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Grubenunglück Grubenunglück: Wasser, Feuer, Beben

Von KATRIN LÖWE 26.08.2010, 21:05

WITTENBERG/HETTSTEDT/MZ. - Es ist Mittagszeit bei Erna und Oswald Miglo, als die neuesten Berichte über die 33 Verschütteten in einem Bergwerk in Chile über den Bildschirm flimmern. Die 82-Jährige und ihr Mann sitzen in Wittenberg wie gebannt vor dem Fernseher. "Es muss furchtbar sein dort. Wir können uns da reinversetzen", sagt Erna Miglo nachdenklich. Warum, wird bei ihrem nächsten Satz klar: "Da kommen Erinnerungen hoch."

Mehr als fünf Jahrzehnte alte Erinnerungen an den Tag, als das Wasser kam im Mansfelder Bergbau. Erna Miglo saß an jenem 17. September 1958 beim Friseur, als sie erfuhr: Es ist etwas passiert im Otto-Brosowski-Schacht in Augsdorf. Rund 700 000 Kubikmeter Wasser waren mittags in den Schacht gestürzt. Eine Flut, die alles mitriss - und 63 Bergleuten den Fluchtweg versperrte. Oswald Miglo gehörte dazu.

Als erstes, erinnert sich der 87-Jährige, war da der enorme Luftzug. Und der Staub, "wir konnten nichts mehr sehen." Dann kam von mehreren hundert Metern weiter oben das Wasser. Solange man keine Verbindung nach Übertage hat, erzählt einer seiner damals mit eingeschlossenen Kumpel, "zieht das ganze Leben an einem vorbei." Miglo indes wird später seiner Frau berichten, dass ihm zum Grübeln wenig Zeit blieb. "Man versucht nur, auf irgendeine Art einen Ausweg zu finden." Die 63 Verzweifelten fanden ihn - über alte Grubenfelder und einen anderen Schacht. Am gleichen Abend hörten Retter oben die Klopfzeichen an einer Rohrleitung. Gegen 6 Uhr am nächsten Morgen war der letzte Eingeschlossene befreit. "Als Bergmann", sagt Miglo heute, "muss man auch Glück haben."

Doch die Erinnerung bleibt. Auch bei Dieter Stabrey aus Hettstedt, der 1963 als 26-Jähriger einen Gebirgsschlag im Fortschrittsschacht bei Eisleben miterlebte. "Plötzlich hat die Erde gebebt und wir wussten nicht, was los war", sagt er. In mehr als 600 Metern Tiefe brach auf einer Länge von rund 70 Metern ein Sohlenabschnitt zusammen. "Wir wussten, dass da gerade zehn bis 20 Mann durch sind, aber nicht, ob sie schon dahinter waren oder nun unter dem Gestein liegen", sagt der damalige Steiger. Noch heute erinnert er sich an den enormen Lärm, die zerschlagene Druckluftleitung, an den Staub, der kaum Sicht gestattete. Und an den Mann, der schrie, dass fünf Meter hinter ihm alles zusammengebrochen sei. Auch 1963 ging alles gut: Die abgeschnittenen Kumpel fanden schnell einen alten Zugang zu dem Flügel. "Unser Bergbau", sagt Stabrey, "war wie ein durchlöcherter Käse." Irgendwo gab es einen Verbindungsweg. Als auch er und seine Kollegen dort ankamen, sahen sie schon entgegenkommende Lichter. "Ich hätte jeden einzeln umarmen können." Es war, sagt Stabrey, das "Wunder von Eisleben". Einer der damals Betroffenen schrieb später, da sei der tiefere Sinn des Bergmannsspruchs "Glück auf" deutlich geworden.

Doch manchmal bleiben die Wunder aus. In Niederröblingen werden Erinnerungen wach an das Inferno vom 19. Januar 1987, als im Bernard-Koenen-Schacht ein Feuer ausbrach. An die verzweifelte Suche nach drei vermissten Bergleuten. Die Klopfzeichen der Retter, die unbeantwortet blieben. Die fehlenden Anzeichen dafür, dass den Vermissten die Flucht gelungen ist. Martin Spilker war damals Oberführer der Grubenwehr. Mit Chile, sagt er, lasse sich das Unglück von '87 nicht vergleichen. "Irgendwann war uns klar, dass sie nicht mehr leben können. Dann haben wir uns auf das Löschen konzentriert." Das dauerte Tage, "in der Woche habe ich nur acht Stunden geschlafen", erinnert sich der 75-Jährige. Erst am 22. beziehungsweise 23. Januar wurden die Leichen der drei Bergleute gefunden.

Als Brandursache stellte sich eine heißgelaufene Bandanlage heraus. "Die DDR hat dann viel getan", sagt der Geologe, "trotz finanzieller Schwierigkeiten." So seien etwa unbrennbare Gummibänder eingesetzt worden. "Und es gab strenge Regeln bei uns." In punkto Sicherheit, meint auch Dieter Stabrey, "waren wir auf dem Laufenden. Aber alles kann man nicht ausschließen."

Bergleute, sagt Stabrey aus seiner Erfahrung, sind sehr kameradschaftlich. "Da unten grüßt jeder jeden. Keiner geht vorbei, wenn es eine Störung gibt." Und dieser Tage sind es wohl ganz besonders die Kumpel, die Nachrichten aus Chile aufmerksam verfolgen. Von den Menschen, die in hunderten Meter Tiefe zum Warten verdammt sind. An ihre Familie denken, beten. "Licht und Ernährung sind eine große Hilfe. Aber einer muss sich aufschwingen und sie zusammenhalten", sagt Spilker. Der eine oder andere werde wohl durchdrehen. "Natürlich bewegt einen das."