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Halle Halle: Aufräumen im Geisterhaus

Von Kathleen Bendick 11.06.2013, 18:28
Aufräumen nach dem Hochwasser: Wie viele Betroffene packt auch Eric Amrhein (16) in Halle mit an.
Aufräumen nach dem Hochwasser: Wie viele Betroffene packt auch Eric Amrhein (16) in Halle mit an. SILVIO KISON Lizenz

Halle/MZ - „Das war meine Chefin“, sagt Roland Amrhein, als er das Handy zurück in die Hosentasche steckt. Morgen muss der Altenpfleger wieder arbeiten. Trotz allen Verständnisses für seine Situation: Die Firma braucht ihn auch. Nun will der 43-Jährige sich beeilen und aufräumen. Seit einer Woche hat er kein Zuhause mehr. Keinen Strom. Kein Wasser. Das Hochwasser hat den Alltag weggespült. Wann der wieder einkehrt, weiß niemand. Die Franz-Schubert-Straße 8 in Halle gleicht einem Geisterhaus. Nur zum Aufräumen kommen die Bewohner zusammen.

Bis zur ersten Etage stand das Wasser. Innenhof und Keller waren tagelang geflutet. Dann liefen die Pumpen. Nun bleiben Schlamm und Erinnerungen. Etwas Brauchbares ist kaum noch zu finden. Allein für dieses Haus muss das Sperrmüllauto drei Mal kommen, um all die vom Hochwasser zerstörten Habseligkeiten fortzuschaffen. Ist das Auto voll, können die Bewohner eine Pause machen. „Wir kommen wieder, versprochen“, versichern die Müllmänner jedes Mal.

In dem, was erstmal liegen bleibt, werden zwei Männer fündig. Kinderspielzeug. Elektronik. Ein Computer. „Wir haben nicht viel Geld und das können wir noch gut gebrauchen“, sagen sie. Familie Amrhein stört das nicht. Im Gegenteil: „Wir haben das ja weggeworfen.“

Viel zu tun auch bei den Nachbarn

Zwischen Schlamm, alten Bildern und anderen Habseligkeiten sorgt sich Roland Amrhein viel mehr um seinen Schwiegervater. Dem 75-Jährigen gehört das Haus mit den zehn Wohnungen. „Aber er kann hier nicht bleiben. Wir fahren ihn später wieder zu Bekannten. Das verkraftet er alles nicht“, sagt Amrhein, der seit 1991 zur Familie und zum Haus gehört. So ein schlimmes Hochwasser hätten sie hier noch nie gesehen. „Dagegen“, so Amrhein, „war 2002 ein Witz“. Damals habe das Wasser gerade mal einen halben Meter im Keller gestanden. Damals.

Doch für langes Erinnern hat der 43-Jährige keine Zeit. Es gibt genug zu tun. Die Nachbarn benötigen ebenfalls Hilfe. Deshalb fällt für Amrheins Sohn Eric auch erstmal die Schule aus. „Ich habe zwar ein schlechtes Gewissen und hoffe, dass er keinen Ärger bekommt“, sagt der Vater, „aber wir brauchen ihn hier.“ Er wird der Lehrerin später einen Entschuldigungszettel vorlegen.

Bis dahin packt der 16-Jährige mit an, trägt das Schlagzeug vom Nachbarn auf den Müll. „Das ist hin“, meint der Schüler. Von allen Betroffenen scheint der jüngste Spross der Hausbesitzerfamilie die Situation am Besten zu verkraften. „Es muss ja weitergehen“, sagt der 16-Jährige achselzuckend, der besonders stolz ist, seine Angelausrüstung rechtzeitig gerettet zu haben: „Die haben wir noch vor einer Woche ganz nach oben gebracht.“

Auch sein Meerschweinchen hat Eric rechtzeitig gerettet. „Fred“ wartet nun in der Notunterkunft, eine Wohnung von Bekannten, in der die Amrheins vorübergehend unterkamen. „Dort kochen wir Kaffee und schmieren uns Brötchen. Das nehmen wir dann mit her. Das reicht ja erstmal zur Versorgung“, meint Vater Amrhein.

Versicherungsvertreter soll Schaden ermitteln

Dessen Schwager Stefan Schulze wohnt ebenfalls mit im Haus. Obwohl die Wohnung in der vierten Etage trocken blieb, sind auch Schulzes ausgezogen. „Ohne Strom können wir nicht bleiben.“ Bis sie zurückkehren können, wird es aber dauern. Das Hochwasser hat im Haus alle Stromzähler zerstört. Wer die Reparatur übernehmen wird, muss die Familie noch klären. „Wir wissen selbst nicht, ob die Stadtwerke dafür zuständig sind oder wir als Hausbesitzer“, sagt Schulze. Wie hoch der finanzielle Schaden für die Hausbesitzer und -bewohner ist, kann ebenfalls noch niemand sagen. Ein Versicherungsvertreter wird in den nächsten Tagen kommen und sich vor Ort ein Bild machen. Zum Glück habe man noch eine Elementarversicherung, sind sich alle einig. „Aber bis die kommen, haben wir das meiste bestimmt schon aufgeräumt“, meint Schulze, der erstmal den Innenhof inspiziert.

Mit einem Notstromaggregat werden hier Pumpen betrieben. Später will die Familie Keller und Hof mit einem Hochdruckreiniger säubern. „Bislang ging das noch nicht. Als wir Sonntag fast alles ausgepumpt hatten, kam der Regen und alles lief wieder voll“, sagt Schulze und schüttelt den Kopf. Den Humor hat er dennoch nicht verloren: „Immerhin wurden die Fahrräder dadurch ein bisschen sauber gespült.“