Grundschule Allstedt Grundschule Allstedt: Schwierige Fragen zum Schulstart

Allstedt/MZ - „Wir fangen an!“ Es dauert ein wenig, bis Ruhe einkehrt. Endlich sitzen alle Lehrer am Tisch. Thema Nummer eins der Schulkonferenz, wie jedes Jahr vor dem ersten Schultag: der sichere Schulweg und der erste Tag in den Klassen. Doch kein Jahr ist wie das andere. Dieses Mal müssen sich die Lehrer auf viele Kinder mit speziellen Eigenarten einstellen. Die MZ, die Schüler und Lehrer seit Jahren begleitet, hat kurz vor dem Start wieder vorbeigeschaut - in der Grundschule in Allstedt (Mansfeld-Südharz).
Die Eckpunkte stehen fest. Auf der einen Seite: Es gibt neun Klassen mit 161 Schülern. Die andere Seite zeigt die Stundentafel an der Wand an - 240 Stunden pro Woche. Jeder Lehrer unterrichtet 27 Stunden, einige helfen noch an anderen Schulen aus. Wie aber die pädagogischen Herausforderungen aussehen, ist aus keinem Plan ablesbar. Die zentrale Frage: Wie begeistert man 45 höchst unterschiedlich aufgestellte und motivierte Schulanfänger für das Lernen?
Psychische Eigenarten
Das größte Problem: Mindestens jedes vierte Kind bedarf wohl besonderer Zuwendung. Schulleiterin Karin Strobach sagt, was das heißt. „Diese Mädchen und Jungen starten, so zumindest das Ergebnis der schulärztlichen Untersuchung, mit psychischen Eigenheiten, auffälligem Verhalten oder irgend einem anderen Defizit.“ Mancher bringe kaum einen Satz heraus, andere könnten nicht den Stift halten. Wieder andere seien aufbrausend und aggressiv. Halb im Spaß, halb im Ernst sagt sie: „Vielleicht müssen wir für manchen einen Boxsack zum Austoben aufhängen.“
Die Zahl der Schüler in Sachsen-Anhalt steigt mit dem Schuljahr 2013/14 leicht an. Insgesamt beginnt am Donnerstag für 235 600 Schüler das neue Schuljahr - das sind 2 700 mehr als im vergangenen Jahr. Während die Zahl an allgemeinbildenden Schulen sogar um 3 500 steigt, geht die Zahl der Berufsschüler um 800 auf 52 400 zurück. Die Zahl der Abc-Schützen steigt ebenfalls leicht um 500 auf 17 488. Nach Angaben von Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) wird die Entwicklung bei den Schulanfängern voraussichtlich bis zum Schuljahr 2022/23 anhalten. Dann sei mit einem deutlichen Rückgang zu rechnen. Es werde dann nur noch von der Hälfte der heutigen Einschulungen ausgegangen - 8 500 bis 9 000 Kinder.
Diese Schulform wird erstmals angeboten. Landesweit werden 13 Gemeinschaftsschulen an den Start gehen. Dort lernen Kinder ab der fünften Klasse gemeinsam in Sekundar- und Gymnasialstufe. Die 13 Schulen seien mehr, als er erwartet habe, sagte Kultusminister Dorgerloh. Für 15 weitere Gemeinschaftsschulen lägen Absichtserklärungen vor.
Sieben Schulen wurden zum Ende des vergangenen Schuljahres geschlossen, es handelt sich Dorgerloh zufolge vor allem um Grundschulen. Im Land gibt es nun 922 Schulen. Die Schließungen seien aber noch nicht die Folge der veränderten Schulentwicklungsplanung, diese greife erst im kommenden Jahr. Grundschulen müssen dann wenigstens 60 Schüler haben, in dünn besiedelten Bereichen sind 52 erlaubt. Bislang erfüllen 71 Grundschulen dieses Kriterium nicht. Wie viele davon tatsächlich geschlossen werden, sei derzeit noch offen, so Dorgerloh.
Der Anteil benachteiligter Kinder an Regelschulen steigt nur langsam. Im kommenden Schuljahr werden es knapp 4 100 Schüler mit besonderem Förderbedarf sein, dies entspricht einer Inklusionsquote von 27 Prozent. Um diese Zahl weiter zu erhöhen, sollen die Bemühungen von Schulen mit einem inklusiven Profil belohnt werden: Die 18 Grund- und sechs Sekundarschulen erhalten mindestens einen Sonderpädagogen ins Team. Bislang unterrichteten diese nur stundenweise, eine vernünftige Planung sei so nur schwer möglich, sagte Dorgerloh.
Die wird es in Sachsen-Anhalt auch weiter geben. Dorgerloh sprach sich gegen eine generelle Abschaffung der umstrittenen außerschulischen Aufgaben aus. „Hausaufgaben gehören maßvoll dazu, aber die Schüler müssen in der Lage sein, sie allein zu bewältigen“, sagte der Kultusminister. Es dürfe aber auf keinen Fall ein zweiter Schultag daraus werden. Elternvertreter und die Bildungsgewerkschaft GEW hatten die Abschaffung von Hausaufgaben gefordert.
Der Lösungsansatz ist komplex und versteckt sich in einem einzigen Fremdwort - Inklusion. Dahinter verbirgt sich ein großes Projekt: das gemeinsame Lernen aller Kinder, in Allstedt zunächst in der ersten und zweiten Klasse - noch ohne Noten. Auf diesem Weg sammeln die Allstedter Lehrer seit zwei Jahren Erfahrungen. Eine Schlussfolgerung, die jetzt erstmals greift: In diesem Schuljahr gehen möglichst kleine Klassen an den Start - ein Lehrer für maximal 15 Schüler. „Nur so besteht überhaupt die Chance, individuell auf die Kinder eingehen zu können.“
Lehrerin Betty Meyer, die wie die meisten ihrer Kolleginnen inzwischen eine Fortbildung zur Inklusion absolviert hat, sagt: „Der Lehrer kann dem Schüler das Lernen nicht abnehmen, ihn aber dabei klug begleiten und vor allem immer wieder ermutigen.“ Auf Zuspruch und berechtigtes Lob reagierten fast alle, so ihre Erfahrung. Das schließe aber auch eine straffe Kontrolle ein, wie Aufgaben erfüllt werden. Auch wenn der Lernerfolg viele Väter habe, diese Tugend eines guten Lehrers bewahrheite sich immer wieder: Geduld muss man haben.
Anderes, ergänzt Schulleiterin Strobach im Kreise ihrer Kollegen, sei zwar hilfreich, aber letztlich nicht entscheidend. So habe man sich für Unterricht ohne klassische Schulbücher entschieden. Illustrierte Arbeitshefte, in denen ein Kobold von Aufgabe zu Aufgabe führt, sind an ihre Stelle getreten. Wie Zahlen und Buchstaben zueinander finden, das zu erklären, bleibt die Arbeit der Lehrer.
So probieren die Kinder in Allstedt es zuerst mit Druckbuchstaben, wenn sie das Schreiben lernen. Der erste Buchstabe, der ihnen unter Anleitung gelingen soll, ist das L. Schulleiterin Strobach: „Es kann aber auch das A oder das E sein, da sind wir flexibel. Hauptsache, das Kind kommt zum Erfolg.“
Arbeit im Schulgarten
Das ist die Messlatte auch im Schulgarten, den die Allstedter - im Unterschied zu vielen anderen Schulen - nicht aufgeben, sondern mit Hilfe der Kinder in Heimat- und Sachkunde hegen und pflegen. Ob beim Jäten des Unkrauts, beim Stecken von Zwiebeln, beim Gießen der Blumen oder der Gemüseernte - „im Schulgarten sieht wirklich jedes Kind, was nützliche Arbeit in der Natur bewirkt“, so die pädagogische Mitarbeiterin Petra Menzel. Diese Erkenntnis sei sicher ein Grund, weshalb demnächst in den Franckeschen Stiftungen in Halle die erste bundesweite Schulgarten-Konferenz ausgerichtet werde.
Eine Aufgabe, deren Lösung aber nicht allein von der Schule abhängt, ist das Schwimmen lernen. In Allstedt fehlt es an Personal, das ausbilden darf. Pädagogen, die Rettungsschwimmer sind, gibt es dort zwar. Aber sie dürfen nicht zum Zuge kommen, bedauert Strobach. Am Beckenrand darf nach den Vorgaben des Landes nur ein Sportlehrer mit Rettungsschwimmerzeugnis stehen. Das ist in Allstedt allein Ellen Thoß, bei der nicht eine Stunde ausfallen darf. Sonst dürfte es sehr schwer werden, den Vorjahreserfolg zu wiederholen: 33 von 36 Schülern freuten sich damals am Ende über ein „Seepferdchen“-Schwimmabzeichen.
