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Gezieltes Sterben Gezieltes Sterben: Tote Fichten und Bangen um Touristen im Nationalpark Harz

Von Steffen Höhne 10.07.2019, 12:00
Im oberen Drittel des Teufelsstiegs, der Brocken ist nur noch 1,5 Kilometer entfernt,  stehen bereits junge Bäume neben abgestorbenen Fichten.
Im oberen Drittel des Teufelsstiegs, der Brocken ist nur noch 1,5 Kilometer entfernt,  stehen bereits junge Bäume neben abgestorbenen Fichten. Steffen Höhne

Schierke - Bereits Johann Wolfgang von Goethe hat vor mehr als 200 Jahren in seiner weltberühmten Tragödie Faust I den Brockenaufstieg beschrieben. Faust sagt da zu Mephisto: „Was hilft’s, dass man den Weg verkürzt - im Labyrinth der Täler hinzuschleichen, dann diesen Felsen zu ersteigen. Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt, das ist die Lust, die solche Pfade würzt.“

Beim beschriebenen Pfad, dem Teufelsstieg, handelt sich nicht nur um den kürzesten Weg von Schierke auf Norddeutschlands höchsten Berg, es ist auch heute noch einer der beliebtesten. In zahlreichen Reiseführern wird die Route als Gang durch einen grünen Märchenwald beschrieben, von dem man lieber nicht abkommen sollte, um nicht im Moor zu landen.

Baumsterben im Harz - der Märchwalt ist Geschichte

Wer dieser Tage den 500-Höhenmeter-Anstieg läuft, findet jedoch keinen Märchenwald mehr vor. Kilometerlang stehen links und rechts des Weges nur noch abgestorbene Fichten. Dort wo einst ein grünes Dach war, rieseln nun braune Nadeln herab. „Schaurig schöne Leichen“, nennt Urlauberin Sylvia Adelberger aus Falkensee bei Berlin das. „Ich finde das ziemlich gruselig hier. Da sollte etwas dagegen getan werden.“

Auch Kirk Payne findet den Anblick der toten Bäume nicht gerade schön. Doch der Amerikaner, der in Berlin lebt, meint auch: „Zuerst müssen die reinen Fichtenwälder weg, damit danach vielfältigerer und stärkerer Wald entsteht.“ Er habe ein Dokumentation über die Philosophie des Nationalparkes gesehen. „Natur soll hier Natur bleiben.“ Er findet das Konzept richtig. Die vorübergehenden Schäden müssten in Kauf genommen werden.

Bei den Besuchern im Oberharz sind die Waldschäden derzeit das Thema Nummer eins. Die Meinungen der beiden Wanderer spiegeln die derzeitige Diskussion um den Nationalpark Harz wider. Bereits seit 1991 gibt es den Nationalpark Hochharz, der sich entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze erstreckt.

Baumsterben im Harz: Sturm, Dürre und Borkenkäfer

Die Natur konnte sich dort über Jahrzehnte ungestört entfalten. 2006 entstand der länderübergreifende Nationalpark Harz. Nach Worten von Nationalparkleiter Andreas Pusch ist es Ziel, die natürliche Vielfalt und Dynamik der Lebensräume und der dort lebenden Tier- und Pflanzenarten zu erhalten und zu schützen. „In vielen Bereichen darf sich die Natur deshalb frei von menschlichem Einfluss entwickeln“, sagt Pusch.

Stürme, Dürre und Borkenkäfer trafen den Harz im Vorjahr jedoch hart. Vor allem die großen Fichtenwälder, die im Oberharz oberhalb von 600 Meter wachsen, wurden massiv geschädigt. Doch anders als private Waldbesitzer oder der Landesforst versuchte der Nationalpark nicht, den Borkenkäfer durch gezielten Holzeinschlag geschädigter Bäume zu bekämpfen. So konnte sich der Käfer ungehindert „durchfressen“.

Auch Pusch zeigt sich von der Dynamik überrascht: „Im vergangenen Jahr wurden 800 Hektar massiv geschädigt, in den Vorjahren sind es jährlich höchstens 400 Hektar gewesen.“

Baumsterben im Harz: Schadet es dem Tourismus?

In dem Urlauberort Schierke, an den der Nationalpark heranreicht, betrachtet man die Situation sorgenvoll. „Dieses unkontrollierte Baumsterben könnte dem Tourismus erheblich schaden“, befürchtet Ortsbürgermeisterin Christiane Hopstock. Sie habe nichts gegen den Nationalpark. Doch dann kommt ein großes ABER: „Muss der Waldumbau wirklich so radikal verlaufen?“ Es gebe zwei große Gästegruppen in Schierke: ältere Menschen und junge Familien. „Die laufen einmal durch die toten Wälder, doch sicher nicht zweimal“, sagt Hopstock.

Bisher hat sich das Waldsterben noch nicht in den Buchungen bemerkbar gemacht. Im vergangenen Jahr verbuchte Schierke mit 220.000 Übernachtungen sogar einen Rekord. Doch Hotelier Jens Weidlich vom Brockenstübchen berichtet, dass er immer häufiger von Gästen auf die Situation angesprochen wird. Dann fallen Wörter wie „sieht aus wie nach einem Atomunfall“. Weidlich erklärt dann den Besuchern die Situation: In einigen Jahren werde junger Wald nachwachsen. Doch überzeugt ist er vom Nationalparkkonzept nicht.

Einer der überzeugt ist, wandert fast jeden Tag auf den Brocken. Benno Schmidt, besser bekannt als Brocken-Benno, läuft langsam den steinigen Teufelsstieg hinab: „Hier im oberen Teil des Weges sieht man bereits gut, dass neben alten Baumstümpfen neue Fichten emporwachsen.“ Der 87-Jährige, der gerade seinen 8.780. Brockenbesuch hinter sich hat, zeigt auf kleine, grüne Bäume.

An die jungen Bestände gehe der Borkenkäfer wegen des hohen Harzgehaltes nicht heran, erklärt er. Unterhalb von 600 Metern würden vom Nationalpark auch Buchen gepflanzt, um die Bildung von Mischwald zu unterstützen. Bei seinen Wanderungen erläutert Brocken-Benno täglich vielen Touristen „den Waldwandel“, wie er es nennt.

Baumsterben im Harz: Besteht Waldbrandgefahr?

Nationalparkleiter Pusch sagt, dass es etwa zehn Jahre dauern werde, bis man die natürliche Verjüngung deutlich sehen werde. „Dieser Naturwald wird natürlich auch aus Fichten bestehen, es wird aber mehr Licht auf den Boden fallen, so dass auch viele andere Pflanzenarten eine Chance haben“, sagt der Waldexperte. Im Nationalpark Bayerischer Wald habe man diese Erfahrungen schon vor 20 Jahren gesammelt. Auch dort seien Monokulturen großflächig verschwunden und hätten Platz für Neues gemacht.

Doch das sehen nicht alle Waldfachleute so: „Als erstes werden sich Pionierbaumarten wie Birken ansiedeln, dann kommen Fichten dazu“, sagt Matthias Zscheile vom Holzkompetenzzentrum in Rottleberode. Im besten Fall entwickele sich ein unzugänglicher Urwald, der dem Tourismus wenig nütze. Zscheile hält es jedoch auch für möglich, dass „bei anhaltender Trockenheit eine größere Verbuschung stattfindet“. Mit solchen Szenarien müsse man sich auseinandersetzen.

Die Schierker Ortsbürgermeisterin Hopstock treibt aktuell noch die Angst von Waldbränden um. „Die vertrockneten Wälder sind eine Gefahr“, sagt sie. Pusch sieht das anders: Die glatten Baumstämme der abgestorbenen Fichten würden nur schwer Feuer fangen. Das Baumharz, das etwa Kiefernwälder schnell entzündlich mache, fehle zudem.

Pusch sagt, schon mehrmals mit den Schierkern das Gespräch gesucht zu haben. Die Schierker sagen, ihre Sorgen und Einwände werden nicht ernst genommen. Je größer die Waldschäden werden, umso schwieriger scheint die Verständigung. (mz)