zugchef Ronald Wenzel.
Andreas Stedtler Lizenz
Likör-Verkauf im Zug.
Likör-Verkauf im Zug.
Andreas Stedtler Lizenz
Abfahrt! MZ-Reporter Alexander Schierholz fertigt in Nordhausen den Zug zum Brocken ab.
Abfahrt! MZ-Reporter Alexander Schierholz fertigt in Nordhausen den Zug zum Brocken ab.
Andreas Stedtler Lizenz