1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Ganzjahres-Tourismus im Harz: Ganzjahres-Tourismus im Harz: Visionen für "Schierke 2020"

EIL

Ganzjahres-Tourismus im Harz Ganzjahres-Tourismus im Harz: Visionen für "Schierke 2020"

Von Günter Kowa 15.03.2014, 12:18
Die „Schierke Arena“: Der Entwurf für das Flugdach über dem denkmalgeschützten Eisstadion in einer Computersimulation
Die „Schierke Arena“: Der Entwurf für das Flugdach über dem denkmalgeschützten Eisstadion in einer Computersimulation graft architekten/ Stadt Wernigerode

Schierke/Wernigerode - Beim Harzer Urlaubsort Schierke fällt allen gleich das Wort vom „St. Moritz des Nordens“ ein, und dass es damit lange vorbei sei, wie die einstigen Nobelhotels bezeugen. Im „Heinrich Heine“, das als „Fürst zu Stolberg“ im Jahr 1898 dem neuen Luftkurort Glanz gab, residieren Schimmel, Algen und Hausschwamm. Das „Kurhotel Barenberger Hof“, später FDGB Ferienheim, ist verwüstet und geplündert. Das „Hotel König“ ist halb abgebrannt. Doch Schierke hat Pensionen und Ferienwohnungen - und treue Stammgäste. Familien, Wanderer und Langläufer sorgen sogar für steigende Übernachtungszahlen.

Trotzdem verliert Schierke Einwohner, und die Übriggebliebenen werden immer älter. Seit Jahren stagniert der Ausbau, zu Stoßzeiten erliegt die Hauptstraße dem Infarkt des Such- und Parkverkehrs. Dennoch lieben viele Harzgäste Schierke so wie es ist: mit Loipen, Rodelhängen und Wanderwegen. Aber das reicht nicht, um den Ort „auf eigene Beine zu stellen“, heißt es in Wernigerode, wohin Schierke 2009 eingemeindet worden ist.

Alte Versäumnisse

Bürgermeister Peter Gaffert (parteilos) macht Druck. Er will aufholen, was aus seiner Sicht von der vorigen Verwaltungsgemeinschaft aus Finanz- und Entschlussschwäche versäumt wurde. Der Berliner Architekt Wolf Eisentraut hat ihm ein „Ortsentwicklungskonzept“ erstellt, Visionen für „Schierke 2020“ auf 66 Seiten. Das „gestaltlose“ Zentrum soll zum autofreien Kurpark mit Wandelgängen und „Veranstaltungs- und Begegnungsmöglichkeiten“ werden, und zumindest eines der Hotels in altem Glanz auferstehen.

Daran knüpft Wernigerode massiv erweiterte Pläne. „Es braucht zusätzliche Rahmenbedingungen“, sagt Planungsdezernent Burkhard Rudo. „Berge allein reichen nicht.“ Man will nicht nur auf Wintersport setzen, dabei mit Nachbar Braunlages steilen Pisten und Apres-Ski-Glitzer konkurrieren und in klimagewandelten Wintern um Schnee fürchten. Es geht um Ganzjahrestourismus. Das Land unterstützt das 40 Millionen Euro teure Konzept mit 33 Millionen Euro. „365 Tage Sport, Bewegung, Spaß und Erholung am Berg“ sollen möglich sein, und gerne auch, sagt Gaffert, gemeinsam mit Braunlage.

Der Slogan klingt nach Marketing. In der Tat liegt die Planung für eine Fläche, die das Braunlager Skigebiet offenbar bei weitem übertrifft, mittlerweile in den Händen von „Input-Projektentwicklung“, einer Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz und Referenzobjekten in aller Welt. Laut Webseite weist „Input“ „traditionellen Tourismusgebieten“ den Weg zu „Themenwelten“, die „im Einklang mit der Natur“ dem „Erlebnis-Publikum der Zukunft“ „neue Entertainmentkonzepte“ beibringen: wie die „Zip Line“ (mit 130 Sachen am Drahtseil den Berg runter) oder die „Sky Swing“ (Riesenschaukel mit „Fahrgefühl nach Kundenwunsch“) oder der Renn-Roller für bergabwärts „ungetrübten Fahrspaß“. Gegen derlei Rummel dürfte Schierkes ratternde Sommerrodelbahn bald alt aussehen.

Kletterwald und Waldsee

Auf ersten Plänen zum „Erlebnisgebiet“ sind „Aktivitäten“ wie „Spielstationen“, „Kletterwald“ oder „Aussichtserlebnis“ skizziert, für den Winter Skihang und „Beschneiungsanlagen“ samt Wasserversorgung aus einem „Waldsee“, der im Sommer den Wasserspielplatz speist. Über den Abfahrtshang höhnen Alpin-Skienthusiasten in Internetforen, er sei zu kurz und zu flach, während Naturschützer Wasserverschwendung und Felssprengungen wie in Braunlage befürchten. „Das sehen wir überhaupt nicht problematisch“, beschwichtigt Rudo. Familien seien die Zielgruppe, und „nichts geschieht ohne naturschutzfachliche Begleitung“. So ein Waldsee könne doch „guten Einfluss auf die Landschaftsästhetik“ haben. Der Nationalpark Harz hält sich heraus, da das Freizeitprojekt nicht in seinen Grenzen liegt. „Wir wollen der Kommune keine Vorschriften machen“, sagt Sprecher Friedhart Knolle. „Aber als Naturschützer“, sagt er, „sehe ich die Möblierung der Natur kritisch.“

Mittlerweile macht man im Ort erste Bekanntschaft mit der neuen Landschaftsästhetik. Am Bachlauf der Kalten Bode entstehen Brückenbauwerke und die neue „Umgehungsstraße“, die die geplante Fußgängerzone im Ortskern erst ermöglichen und die Zufahrt zum Parkhaus schaffen, das am Ortsende gebaut wird. Daneben ist die Talstation der Seilbahn vorgesehen, die das Freizeitparadies am Wurmberg erschließt. Die Straße schlägt eine sechseinhalb Meter breite Asphaltschneise brachial durch den Wald anstelle eines Forst- und Wanderwegs. Riesenhafte, zum am Hang haushoch geschichtete Felsquader sichern die Böschungen.

Gleichfalls im Bodetal will die Stadt die denkmalgeschützte Wintereisbahn aus den 30er-Jahren mit einem elegant geschwungenen Flugdach nach Entwürfen des angesagten Berliner Architekturbüros Graft überbauen. Damit, sagt Gaffert, könne eine künftige „Schierke-Arena“ auch Sport- und Konzertveranstaltungen anbieten.

Doch gibt es dafür Bedarf, fragt sich manch Stadtrat. CDU-Mann Christian Reinboth rechnet vor, dass pro Stellplatz im Parkhaus 11 000 Euro, für Buchkäufe der Wernigeröder Stadtbibliothek dagegen nichts aufgewendet wird. Kaum beachtet wird, dass in Schierke auch in Ferienhäuser investiert wird oder stilvolle Ferienwohnungen im renovierten „Alten Postamt“ entstanden. Reinboth fragt, wie die Stammgäste auf die drohende Bespaßungsmaschinerie reagieren. Für viele könnte sie das Gegenteil von dem sein, was sie am Harz schätzen: die Waldesruhe, die murmelnden Bäche und die unverfälschte Natur.

Das Zentrum von Schierke mit Fußgängerzone und Kolonnaden in der Vision des Planers Wolf Eisentraut.
Das Zentrum von Schierke mit Fußgängerzone und Kolonnaden in der Vision des Planers Wolf Eisentraut.
Architekturbüro Eisentraut / Stadt Wernigerode