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Großrazzia gegen Drogenhändler Großrazzia gegen Drogenhändler: Saale-Connection im Netz

Von Jan Wätzold 12.12.2002, 19:44
Großrazzia gegen Drogenhändler. (MZ-Foto: Chris Wohlfeld)
Großrazzia gegen Drogenhändler. (MZ-Foto: Chris Wohlfeld) Chris Wohlfeld

Halle/Berlin/Reußen/MZ. - Reußen, Hauptstraße, gestern Morgen. Punkt elf klingeln Polizeibeamte an der mit einem elektronischen Code-System gesicherten Tür zum Grundstück Nummer 33. Die mit schusssicheren Westen und automatischen Waffen ausgestatteten Frauen und Männer sind offenbar auf alles gefasst. Trotzdem staunen sie, nachdem ihnen geöffnet wird. Im hinteren Teil des gepflegten Areals entdecken die Einsatzkräfte zwischen Büschen die Belüftungsrohre einer unterirdischen Anlage. Hinter ebenfalls gut gesicherten Türen stoßen die Kriminalisten kurz darauf auf einen hochmodern ausgestatteten Schießkeller. "Bingo", ruft einer der Beamten.

Am Ende des Tages wird der Ausflug in den Reußener Keller für die Polizisten nur noch eine unterhaltsame, in der Sache aber nebensächliche Anekdote sein. Denn bei der Razzia in dem im Winterschlaf liegenden Saalkreis-Dorf geht es um ganz andere Hintergründe. So wie im nahen Halle, wo zur gleichen Zeit sechs Wohnungen auf den Kopf gestellt werden.

Insgesamt 90 Beamte der Landeskriminalämter (LKA) Sachsen-Anhalts und Sachsens, der Bereitschaftspolizei und des Zolls sind im Einsatz, um eine seit Monaten intensiv beobachtete Gruppe mutmaßlicher Drogenhändler unschädlich zu machen. Ein 44-jähriger Hallenser, den die Ermittler für den Kopf der "Saale-Connection" halten, ist bereits am Morgen auf dem Flughafen Berlin-Tegel festgenommen worden. "Hätte der Mann geahnt, dass wir ihm auf den Fersen sind, wäre er wohl nicht aus dem Urlaub zurückgekommen", vermutet ein Fahnder.

Der Zugriff in der Hauptstadt ist schließlich das Signal für die Einsatzkräfte, auch in Halle und im Saalkreis loszuschlagen. Man will vermeiden, dass Komplizen des 44-Jährigen durch dessen Festnahme gewarnt werden. Der Plan geht auf: Eine Stunde, nachdem die Wagenkolonne der Fahnder vom Hof der Polizeidirektion Halle gerollt ist, sitzen drei weitere Verdächtige in

Gewahrsam. Gegen zwei von ihnen, 23 und 25 Jahre alt, liegen bereits unterschriebene Haftbefehle vor. Ein 19-Jähriger wird zunächst nur vorläufig festgenommen, später am Tag beantragt die Staatsanwaltschaft auch für ihn einen Haftbefehl. Heute sollen die vier Hallenser den Haftrichtern vorgeführt werden - zwei in der Saalestadt, die anderen beiden in Leipzig.

Die Arbeitsteilung der Juristen kommt ebenso wenig von ungefähr wie die der am Großeinsatz beteiligten Beamten. Denn die Ermittler sind sich nach fast einem Jahr Arbeit sicher, dass die "Saale-Connection" weit über die Grenzen Sachsen-Anhalts hinaus mit der Einfuhr und dem Verkauf illegaler Drogen Geld verdient hat. "Die Gruppe war auch in Sachsen aktiv", sagt Halles Polizeisprecher Siegfried Koch.

So soll der in Berlin gefasste 44-Jährige über die Grenzen des Freistaates im großen Stil harte Drogen nach Deutschland geschmuggelt haben. Im Angebot hatte die Bande nach Erkenntnissen der länderübergreifenden Ermittlungsgruppe so ziemlich alles, was der Markt an verbotenen Substanzen hergibt - Heroin, Kokain, Cannabis und die chemische Partydroge Ecstasy.

Im Vergleich zu den Mengen, deren Umschlag den Verdächtigen vorgeworfen wird, nehmen sich die Fundsachen der Großrazzia eher bescheiden aus. In den acht durchsuchten Wohnungen wurden neben 3000 Euro Bargeld gerade einmal 300 Gramm so genannter weicher Drogen sichergestellt.

Zu den abtransportierten Asservaten gehörten überdies mehrere Funktelefone. Deren Untersuchung könnte Aufschluss über die Logistik der "Saale-Connection" liefern. Denn die Kriminalisten gehen davon aus, dass Absprachen innerhalb der Gruppe zum Großteil über Handy geführt worden sind.

Zwar wurde nach MZ-Informationen während der langwierigen Ermittlungen auch von der Möglichkeit der Telefon-Überwachung Gebrauch gemacht. Allerdings ist es im Bereich der Organisierten Kriminalität üblich, sich durch den ständigen Wechsel von Telefonkarten und -geräten vor Lauschangriffen zu schützen.

Mit der Festnahme des Quartetts dürften auf den Rauschgift-Schwarzmarkt in der Region um Halle schwere Zeiten zukommen. Denn bereits vor einem Monat hatte die Kriminalabteilung des Bundesgrenzschutzes einen der Bosse der von Schwarzafrikanern beherrschten Straßendealer-Szene aus dem Verkehr gezogen. Und mit ihm je vier Kilogramm Heroin und Marihuana im Gesamtwert von 270000 Euro.

Durch den dadurch entstandenen Nachschub-Engpass war von konkurrierenden Gruppen vorübergehend mit teils drastischen Preiserhöhungen reagiert worden. Experten rechnen nun mit einer noch zusätzlich beschleunigten Neuverteilung der Marktanteile. "Ersatzleute hocken bereits in den Startlöchern", so ein Polizeibeamter. Situationen wie derzeit im Raum Halle riefen erfahrungsgemäß immer auch Leute auf den Plan, deren Aktionsfeld bislang auf andere Landstriche beschränkt gewesen sei. "Wir müssen also aufpassen, dass hier nicht Deutsche, Albaner, Russen oder wer auch immer gewaltsam um neue Pfründe kämpfen", heißt es bei der Polizei.