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Gisela Weser aus Eisleben Gisela Weser aus Eisleben: Das ist die älteste Tanzlehrerin der Welt

Von Katrin Löwe 14.02.2016, 20:08
Das Schild der Tanzschule Triebel-Hölzer.
Das Schild der Tanzschule Triebel-Hölzer. Andreas Stedtler Lizenz

Eisleben - Nein, sie kann es eben doch nicht lassen. Da steht sie nun in ihrem Aufsehen erregenden roten Flamenco-Kleid in diesem Saal, der ein bisschen wie aus der Zeit gefallen wirkt. Die Kamera des Fotografen ist bereit, Gisela Weser auch. Sie spielt mit dem schwarzen Fächer in der Hand. Accessoires wie dieses und der rote Farbtupfer in ihrem längst dünner gewordenen weißen Haar sind ihr wichtig. Vor allem aber legt sie am Ende spontan ein paar flotte Schritte aufs Parkett. Nicht, dass das für ein Foto zwingend nötig gewesen wäre. Es liegt ihr, so sagt man es wohl, einfach im Blut. Auch mit 95 Jahren. Den Geburtstag hat sie Anfang Februar begangen.

Gisela Weser ist die älteste aktive Tanzlehrerin der Welt - schon 2003 ist ihr das im Guinness-Buch der Rekorde offiziell bestätigt worden. Die Urkunde hängt im Großformat neben dem Eingang des Tanzsaals in einem altem Haus im Zentrum von Eisleben (Mansfeld-Südharz). Es ist ein großer, hoher Saal, in dem sie mittlerweile mehrere Generationen Walzer, Tango, Foxtrott und vieles mehr gelehrt hat. An der Decke hängt ein riesiger Leuchter, von dem es einst überhaupt nur zwei Exemplare gegeben haben soll. „Der andere ist damals bei der Zerbombung Magdeburgs zerstört worden“, erzählt Weser. Am Rande des Saals stehen Stühle und zig Kartons voller Accessoires und Musik früherer Tage. Die Wände sind vollgehängt mit einer wilden Mischung aus Fotos, Postern und Zeitungsartikeln. Bilder von ihr als junger Frau sind darunter, aber auch von ihr als 80-Jähriger. Artikel erzählen das Leben von Marilyn Monroe genau so wie Wesers Auftritt im ZDF vor ein paar Jahren. Poster zeigen Boney M., Frank Schöbel, aber auch Michael Jackson, erinnern an Filme wie Dirty Dancing, ebenso wie an moderne Tanzshows aus jüngeren Tagen.

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In diesem Saal nun setzt sich Weser, inzwischen dick eingemummelt, vor die bollernde alte Gasheizung und blickt zurück. Die gebürtige Leipzigerin erinnert sich dabei auch an das Drama ihrer Kindheit: Als sie 14 war, erzählt sie, kamen beide Eltern im Wagen eines US-Konsuls ums Leben, der auf der Rückfahrt von Schloss Sanssouci in Potsdam verunglückte. Die Großeltern zogen nach Leipzig, damit zwei Waisenmädchen Schule und Ausbildung beenden konnten. Weser wurde Unterstufenlehrerin.

1948 verschlug es sie nach Eisleben. Als wäre es gestern gewesen, erinnert sich die nun 95-Jährige an ihre entscheidenden Schritte in die Tanzwelt. Mehrere Male schon war sie als junge Mutter mit dem Kinderwagen vorbeigelaufen an der Tanzschule Triebel-Hölzer - 1883 vom königlichen Hoftanzlehrer Oscar Hölzer gegründet. „Einmal bin ich dann ohne Kinderwagen hin, habe ganz ängstlich geklingelt und gefragt, ob man hier Stepp-Unterricht nehmen kann“, sagt Weser. Sie konnte - und es blieb längst nicht bei zehn Stunden. Später sprang sie für die Tanzpartnerin des Schul-Chefs ein, trainierte vier Tänze für den ersten Abschlussball. Noch heute schwärmt Weser von ihrem damaligen Kleid, genäht aus weißer Fallschirmseide und schwarzen Netzen aus der amerikanischen Armee, verziert mit unzähligen silbernen Stiftperlen. Das Kleid hängt noch an einem Ständer im Saal. Sein Weiß hat sich längst in Grau verwandelt, und doch strahlen Wesers Augen bei dem Anblick. „Das war das Schönste, das ich je hatte.“ Sie hat einige Kleider gehabt - „alles Unikate“, wie sie stolz betont. Später wurden sie angefertigt von einer ehemaligen Wiener Opernball-Schneiderin. Was sie am Tanz seit jeher fasziniert hat, sagt Weser, sei die Tatsache, „dass ich in Bewegung bin und mich schön anziehen kann“.

1960 bestand Weser die Prüfung als Lehrerin für Gesellschaftstanz, acht Jahre später übernahm sie nebenberuflich die Leitung der Tanzschule. Vermutlich könnte man heute Bände füllen mit ihren Geschichten. Über liegengebliebene Trabis auf dem Weg zum Abschlussball, über Knallfrösche zündende Jungs in der Garderobe, über Achtklässler, die alles wollten - nur nicht den potenziell peinlichen Kontakt mit dem anderen Geschlecht auf der gegenüberliegenden Seite des Saals. Es sind auch Geschichten von Männern, die ihren Frauen auf das lange Brautkleid traten. Von Reformationsfeiern, die sie mit Luthertänzen bereichert hat, und Auftritten auf der Eisleber Wiese. Oder von ihrem Abend im Mai 2006 bei ZDF-Moderator Johannes B. Kerner, den sie mal eben mit einem Walzer überrumpelte. Begonnen hätte er fast mit einer Panne: Die Stepp-Schuhe für den eigentlichen Part von Weser mussten in einer aufwendigen Aktion über mehrere Mittelsmänner und einen Kurierfahrer aus Eisleben herangeschafft werden, erzählt sie. Sie kamen in letzter Sekunde an.

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Wesers erste Schüler haben heute selbst längst das Rentenalter erreicht. „Schon mein Vater hat bei ihr Tanzen gelernt - und der ist 80“, erzählt etwa Volker Wengel. Er selbst hat mit seinem Freund Hans-Gerd Vaupel 1971 zum ersten Mal Stunden bei Weser genommen. „Man musste die Frau höflich auffordern, wie sich das gehört. Und keiner wäre damals in Turnhosen oder -schuhen gekommen“, erinnert er sich. Eine kleine Erinnerung an gutes Benehmen findet sich noch heute an der Wand. Auf einem verblassten Schild steht dort: „In diesem Raum ist das Benutzen von Kaugummi untersagt!“

Mit ihren Frauen sind Wengel und Vaupel vor zehn Jahren in die Tanzstunden von Weser zurückgekehrt - Vaupel hatte sie zum 50. Geburtstag geschenkt bekommen. Als sie an diesem Abend wieder da sind, soll es zwar nur ein gemütliches Beisammensein werden - ein paar Tänze wagen die beiden Paare dann aber doch. Gisela Weser ist in ihrem Element: „Das ist nur eine Vierteldrehung, keine halbe“, erklärt sie beim Zuschauen leise. Beim nächsten Tanz ruft sie den beiden Paaren zu: „Wir haben auch den Umlauf gemacht!“ Ratlose Blicke der Tänzer - tatsächlich ist diese Figur wohl in einem anderen Kurs geprobt worden. Und Weser? Greift sich einfach Wengel und führt vor, was sie meint. Ist die 95-Jährige eine strenge Lehrerin? Ihre Schützlinge verneinen, bekommen durchaus Lob. „Sie kann aber auch schonmal aufstampfen, wenn man aus der Reihe tanzt“, sagt Heiko Rensch, der zwei bis dreimal die Woche Musik auflegt, wenn die Tanzlehrerin Gäste im Saal hat. Manchmal sind darunter zuletzt auch Hochzeitspaare gewesen, denen kurz vor dem Termin einfiel, dass ein paar Walzerschritte vielleicht nicht schlecht wären.

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Weser selbst hat mit 76 noch Bauchtanz gelernt, „damit ich mal was Neues habe“, mit über 80 auch noch Flamenco. Aktiv Werbung für Unterricht macht sie heute nicht mehr. Vor einigen Jahren schon hat sie angekündigt, dass sie mit der Organisation von Abschlussbällen überfordert ist. Die Zeiten, in denen sie mit einem Mikro in der Mitte von 80 Schülern stand, sind vorbei. Dazu kommt, dass ein Wasserschaden im vergangenen Jahr dazu geführt hat, dass Teile des Parketts im Saal herausgerissen werden mussten - und bis heute nicht repariert sind. „Wer soll denn da noch richtig tanzen?“, fragt die 95-Jährige enttäuscht. Da ist aber auch - ja, das Alter. „Ach, Sie wissen ja alle nicht, wie das ist“, sagt Weser und seufzt. Da sind Schmerzen, da ist das Gleichgewichtsorgan, das ihr schnelle Drehungen nicht mehr erlaubt. Da sind Arzt- und Physiotherapiebesuche. Gerade hat Weser zudem noch sechs Wochen an einer Bronchitis laboriert.

Doch auch wenn einiges im Alter nicht mehr so funktioniert: Ab und an packt Gisela Weser dann doch wieder der Ehrgeiz. Im März soll sie in einer TV-Sendung auftreten. Für den Rat ihrer Gäste, dann einen eher ruhigeren Tanz zu zeigen, kann sich die 95-Jährige noch nicht wirklich begeistern. Am liebsten wäre ihr ein Stepp. „Man muss doch was mit Power zeigen.“ Nein, sie kann es eben nicht lassen. (mz)

Mit einer Urkunde wurde Gisela Weser der Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde als älteste aktive Tanzlehrerin bestätigt.
Mit einer Urkunde wurde Gisela Weser der Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde als älteste aktive Tanzlehrerin bestätigt.
Andreas Stedtler Lizenz
Gisela Weser im Flamenco-Kleid. Den Tanz lernte sie noch im hohen Rentenalter.
Gisela Weser im Flamenco-Kleid. Den Tanz lernte sie noch im hohen Rentenalter.
Andreas Stedtler Lizenz