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Gesund für 4,50 Euro

Von Katja Tichomirowa 08.10.2012, 18:59

BERLIN/MZ. - Seither fordert die Bundesfamilienministerin, dass wirklich alle Kontrollbehörden lückenlos arbeiten, will die Bundesverbraucherministerin eine Diskussion über die Qualität von Schulessen anstoßen und Grünen-Chef Cem Özdemir fragt sich, warum unsere Schulkinder chinesische Erdbeeren bekommen und nicht frische deutsche Äpfel. Ja, warum?

Einmal Fisch pro Woche

Was ein gutes Schulessen ausmacht, weiß man längst: mindestens einmal die Woche Fisch, wenig und vorzugsweise fettarmes Fleisch, Vollkornprodukte, jeden Tag Gemüse, Obst und Salate, alles frisch zubereitet und nach Möglichkeit ein vegetarisches Gericht zur Auswahl. Wird dazu noch das saisonale und regionale Obst- und Gemüseangebot bevorzugt, nähert man sich der Perfektionsgrenze.

Ein solches Schulessen bundesweit kostenlos anzubieten, würde nach Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft Schulverpflegung rund 500 Millionen Euro jährlich kosten. Derzeit aber ist der Ernährungswissenschaftler und Leiter der AG-Schulverpflegung, Volker Peinelt, vornehmlich damit beschäftigt, die Defizite der deutschen Schulverpflegung zu benennen.

Sie erfüllt nach den Erkenntnissen Peinelts, der an der Hochschule Niederrhein forscht, meist nicht die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Er beklagt vor allem die mangelnde Professionalität der Akteure. Nur eine vorausschauende und vorbeugende Gefahrenanalyse und Kontrollen in der gesamten Liefer- und Verarbeitungskette könnten für Sicherheit sorgen. Dem stehe aber nicht selten der Preisdruck entgegen. Für ein Schulessen werden je nach Bundesland zwischen zwei und 3,50 Euro ausgegeben. Bei solch geringen Budgets müssen die Einkäufer auf Billiganbieter zurückgreifen. Kontroll- und Sicherheitsmängel sind da im Preis inbegriffen, wie das Beispiel der chinesischen Erdbeeren zeigt.

Peinelt veranschlagt rund 4,50 Euro für ein gesundes, sicheres Schulessen. Wer aber weder bereit ist, eine ausreichende Finanzierung bereitzustellen noch für eine einheitliche, praktikable und kostengünstige Organisation des Schulessens zu sorgen, muss sich nicht über Kantinen und Zulieferer wundern, die den Anforderungen an eine gesunde Verpflegung der Kinder nicht entsprechen.

Peinelt hält das für eine kulturelle Frage. In Deutschland lege man weniger Wert auf gutes Essen, schreibt der Ernährungswissenschaftler in einem im August veröffentlichten Vergleich des Schulessens in Japan und Deutschland. Diese Geringschätzung findet sich auch im deutschen Steuersystem wieder - mit fatalen Folgen für die Schulverpflegung. Seit 2009 wird auf Schulessen der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent erhoben, wenn der anliefernde Caterer auch für Essenausgabe und Geschirrreinigung sorgt. Im Stehen isst man billiger. Beim Fast Food gelten die ermäßigten sieben Prozent Mehrwertsteuer.

Forderung nach Schulfach

Dagegen könnte die Wertschätzung von Lebensmitteln, das Wissen um Zubereitungsarten, über saisonale und regionale Besonderheiten von Gerichten selbst zum Unterrichtsfach werden. Auch die Pflicht, am Schulessen teilzunehmen, sollte eingeführt werden, als Bestandteil des Unterrichts, fordert Peinelt. Seine AG Schulverpflegung bietet seit 2007 Kantinen und Zulieferern ein Zertifizierungsverfahren an, das die Vollwertigkeit sowie Abwechselung der Mahlzeiten, aber auch Hygiene, Arbeitsschutz und Ökologie begutachtet. Im Erfolgsfall werden ein bis drei symbolische Kochmützen vergeben. Die erworbenen Zertifikate sind dann drei Jahre gültig. Diese Zertifizierung erhöht den Essenspreis nur minimal.