Harz Harz: Slalom auf den Brocken-Wanderwegen
Schierke/MZ. - Bald hat er es geschafft. Nur noch wenige hundert Meter hat Torsten Gründel vor sich, dann ist der Radfahrer auf dem Brockengipfel angekommen. Gründel, 44 Jahre alt, ist durchtrainierter Sportler. Bei schönem Wetter nimmt er von Wasserleben aus die Steigung des höchsten Berges im Harz zweimal in der Woche auf sich - in anderthalb Stunden. Wesentlich schneller - in 40 Minuten - geht es bergab. In der Woche, wenn wenig los ist, könne man auch mal Tempo machen, erzählt Gründel. Diesmal aber ist es nicht sportlicher Ehrgeiz, der ihn treibt, nicht die Zeit. Es ist eine Fahrt zum Genießen, sagt er. Weil er wusste, dass tausende Wanderer mit ihm unterwegs sein werden an einem der letzten schönen Oktobertage.
Immer mehr Beschwerden
Radfahrer und Wanderer, das verträgt sich auf dem Weg zum Gipfel aber nicht immer. Erst vor wenigen Tagen mahnte der Nationalpark die Zweiradfahrer zu mehr Rücksicht. Mountainbiker würden beim Vorbeidrängeln an den Wanderern Unfälle verursachen, einige schwarze Schafe regelrecht Sorgen bereiten. "Es gibt auch zunehmend Beschwerden von Wanderern, die sich belästigt fühlen und ankündigen nicht wiederzukommen", sagt Nationalpark-Sprecher Friedhart Knolle. Immer wieder müssten sie beiseite springen, wenn Radfahrer - "zum Teil mit unverschämtem Grinsen" - vorbeirauschen. In der Regel auf dem Weg bergab, bergauf kommt selbst der trainierteste Sportler ins Schnaufen, kann von Rauschen keine Rede sein.
Torsten Gründel hält das Problem für hochstilisiert. 90 Prozent der Radfahrer würden sich anständig benehmen. Darin stimmt ihm der Nationalpark auch durchaus zu. "Es sind aber die wenigen, die die schlechte Publicity machen." Und zwar insbesondere dort, wo es steil ist: an Brennpunkten auf der Brockenstraße, dem Hirtenstieg oder dem Goetheweg. Auf der Brockenstraße hat das Phänomen zugenommen, seit sie saniert und mit hohem Tempo befahrbar ist.
Ja, schwarze Schafe gebe es auch, räumt selbst Gründel ein. "Probleme gibt es vor allem, wenn sowohl die eine Seite als auch die andere ihren Claim verteidigen will." Wenn Hundeleinen quer über den Weg gezogen sind, ärgert ihn das. Wenn Wanderer kreuz und quer laufen, in Achter- oder Zehnerreihen nebeneinander, wie es auch Ines Schlehan berichtet. In so einer Situation ist die 47-Jährige aus Weißenfels 2010 gestürzt, weil sie nicht mehr ausweichen konnte, auf nasser Fahrbahn bremsen musste. Dabei, betont sie, sei sie nicht gerast - "das wäre viel zu gefährlich".
Noch während sie das erzählt, düst eine Vierergruppe Mountainbiker im Slalom durch die Massen. "Die nehmen das als Sport, wollen schnell unten sein, schnippeln die Kurven", erzählt Wanderer Heinz-Günther Merkl (65). Und haben an ihren Bikes in der Regel keine Klingel, um auf sich aufmerksam zu machen. Seit drei vier Jahren erlebt der regelmäßige Brockengänger das als zunehmendes Problem. Das hat auch die Bergwacht des DRK im Harz erreicht. Im Sommer sind es nicht mehr in der Masse Kreislaufbeschwerden, die ihren Einsatz erfordern, so Chef Erich Goedecke. Es sind zunehmend Radfahrer, die selbst stürzen oder Wanderer umfahren. Goedecke will Pedalritter gar nicht per se verteufeln, aber mitunter fehlt auch ihm das Verständnis. Im Fall einer älteren Frau etwa, die einen Radlenker in den Rücken bekam, Rippenbrüche und eine Brustkorbquetschung erlitt, keine Luft mehr kriegte. "Da schimpfte der Radfahrer auch noch wie ein Rohrspatz, warum sie nicht aus dem Weg gegangen ist."
Schwächere haben Vorrang
Dabei ist die rechtliche Lage klar, wie Nationalpark-Sprecher Knolle sagt, "viele wissen das nur nicht". Soll heißen: Der Fußgänger hat Vorrang. "Radfahrer haben sich nach dem Wanderer zu richten, im Zweifel sogar abzusteigen und zu schieben", so Knolle. Auf dem Weg zum Brocken gelten die Regeln des Waldes, auch auf der Brockenstraße, selbst wenn die offiziell als Kreisstraße klassifiziert ist.
Der Nationalpark hofft, das Problem mit Aufklärung, guten Worten und im Ernstfall Verwarnungen in den Griff zu bekommen. Grundsätzlich schließlich sind die Touristen auf zwei Rädern durchaus erwünscht in der Region. Deren Sport liegt im Trend. 69 ausgewiesene Mountainbike-Routen durch den Harz mit einer Länge von insgesamt rund 2 000 Kilometern gibt es mittlerweile, 2005 waren es noch fünf. Weitere sollen im nächsten Jahr in Sachsen-Anhalt dazukommen. Eine der offiziellen Routen führt heute direkt über den Brocken, drei liegen dicht dran. Und der Zenit des Trends, sagen Insider, sei längst nicht erreicht. Natürlich bringen die Sportler auch Geld in die Region - für den niedersächsischen Teil des Harzes hat eine Studie zuletzt Umsatzzuwächsebis zu einer Million Euro jährlich ausgemacht. Unterkünfte werben mit dem Label der Mountainbike-Freundlichkeit, die Zahl der geführten Touren steigt.
Dass der Tourismus in diese Marktlücke stößt, ist für den einen oder anderen Wanderer durchaus nachvollziehbar. "Im Moment ist das hier für Radfahrer aber auch kein Vergnügen", sagt Marina Lojewski aus Wolfsburg, an diesem Tag eine von Tausenden, die den Berg zu Fuß erklimmen. Manchen Vorschlag haben die Wanderer deshalb durchaus zu unterbreiten: eine Trennung der Routen wie im Winter für Wanderer und Skilangläufer, ein schlichter weißer Strich auf der Brockenstraße, der einen Bereich für Radfahrer markiert. Der erste gemeinsame Wegeplan Sachsen-Anhalts und Niedersachsens, der Vorschriften für die Nutzung der Wege enthält, ist erst ein paar Monate alt. Aber nicht in Stein gemeißelt, wie Nationalpark-Sprecher Knolle sagt. "Wir denken ständig darüber nach." Denn das Problem, glauben die Ranger, wird wohl eher zunehmen.