1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt Konzerte: Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt Konzerte: Lautlos Musik erleben

Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt Konzerte Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt Konzerte: Lautlos Musik erleben

Von Antonie städter 22.02.2014, 17:47
Gebärdensprachdolmetscherin Laura Schwengber in Aktion beim Konzert mit der Band Revolverheld
Gebärdensprachdolmetscherin Laura Schwengber in Aktion beim Konzert mit der Band Revolverheld NDR/Marco Maas/Fotografirma Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Auf Konzerten trägt Laura Schwengber am liebsten Schwarz - oder zumindest gedeckte Farben. Jedenfalls, wenn sie selbst auf der Bühne steht. Dank des dunklen Outfits erkennt man dann ihre Hände besser. Und auf die kommt es bei den Auftritten der 24-Jährigen ganz besonders an. Sehr elastisch muss ihre Kleidung zudem sein. Schließlich kommt sie mächtig in Bewegung an solchen Abenden mit Bands wie Selig, Keimzeit oder Revolverheld. Bis sie dem Publikum vorgestellt wird, grübeln die Leute meist, wer die junge Frau vorn am Bühnenrand sein mag, auf die die ganze Zeit ein Spot gerichtet ist. Eine Backgroundsängerin? Oder doch eine Tänzerin? Ganz falsch: Laura Schwengber ist Gebärdensprachdolmetscherin. Sie übersetzt Lieder auf Konzerten live für Gehörlose. Und eröffnet ihnen damit ein ganz neues Musik-Erleben.

Ständig neue Anfragen

„Ich wollte es eigentlich auf fünf Konzerte im Jahr begrenzen“, erzählt Laura Schwengber in einem dieser hippen Berlin-Mitte-Cafés. Daraus wurde allerdings nichts: „Im Sommer vorigen Jahres dachte ich dann, ich müsste es auf fünf Konzerte im Monat begrenzen“, sagt Schwengber grinsend, die in Magdeburg und Berlin Gebärdensprachdolmetschen studierte - und nun noch Gebärdensprachpädagogik und Englisch dranhängt, um später Gehörlose zu unterrichten. Seit sie vor gut einem Jahr zum ersten Mal Lieder live in einem Konzert - damals bei den Musikern von Keimzeit - übersetzte, kommen ständig neue Anfragen. Allein im vorigen Dezember trat sie acht Mal auf. Auch die Medien sind mächtig interessiert an der Mittzwanzigerin mit dem ungewöhnlichen Nebenjob: Sogar die britische BBC hat kürzlich über sie berichtet.

Unter Hörgeschädigten haben sich die besonderen Konzerte sehr schnell herumgesprochen, erzählt Laura Schwengber, die privat gerne die Band Jupiter Jones hört. „Die Gehörlosengemeinschaft ist ja sehr gut vernetzt.“ Bei ihrem ersten Konzert dieser Art, jenem von Keimzeit, habe eine Gruppe Gehörloser vor der Bühne gestanden und gebärdet. „Irgendwann habe ich kapiert, dass sie mitsingen - und ich sie dazu inspiriert habe“, erzählt Laura Schwengber, die aus Lübben im Spreewald stammt.

In Deutschland verständigen sich gehörlose und schwerhörige Menschen mit der Deutschen Gebärdensprache, die über eigene Gebärdenzeichen und eine vollständige Grammatik verfügt. Rund 200 000 Personen nutzen sie. Unter den hierzulande etwa 16 Millionen Hörbehinderten sind laut Deutschem Gehörlosen-Bund rund 80 000 gehörlos.

Das Fingeralphabet bildet mit Handformen die Buchstaben des Alphabets ab. Es wird in der gebärdensprachlichen Kommunikation genutzt, um etwa Eigennamen oder Fremdwörter zu buchstabieren.

Nicht vergessen wird sie auch die Worte eines Mannes, der in einer Konzertpause zu ihr kam und in Gebärdensprache sagte: „Ich 60 Jahr alt, jetzt ich erste Mal Konzert gewesen. Danke.“ Die Reaktionen des hörenden Publikums reichen „von Irritation bis Begeisterung“, sagt Schwengber, die an diesem Tag schon ein Seminar für einen tauben Lehramtsanwärter übersetzt hat. Denn sie arbeitet auch als freiberufliche Gebärdensprachdolmetscherin - mal in der Uni, mal bei Kongressen.

Doch wie übersetzt man Konzerte in Gebärdensprache? Sie selbst beschreibt das so: „Rhythmus, Stimmungen, Noten und Ausdruck verbinden sich mit Text und Tanz.“ Je nach Tonhöhe setzt sie beispielsweise die Gebärden höher oder tiefer am Körper an. Die Melodie transportiert sie durch tänzerische Elemente. Und bei poetischen Liedtexten oder Metaphern überlegt sie vorher lange, welche Gebärden und welcher Ausdruck sich eignen. „Manchmal ist es wichtiger, den Stil des Liedes rüberzubringen, als auf jedes Grammatikdetail zu achten“, so die Frau, die ihre Worte auch im Interview oft mit Gesten untermalt. Und von sich selber sagt: „Ich habe Lampenfieber - jedes Mal. Doch es macht Spaß, auf der Bühne zu stehen.“ Auf die Konzerte bereitet sie sich mehrere Wochen vor: Von den Bands bekommt sie die Liste der Lieder samt Zugaben, „die ziehe ich mir aufs Telefon und höre sie die ganze Zeit, um sie auswendig zu lernen“, erzählt sie.

Zwei Leidenschaften

Mit den Auftritten könne sie zwei Leidenschaften verbinden: die Musik und die Gebärdensprache. Nach dem Abitur wollte Laura Schwengber, die als Jugendliche in Lübben alle möglichen Kreativkurse von Tanz bis Gesang belegt hatte, etwas mit Musik machen, „zum Beispiel Eventmanagerin“. Doch dann überlegte sie es sich anders. Und belegte ihren ersten Gebärdenkurs.

Mit Edi hatte alles angefangen. Sie war zwölf, als sie ihren besten Freund kennenlernte, er neun. Schon da konnte er aufgrund einer seltenen Krankheit schlecht sehen und hören. Als er nach kurzer Zeit erblindete und taub wurde, erfanden die beiden eine eigene Sprache für sich: Jeder Buchstabe bekam eine Art Klopfzeichen. „Wenn ich ihm zum Beispiel auf den Kopf tippe, ist das ein ,i’, der Finger auf der Nase ein ,n’.“ Noch heute kommunizieren sie mitunter auf diese Art - etwa, wenn sie ins Kino gehen und sie für ihn übersetzt. „Dann fuchtele ich ihm die ganze Zeit im Gesicht rum“, erzählt sie schmunzelnd. Längst haben beide natürlich auch die offizielle Sprache von Taubblinden, das Lormen, drauf.

Vor zweieinhalb Jahren erreichte Laura Schwengber, damals schon Studentin im Gebärdensprachdolmetschen, eine ungewöhnliche Anfrage: Der NDR-Jugendradiosender N-Joy suchte nach jemandem, der Musikvideos für Gehörlose übersetzen kann. Sie konnte. Ihre Videos erfahren bis heute eine enorme Resonanz, werden auf Youtube zehntausendfach angeklickt.

Auch ein Fan von Keimzeit sah die Videos im Netz und sorgte schließlich dafür, dass die Gebärdensprachdolmetscherin auf die Bühne kam. Die Konzertbesucherin war selbst ertaubt, konnte die Texte neuerer Lieder nicht mehr verstehen - und ging mit ihrer Idee auf die Band zu. Nur gut ein Jahr später ist Laura Schwengber eine Bekannte in der Gehörlosengemeinschaft. Und sie wagt weiter Neues: Im März tritt sie zusammen mit der Band Fools Garden und dem Deutschen Filmorchester Babelsberg auf - ihr erstes englischsprachiges Konzert.

Laura Schwengber im Internet: www.lauramschwengber.de