1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Grubenunglück in Unterbreizbach: Grubenunglück in Unterbreizbach: Die größte Katastrophe seit 1958

Grubenunglück in Unterbreizbach Grubenunglück in Unterbreizbach: Die größte Katastrophe seit 1958

Von Hendrik Kranert-Rydzy 02.10.2013, 19:34
Salzabbau im Bergwerk Unterbreizbach des Kaliwerkes K+S (Kali und Salz) in Unterbreizbach (Thüringen)
Salzabbau im Bergwerk Unterbreizbach des Kaliwerkes K+S (Kali und Salz) in Unterbreizbach (Thüringen) dpa Lizenz

Unterbreizbach/MZ - Es ist keine Rauchwolke, die mit rasender Geschwindigkeit aus Schacht II der Kaligrube im südthüringischen Unterbreizbach quillt - auch wenn die ersten Aufnahmen vom Schachtgerüst dies vermuten lassen. Sondern ein Gemisch aus Salzstaub, Gesteinsmehl und - Kohlendioxid. Jenes Gas, Millionen Jahre alt und natürlicher Zusatz der Quellen der benachbarten Heilbäder, hat mit tödlicher Gewalt und in Sekundenschnelle sämtliche Hohlräume des Bergwerks Unterbreizbach kurz nach eins am Dienstagmittag gefüllt. So schnell, dass drei Bergleute eines siebenköpfigen Trupps es nach bisherigen Erkenntnissen wohl nicht einmal mehr schafften, ihre als Selbstretter bezeichneten Atemgeräte aufzusetzen. Die Männer im Alter von 24, 50 und 56 Jahren sterben in 700 Meter Tiefe, 200 Meter oberhalb und kilometerweit entfernt vom eigentlichen Explosionsort.

Fassungslos über die Dimensionen der Katastrophe

Norbert Steiner, Vorstandsvorsitzender des Bergwerkskonzerns K+S aus Kassel, zu dem die Grube Unterbreizbach gehört, scheint am Tag nach dem Unglück noch immer fassungslos über die Dimensionen der Katastrophe: „Es hat sich verwirklicht, was niemand vorhersehen kann. Ein Kohlendioxid-Ausbruch, der in Windeseile die Grube geflutet hat“, so Steiner.

Dabei werden unter Bergleuten die Kollegen aus Kali- und Steinsalzgruben gern als „Kumpel aus dem Salonbergbau“ verspottet. Das kommt nicht von ungefähr: Wer die Enge im Kupferschiefer und den Staub in der Steinkohle erlebt hat, fühlt sich in den weiten und hohen Hallen der Salzbergwerke wie im Sanatorium. Nicht zuletzt auch wegen des hohen Grades der Technisierung. Ein Eindruck, der darüber hinweg täuscht, dass Bergbau auch dort nach wie vor gefährlich ist - und dies ganz besonders in den Kaligruben zwischen Werra und Rhön wie eben Unterbreizbach.

Der Ortsname war bis Dienstagnachmittag nur wenigen außerhalb Thüringens geläufig, anders als die Produktionsstätten Bischofferode und Merkers des DDR-Kali-Betriebs „Werra“. Während dort die Produktion nach der politischen Wende eingestellt wurde - in Bischofferode nach monatelangem Streik der Kumpel - produziert Unterbreizbach bis heute.

„Unterbreizbach war schon immer das attraktivste der Werra-Bergwerke“, erinnert sich Rüdiger Erben. Eine seit 100 Jahren ergiebige Lagerstätte, deren Salz gleich neben dem Bergwerk verarbeitet wird. Erben, Innenexperte der SPD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, machte von 1984 bis 1987 eine Ausbildung zum Facharbeiter für Bergbautechnologie mit Abitur in Unterbreizbach und arbeitete anschließend auch einige Monate als Fahrer eines Schaufelradladers in der Grube. „Kleinere Gasausbrüche waren Alltag“, sagt Erben. Deshalb wurde und wird in Unterbreizbach nur zwischen den Schichten gesprengt, wenn die Belegschaft noch nicht eingefahren ist. Die sieben Männer im Schacht gehörten zu einem Voraus-Kommando, das mit Gasspürgeräten eingefahren war, um die Grube freizugeben.

Der Vulkanismus der Rhön war es, der für die Attraktivität der Unterbreizbacher Lagerstätte sorgte - und sie gleichzeitig so gefährlich machte. Die heute so begehrten Salzschichten wurden dabei glockenartig aufgewölbt, so dass Flöze von 80 bis 100 Metern Dicke entstanden. Die Abbaukammern in Unterbreizbach sind daher noch einmal deutlich größer als die ohnehin bereits hunderte Meter langen und dutzende Meter breiten Abbaue in Zielitz in der Magdeburger Börde oder in Bernburg.

Doch Reste der alten Rhön-Vulkane, sogenannte Schlote, durchziehen die Salzschichten - und aus diesen Schloten strömten unvorstellbare Mengen Kohlendioxid ins Salz. Oft sei dieses direkt an der Kristallstruktur gebunden, manchmal auch in kleineren Hohlräumen gespeichert, sagt der Chefgeologe des Landesbergamtes Sachsen-Anhalt, Bodo-Carlo Ehling. „Salz ist hochplastisch und dicht und schirmt so das Gas vor einem Austritt nach Übertage ab“, sagt Ehling. Die natürlichen Vorkommen von Kohlendioxid im Thüringer Becken machte sich die DDR in den 1950er Jahren sogar zunutze - über Bohrungen wurde das hochreine Gas für die Lebensmittel-Industrie gewonnen.

Dass das Kohlendioxid gleichzeitig den Bergbau im Werra-Revier erschwert, sei aber seit Langem bekannt, sagt Geologie-Professor Peter Wycisk von der Uni Halle: „Das ist bergmännischer Alltag, auf den man sich vorbereitet.“ Anfangs nahmen die Bergleute Singvögel mit in die Grube, die vor Gas warnten, später Messinstrumente.

Sehr selten aber könne das Gas auch in größeren Hohlräumen versteckt sein, die sich nur schwer detektieren lassen, so Ehling. Die bergmännisch-geologische Bezeichnung „Kohlendioxid-Nester“ verniedlicht allerdings stark jene Drücke und Mengen, die in solchen Hohlräumen gespeichert sind - und schlagartig freigesetzt werden können. Vor allem die routinemäßigen Sprengungen - wie eben am Dienstag vor der Spätschicht - können unter Druck stehendes Gestein und Gas erschüttern. Erben weiß von einem Ereignis in den 1980er Jahren, bei dem ein tonnenschweres Bohrgerät Hunderte Meter weit geschleudert wurde.

Noch gewaltiger war jedoch ein Gasausbruch am 7. Juli 1953 kurz nach 23 Uhr: Bergbau-Schlosser Lothar Leser saß noch in der Kaue der inzwischen stillgelegten Grube Menzengraben, 15 Kilometer von Unterbreizbach entfernt, als ein gewaltiges Getöse aus der Schachtröhre drang - ein Gasausbruch. „Es waren furchtbare Mengen“, erinnert sich der heute 80-Jährige. Auf ein bis 2,4 Millionen Kubikmeter wurde die Gesamtmenge später geschätzt. Untertage tötete das Gas niemanden - wohl aber auf dem Schachtgelände. Wer es nicht - wie Lothar Leser und seine Kameraden - schaffte, höhere Geländepunkte zu erreichen, drohte zu ersticken, weil Kohlendioxid schwerer als Luft ist. Drei Menschen kamen so ums Leben. In Unterbreizbach entging man am Dienstag wohl nur einer noch größeren Katastrophe, weil der böige Ostwind das aus dem Schacht austretende Gas schnell verdünnte.

Drei Bergleute gestorben

Für die drei Bergleute in der Grube kam der Tod wohl sanft: „Man wird müde und erstickt“, beschreibt Ehling die Wirkung des Kohlendioxids. Atmen Bergleute nur geringe Konzentrationen ein, regaiert der Körper oft mit warmen Füßen. „Wir wussten, dann müssen wir raus“, erinnert sich Lothar Leser. Ein Jahr nach der 1953er Katastrophe fuhr er zum letzten Mal in die Grube. „Mein Vater hatte in der Nazizeit einen Ausbruch mit elf Toten erlebt und mir geraten, eine andere Arbeit zu suchen.“ Das war ein guter Rat: 1958 starben sechs Kumpel im Kohlendioxid.