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Gegner mit vier Buchstaben Gegner mit vier Buchstaben: Warum eine Initiative gegen die Bezeichnung Kita kämpft

Von Alexander Schierholz 12.04.2019, 10:00
„Fröbel ist die Grundlage von allem“: Frank Persike im Museum, das an Leben und Werk des Pädagogen erinnert. Auf dem Tisch steht von Fröbel entworfenes Spielzeug, genannt Spielgaben.
„Fröbel ist die Grundlage von allem“: Frank Persike im Museum, das an Leben und Werk des Pädagogen erinnert. Auf dem Tisch steht von Fröbel entworfenes Spielzeug, genannt Spielgaben. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Die Kita ist überall. Kita-Anmeldung. Kita-Kinder. Kita-Erzieher. Kita-Neubauten. Es gibt zig Kita-Verbände, aber kaum einen Verband, der „Kindergarten“ im Namen führt. Eine Suche im digitalen Archiv der MZ ergibt für 2018 2 637 Einträge mit „Kita“, nur 907 mit „Kindergarten“. Und wie heißt gleich das neue Bundesgesetz zur Kinderbetreuung? Gute-Kita-Gesetz.

Im vorigen Jahr war Frank Persike in China. Da hat er gesehen, dass es auch anders geht. „Da steht ,Kindergarten’ sogar an der Fassade! In deutschen Lettern!“ In Brooklyn, New York, gibt es eine Kindergarten-Gesellschaft, die „Brooklyn Kindergarten Society“. Überhaupt ist der Kindergarten in aller Munde, in aller Welt. „In mehr als 40 Sprachen wird das Wort verwendet, nur bei uns kaum noch“, beklagt Persike, 71. Er will das ändern. Die Kita soll wieder zum Kindergarten werden, geht es nach ihm.

Wer verstehen will, was Frank Persike antreibt, muss ihn besuchen und sich mit ihm auf Spurensuche begeben. Bad Blankenburg, 6 500 Einwohner, Thüringer Wald. Zwölf Jahre lang war Persike hier Bürgermeister. Jetzt ist der energische Mann mit dem sorgsam gestutzten grauen Bart Überzeugungstäter in Sachen Kindergarten.

Eine Geschichte, fast zu schön

Bad Blankenburg nennt sich Fröbelstadt. Der berühmte Reformpädagoge Friedrich Fröbel, geboren 1782 im nahen Oberweißbach, gilt als der Erfinder des Kindergartens. Den ersten hat er 1840 in Blankenburg gegründet, damals noch ohne den Zusatz „Bad“.

Die Idee für den Namen soll ihm bei einem Spaziergang mit einem Freund gekommen sein. Sie standen oberhalb des Städtchens an einem Hang und blickten ins Tal. „Wie ein wunderschöner Garten“, soll Fröbel gesagt haben, „dort können wir unsere Kinder behütet aufwachsen lassen.“

Fröbels Pädagogik, wonach kleine Kinder vor allem im Spiel lernen, revolutionierte die frühkindliche Bildung. Andere Pädagogen griffen später Grundsätze seiner Ideen auf. In etlichen Ländern sind Fröbel und seine Spielgaben noch heute maßgeblich.

Als revolutionär erwies sich Fröbel auch in anderer Hinsicht: Im thüringischen Marienthal gründete er 1850 eine Schule für Kindergärtnerinnen - zu einer Zeit, in der Frauen im Berufsleben keine Rolle spielten.

Dass sich Fröbels Ideen weltweit verbreiteten, ist indirekt den Preußen zu verdanken: 1851 verboten sie Kindergärten vorübergehend als „destruktiv“. Die Obrigkeit hielt Bildung und Erziehung kleiner Kinder für staatsgefährdend. Die ersten Kindergärtnerinnen aus Thüringen wanderten daraufhin in andere Länder aus - und der Begriff „Kindergarten“ wanderte mit.

Dem Kindergarten-Verbot ist es wohl auch geschuldet, dass der älteste durchgängig betriebene Kindergarten Deutschlands nicht in Bad Blankenburg steht, sondern in Zörbig (Anhalt-Bitterfeld). Das „Rotkäppchen“ war 1846 als „Kinderbewahranstalt“ gegründet worden, so wie vor Fröbel üblich. So blieb die Einrichtung wohl unter dem Radar der preußischen Behörden.

››Die Initiative im Netz: dieweltsprichtkindergarten.de

Die Geschichte klingt beinahe zu schön um wahr zu sein. Sie sei aber belegt, versichert Isabel Schamberger, die Leiterin des Fröbel-Museums in Bad Blankenburg. Es ist in dem Haus untergebracht, in dem sich einst Fröbels erster Kindergarten befand, unweit des Marktplatzes.

Initiative will Begriff „Kindergarten“ wieder im Sprachgebrauch etablieren

Mehr als 170 Jahre später will eine von Frank Persike gegründete Initiative den Begriff „Kindergarten“ langfristig wieder im deutschen Sprachgebrauch verankern. Wenigstens aber in der Verwaltungssprache. Titel: „Die Welt spricht Kindergarten.“ Sie haben online fast 7000 Unterschriften gesammelt und eine Petition an den Thüringer Landtag gerichtet. Der muss nun entscheiden, ob zumindest der Freistaat dem Ansinnen folgt. Der Initiator ist optimistisch: „Im Petitionsausschuss gab es positive Signale.“

Frank Persike hat recherchiert: Das Kürzel Kita tauchte erstmals 1978 in einem Landesgesetz in Nordrhein-Westfalen auf. Von dort verbreitete es sich erst im Westen, später im Osten der Republik - und verdrängte mehr und mehr die Bezeichnung Kindergarten

Aber warum soll das ein Problem sein? Der Begriff sei „unwissenschaftlich“ erwidert Persike, „da steckt kein Inhalt drin“. „Kindergarten“ vermittle hingegen Fröbels Verständnis von Kindern, die man wie zarte Pflänzchen hegen und pflegen müsse, die behütet aufwachsen sollten. „Fröbel war eigentlich ein Schulmann“, schildert Persike. Unweit von Bad Blankenburg hatte er einst ein Internat gegründet. „So kam er darauf, dass Kinder auf die Schule vorbereitet werden müssen.“

Würfel, Walze und Kugel - Fröbel entwickelte Spielgeräte

Fröbels Überzeugung war, dass Kinder spielend lernen sollten. Daher entwickelte er grundlegende Spielgeräte: Würfel, Walze und Kugel. Es gibt verschiedene Varianten - Würfel und Quader längs, quer oder diagonal geteilt, in verschiedenen Variationen zusammenzusetzen. Fröbel nannte sie Spielgaben. In Kindergärten, die nach seinem Konzept arbeiten, werden sie heute noch verwendet. Mit dem Spiel mit Körpern und geometrischen Formen habe Fröbel auch mathematisches Wissen vermitteln wollen, sagt Museumschefin Schamberger.

Auf Würfel, Walze und Kugel trifft man in Bad Blankenburg auf Schritt und Tritt. Am „Fröbel-Blick“, wo Fröbel versonnen ins Tal geblickt haben soll, stehen sie als Gedenkstein, ebenso in einem Park am Freibad. Vor dem Kindergarten „Fröbelhaus“ finden sich die geometrischen Körper in Gestalt von Skulpturen.

Fröbels Ideen, zum Denkmal geronnen: Frank Persike sorgt sich, dass mit dem Begriff Kindergarten über kurz oder lang auch diese Ideen in den Hintergrund geraten. Ist das wirklich eine Gefahr? Schließlich hat jedes Bundesland Bildungspläne für die frühkindliche Erziehung. Und landauf, landab arbeiten Kitas - pardon: Kindergärten - nach verschiedenen pädagogischen Konzepten. Alles richtig, sagt Persike. „Aber Fröbel ist die Grundlage von allem. Das darf nicht in Vergessenheit geraten.“ Es gehe um weit mehr als um Sprachpflege.

Kitaverband hat noch nie von der Initiative gehört

Nämlich auch um Tourismus, das räumt der ehemalige Bürgermeister unumwunden ein. Die Initiative solle auch dazu beitragen, Bad Blankenburg bekannter zu machen. Mit Fröbel habe man schließlich „ein touristisches Pfund, mit dem wir wuchern können“.

Vorher müssen sie aber wohl noch eine ganze Menge Überzeugungsarbeit leisten. Anruf beim Deutschen Kitaverband, der bundesweit freie Träger von Kindereinrichtungen vertritt. Dort hat man von der Initiative aus Bad Blankenburg noch nie gehört. Auf Nachfrage heißt es, der Name sei nicht ausschlaggebend für die Qualität der Betreuung: „Das ist kein Beitrag zu einer Qualitätsdebatte.“

Im Bad Blankenburger Fröbel-Museum sitzen wenige Tage später Erzieherinnen aus Halle um einen langen Tisch. Sie haben eines der Seminare gebucht, die hier regelmäßig angeboten werden: Einführung in die Ideen Fröbels. Die Frauen, nur ein Mann ist dabei, stapeln Bauklötze oder legen bunte Holzplättchen zu Mustern aneinander. Spielend lernen, das gilt auch für Erwachsene.

Frank Persike nutzt die Gelegenheit, um seine Initiative vorzustellen - und erntet skeptische Blicke. Auch die Gäste aus Halle haben davon noch nie gehört. Eine Frau sagt: „Wir haben ganz andere Probleme, zum Beispiel den Personalschlüssel. Welcher Name vorne dran steht, ist da erstmal nicht so wichtig.“ Trotzdem, so der Eindruck, finden sie eine Renaissance des Wortes „Kindergarten“ ganz gut. „Wir heißen ja auch gar nicht mehr Kindergärtnerinnen“, sagt eine andere, „sondern Erzieherinnen.“

Warum nicht friedliche Koexistenz?

Noch ein Anruf, bei Wolf Schneider. Der Journalist und Sprachkritiker gilt als Deutschlands Sprachpapst; er hat etliche Sprach- und Stilbücher verfasst. „Ich würde es begrüßen, das gute alte deutsche Wort Kindergarten wieder zu verwenden“, sagt Schneider. Aber muss dafür gleich die Kita aus dem Sprachgebrauch verschwinden? Schneider plädiert für eine friedliche Koexistenz: „Kita hat sich eingebürgert. Das ist kurz, das versteht jeder. Das muss man nicht abschaffen.“

Muss man doch, findet Frank Persike. Erst am Wochenende hat er wieder dafür geworben, beim Besuch einer chinesischen Delegation in Bad Blankenburg. Er hat nämlich auch die Deutsch-Chinesische Fröbelgesellschaft gegründet. „In China gibt es ein ganz starkes Interesse an Fröbel.“ Im eigenen Land dagegen muss Persike noch Klinken putzen gehen. Zum Beispiel in Weimar. Dort will er seine Kindergarten-Initiative am 17. Mai den deutschen Kultusministern vorstellen. Man wird von dem Mann noch hören.

Büste von Friedrich Fröbel
Büste von Friedrich Fröbel
Andreas Stedtler
In etlichen Ländern sind Fröbel und seine Spielgaben  noch heute maßgeblich.
In etlichen Ländern sind Fröbel und seine Spielgaben  noch heute maßgeblich.
Andreas Stedtler