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Gefälschte Hitler-Tagebücher Gefälschte Hitler-Tagebücher: Falsche Spur nach Köthen

Von Steffen Reichert 05.05.2008, 18:29

Köthen/MZ. - Es ist der Nachmittag des 6. Mai 1983, als "Stern"-Redakteur Michael Seufert in den sechsten Stock des Hamburger Verlagshauses von Gruner+Jahr bestellt wird. In der Vorstandsetage, soviel ist dem Journalisten klar, wird es nur um ein Thema gehen: Fünf Stunden zuvor ist die "Bombe" geplatzt - die vom "Stern" als Weltsensation angekündigten Hitler-Tagebücher sind als Fälschung entlarvt. Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) hat ein Gutachten des Bundeskriminalamtes präsentiert und damit einen der größten Presseskandale der Bundesrepublik öffentlich gemacht. Die Medien überschlagen sich.

Der Auftrag, den die versammelte Verlagsspitze Redakteur Seufert zuteil werden lässt, ist pikant. Seufert soll den Fall aufklären. "Eine undankbare Aufgabe", erinnert sich der Journalist 25 Jahre später an diese denkwürdige Begegnung mit Chefredakteur Henri Nannen und Verlagschef Gerd Schulte-Hillen. "Mir war klar: Je besser ich recherchiere, desto peinlicher wird es für das Blatt." Viel Zeit hat er nach diesem Freitag nicht. Am Montagabend, zum Redaktionsschluss für das nächste Heft, muss die Geschichte stehen.

Was Seufert erst in der Nacht des selben Tages von Gerd Heidemann hört - jenem Reporter, der die angeblichen Tagebücher beschafft hat -, lässt alle Alarmglocken schrillen. Dessen Kontaktmann mit dem Namen "Fischer" will die Tagebücher von einem NVA-General aus Köthen bei Halle erhalten haben. "Ich selbst bin in Bernburg geboren und wusste, dass es in Köthen nur sowjetische Truppen gab", erzählt Rechercheur Seufert. Und auch die Tatsache, dass Tagebücher und Geldzahlungen angeblich durch die Fenster fahrender Autos getauscht worden sein sollen, alarmiert ihn. "Als Berlin-Korrespondent kannte ich die Transitstrecke B 5 - die war so schlecht, da war man froh anzukommen."

Die Entscheidung fällt: Binnen weniger Stunden müssen Rechercheergebnisse aus der DDR her. Doch der "Stern" hat nur noch einen einzigen Mann in der DDR - den Fotografen Harald Schmitt. Sein Textkollege ist zuvor ausgewiesen worden, nachdem die beiden in der DDR akkreditierten Journalisten exklusiv über ein Attentatsversuch auf Erich Honecker und auch darüber berichtet haben, dass die Personenschützer den Attentäter erschossen. Weil die DDR die Schließung des "Stern"-Büros vermeiden will, darf Schmitt als Letzter in Ostberlin bleiben, aber nicht mehr fotografieren. Schmitt macht sich am jenem Samstagmorgen von Berlin aus auf den Weg. Inzwischen weiß die Redaktion, dass der Kontaktmann "Fischer" in Wirklichkeit der im ostsächsischen Löbau geborene Kunstfälscher Konrad Kujau ist. Schmitt fährt mit seinem Pkw in den Bezirk Halle. Eine zwingend nötige Genehmigung des DDR-Außenministerium für das journalistische Vorhaben hat er nicht. "Am Mittag wusste ich mehr", erzählt er. Zwar gibt es in Köthen keinen General Heinz Fischer - die Spur ist trotzdem heiß. In der anhaltischen Kreisstadt lebte der mittlerweile verstorbene Heinz Kujau, ein Bruder des Fälschers. "Er arbeitete als Gepäckarbeiter bei der Reichsbahn und war freiwilliger Helfer der Polizei", so Schmitt.

Er rast weiter nach Löbau - und findet die Schwester des 1957 in die Bundesrepublik geflohenen Konrad Kujau. Ihr Mann arbeitet dort als Heizer in einer Klinik. Schmitt haut auf den Putz, unterstellt ihr, von dem Betrug gewusst und profitiert zu haben. Er lässt sich Postkarten Kujaus an die Verwandtschaft aushändigen, um später die Handschriften vergleichen zu können. Dann geht es zurück nach Berlin. Pünktlich um 18 Uhr kann Schmitt der Zentrale telefonisch melden: "Alles Betrug!"

Auf Schmitt kommt neuer Ärger zu. Kujaus Schwester in Sachsen geht zur Polizei, die Staatssicherheit schaltet sich ein, weil Schmitt eine Bürgerin belästigt habe. "Ich dachte damals, ich tue was Gutes, weil ich jeden Verdacht von der DDR nehme", sagt er heute.

Über das Außenministerium wird der Verlag Gruner+Jahr vor die Alternative gestellt. Entweder geht der Fotograf zurück in den Westen, dann dürfen zwei andere Journalisten des Verlags in der DDR arbeiten. Oder er bleibt - freilich ohne Arbeitsgenehmigung. Dann wird keine weitere Akkreditierung ausgestellt. Schmitt wird abgezogen, eine Ausweisung auf diese Weise vermieden. Drei Monate nach Auffliegen der Fälschung muss er zurück nach Hamburg. Die Spur in die DDR hat sich endgültig erledigt.