Geburtsdatum und Lebensweg Geburtsdatum und Lebensweg: Menschliches Schicksal von den Sternen

Halle (Saale) - Eine Korrelation bedeutet nicht notwendigerweise eine Ursache-Wirkung-Beziehung. So sind die Abnahme der in den alten Bundesländern brütenden Weißstorchenpaare und der gleichzeitige Geburtenrückgang kein Beweis dafür, dass Störche die Babys bringen. Doch dass das Geburtsdatum einen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Menschen hat, scheint inzwischen durch die Masse der von Forschern ausgewerteten Daten belegt. „Es wird schon lange vermutet, dass die ersten Abschnitte unseres Lebens besonders nachhaltige Auswirkungen auf unser Leben haben können“, erklärt Thorsten Reffelmann von der Uni Greifswald. Das Warum liegt jedoch noch im Reich der Spekulation.
Manche Menschen glauben, dass das Sternzeichen den Charakter des Menschen bestimmt. Wissenschaftliche Beweise gibt es dafür nicht. Was bislang ins Reich der Astrologie gehörte, beschäftigt aber immer mehr wissenschaftliche Disziplinen: Statistiken werden mit unterschiedlichen Fragestellungen nach einem Zusammenhang mit dem Geburtsdatum abgeklopft. Nicht die Konstellation der Sterne, sondern die jahreszeitlich unterschiedlichen Umweltbedingungen, wie Tageslicht, Witterung und Ernährung in der Schwangerschaft, beeinflussen den weiteren Lebensweg entscheidend, vermuten die Wissenschaftler.
So legten die Altersforscher Leonid Gavrilov und Natalia Gavrilova von der Uni Chicago eine Studie vor, die die Daten von mehr als 1 500 über Hundertjährigen vergleicht. Zwischen September und November geborene Menschen haben danach deutlich größere Chancen, die 100 zu überschreiten, als in anderen Monaten geborene. Dabei haben die Forscher auch die Daten der Geschwister herangezogen, weil sie eine ähnliche Kindheit und genetische Ausstattung haben, und die der Ehepartner, weil sie die Lebensumstände im Erwachsenenalter teilten. Unter den über Hundertjährigen waren deutlich mehr Herbstkinder.
Dass Herbstbabys grundsätzlich älter werden, hat vor einigen Jahren schon Alexander Lerchl von der Jacobs Universität Bremen nach der Analyse umfangreicher Daten aus Nordrhein-Westfalen herausgefunden. Bis zu einem Jahr werden Menschen, die im letzten Jahresviertel geboren wurden, älter als jene aus den anderen Monaten. Diese Ergebnisse decken sich mit einer Analyse des Max-PIanck-Instituts (MPI) für demografische Forschung Rostock anhand von Daten des Bundespräsidenten, der allen 105-Jährigen zum Geburtstag gratuliert. Danach haben im Dezember Geborene eine um 16 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, dieses Alter zu erreichen. „Hingegen ist es für Juni-Kinder um 23 Prozent weniger wahrscheinlich, den 105. Geburtstag zu feiern als für den Durchschnitt“, erläutert Rembrandt Scholz vom MPI.
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Das Team um Thorsten Reffelmann wollte nun wissen, ob die Jahreszeit der Geburt in einem Zusammenhang steht mit dem Risiko, an einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall zu sterben. Dafür haben die Forscher über sechs Millionen Herz-Kreislauf-Todesfälle analysiert. Von den Herz-Kreislauf-Toten waren im November geborene Frauen im Durchschnitt 7,3 Monate älter geworden als im Mai geborene. Bei Männern lag die Zahl sogar bei 11,7 Monaten. „Diese Abhängigkeit war erstaunlicherweise in allen analysierten Untergruppen festzustellen, beispielsweise sowohl in nördlichen und südlichen Bundesländern, in Bundesländern mit hoher Lebenserwartung und niedriger Lebenserwartung, als auch in ländlichen Gegenden und in Großstädten“, erläutert Reffelmann.
Über den Grund der geburtstagsabhängigen Lebenserwartung gibt es verschiedene Spekulationen. Die Chicagoer Forscher vermuten die Ursache in Infektionen. In den ersten Lebensjahren der heute über Hundertjährigen sei die Zahl vor allem der tödlich verlaufenden Sommerinfektionen deutlich höher gewesen als in den folgenden Jahrzehnten. Scholz betont, dass „das Nicht- oder Abstillen während der heißesten Jahreszeit zu vermehrten Infektionen führte, die viele Kinder nicht überlebten.“ Dadurch könnten sich jahreszeitlich unterschiedliche Todesraten erklären. „Der Zusammenhang zwischen Geburtsmonat und Überlebenswahrscheinlichkeit weist auf die Bedeutung der ersten Lebensjahre für Gesundheit und Krankheit im Erwachsenenalter hin.“
Auch der jahreszeitlich unterschiedliche Hormonspiegel wäre eine mögliche Erklärung. Im Frühling und Sommer wird im Gehirn mehr vom „Gute-Laune-Hormon“ Serotonin, in der dunklen Jahreszeit mehr vom „Müdemacher“ Melatonin gebildet. Lerchl jedoch hält die Vitamin-Theorie für plausibler. „Mütter von Herbstbabys verfügten früher in Schlüsselmomenten der Kindesentwicklung weit eher über wichtige Nährstoffe als jene von Frühjahrsbabys, da man mehr von der Verfügbarkeit landwirtschaftlicher Produkte abhing“, sagt der Biologe.
„Wir können über die Faktoren, die in unseren ersten Lebensmonaten vor oder nach der Geburt einen so prägenden Einfluss auf das Herz-Kreislauf-Risiko ausüben, derzeit nur spekulieren“, sagt Reffelmann. „Neben meteorologischen Daten oder der Sonnenlichtexposition sind auch viele andere Einflussgrößen denkbar.“
Nicht nur der Zeitpunkt der Geburt birgt spätere Risiken, sondern auch jeder folgende Geburtstag, haben Forscher der Universität Zürich im Juni gezeigt. Das Team um Vladeta Ajdacic-Gross, Soziologe und Suizidforscher, hat aus 40 Jahren die Sterbedaten von mehr als zwei Millionen Menschen ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass die Gefahr zu sterben am eigenen Geburtstag deutlich größer ist als an jedem anderen Tag, im Schnitt um 14 Prozent, bei Personen über 60 sogar um 18 Prozent. „Wir fanden heraus, dass Geburtstage viel häufiger tödlich enden als vermutet“, sagt Ajdacic-Gross.
Die Forscher haben auch die einzelnen Todesursachen am Geburtstag unter die Lupe genommen: Tödliche Herzinfarkte sind 18,6 Prozent häufiger, das Risiko an Krebs zu sterben ist um zehn Prozent erhöht und bei Frauen ist der Gehirnschlag um 21,5 Prozent wahrscheinlicher. Bei Männern indes sind Selbstmord am Geburtstag um 35 Prozent und tödliche Stürze um 29 Prozent wahrscheinlicher. Bei letzteren, vermutet Ajdacic-Gross, spielt wohl der „Geburtstags-Blues“ gepaart mit Alkohol eine Rolle, bei den anderen Todesraten Stress um den Geburtstag.
Vor drei Jahren untersuchten Wissenschaftler der Universität Indianapolis den Zusammenhang von Geburtsmonat und insgesamt 22 verschiedenen Geburtsschäden wie Offener Rücken, Klumpfuß, Lippenspalte oder Down-Syndrom. Im Schnitt sind drei von 100 Neugeborenen davon betroffen. Erfasst wurden die Daten von über 30 Millionen Babys in einem Zeitraum von sechs Jahren. Studienleiter Paul Winchester stellte fest, dass diese Krankheiten sich besonders bei Kindern häuften, die von April bis Juli empfangen worden sind.
Es existieren weitaus mehr Studien, die die Korrelationen mit dem Geburtsmonat beleuchten. So sollen Sommerkinder häufiger kurzsichtig werden, Frühlingsmädchen früher ihre Wechseljahre und Sommermädchen weniger Kinder bekommen. Frühlingsjungen hingegen zeugen überdurchschnittlich viel Nachwuchs und im Mai geborene Menschen erkranken vermehrt an Multipler Sklerose. Die Ursachen dafür aber liegen im wissenschaftlichen Dunkel. (mz)