Geschichte Geschichte: Halberstädter Domschatz in Europa einzigartig

Halberstadt/dpa. - «Soweit wir wissen,ist das der umfangreichste mittelalterliche Kirchenschatz in Europaüberhaupt», sagt Kustos Jörg Richter. Aus 650 alten und seltenenReliquien, Teppichen, Gewändern, Goldschmiedearbeiten undElfenbeinschnitzereien besteht der Schatz. Diese nahezuvergleichslose Vielfalt soll Besuchern künftig das Mittelalter ineiner Ausstellung nahebringen. Die feierliche Eröffnung ist für den13. April geplant. Sachsen-Anhalt nimmt das zum Anlass, 2008 als das«Jahr der Domschätze» auszurufen und auf diese Weisekulturinteressierte Touristen anzulocken.
Die Kunstreferentin der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen,Bettina Seyderhelm, schwärmt von der Wandlung des Schatzes vomhässlichen Entlein zum schönen Schwan. «Der Halberstädter Domschatzwar bisher in seiner vollen Bedeutung nicht sichtbar.» In derFachwelt sei er zwar bekannt, in der öffentlichen Wahrnehmung aberseien andere wie Aachen oder Köln prominenter, ergänzt der Vorstandder Stiftung Dome und Schlösser Sachsen-Anhalt, Boje Schmuhl. DieStiftung ist Eigentümerin des Domschatzes.
Das bisherige Schattendasein des Domschatzes mit der bescheidenenjährlichen Besucherzahl von 25 000 hat aus Schmuhls Sicht mehrereGründe: «Das Problem von Halberstadt ist, dass die Stadt in denletzten Kriegstagen noch einmal sehr gelitten hat. Dadurch ist dasStadtbild kein Vergleich zur Fachwerkstadt Quedlinburg.» Schon derDomschatz in der nur wenige Kilometer entfernten UNESCO-Welterbestadthat weit mehr als die dreifache Besucherzahl. Halberstadt war noch imApril 1945 zu etwa 80 Prozent zerbombt worden, das Stadtbild istheute in großen Teilen von DDR-Plattenbauten bestimmt.
Dennoch: Hier soll das Mittelalter lebendig werden. «Alles, wassich in den vergangenen 1200 Jahren angesammelt hat, ist noch da»,sagt Richter. Der größte Teil der wertvollen Gegenstände wurde vonadeligen Familien gestiftet und dann über Jahrhunderte gepflegt. Dieneue Ausstellung bietet den rund 300 Exponaten deutlich mehr Platzals zuvor und will den Besuchern ihre tatsächliche Verwendung undBedeutung erläutern. Der Domschatz beinhalte wie kein anderer amoriginalen Ort Bücher für den Gottesdienst, zum Kirchenrecht oder zurMedizin genauso wie Teppiche, die die Kirche einkleideten, undGewänder der Adeligen und Geistlichen. Bis hin zum «Kleinkram» wiePilgerzeichen, die zeigten, dass die Menschen aus dem Harz imMittelalter bis ins spanische Santiago de Compostela pilgerten.
«Wir arbeiten daran, vom Bild des finsteren Mittelalterswegzukommen», sagt Richter. Sehr lebendig könne das Mittelalter mitseiner Weltoffenheit und auch der Bildung der Menschen dargestelltwerden. «Der Kern des Domschatzes sind aber die Heiligengebeine»,betont Richter. Die Reliquien enthalten der Überlieferung nachBlutspuren, Knochensplitter oder andere Körperbestandteile vonHeiligen.
Mit dem Armreliquiar des Heiligen Nikolaus - einer aus der Zeit um1225 stammenden Kostbarkeit - wirbt der Halberstädter Domschatz aufPlakaten. In dem vergoldeten und verzierten Stück ist gut sichtbarein Finger eingeschlossen, der der Überlieferung nach dem BischofNikolaus gehörte, der dem 6. Dezember seinen Namen lieh. ImMittelalter seien die Heiligen Vorbilder gewesen und hätten in derVorstellung der Kirche als Fürsprecher für die Gläubigen fungiert,erklärt Pfarrer Martin Eberle, der das Domschatzjahr koordiniert.
In Halberstadt, das heute knapp 40 000 Einwohner zählt, gründeteum das Jahr 804 Kaiser Karl der Große das älteste BistumMitteldeutschlands. Seit mehr als 1200 Jahren ist der gotische DomSt. Stephanus und St. Sixtus das geistliche Zentrum der Stadt und dergesamten Region.
