1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Forschung: Forschung: Fraunhofer-Zentrum eröffnet in Leuna

Forschung Forschung: Fraunhofer-Zentrum eröffnet in Leuna

Von Ralf Böhme 30.09.2012, 17:35

Leuna/MZ. - Druck und Druck ist nicht dasselbe. Wer einen Autoreifen aufpumpt, dem reicht, wenn die Pfeilspitze irgendwo zwischen der Zwei und der Drei stoppt. Damit kann Daniela Pufky-Heinrich freilich kaum etwas anfangen. Ihre Versuchsanlage in Leuna funktioniert erst, wenn der Druck bis zu 250 Mal höher ist. Ohne Helm, Brille und andere Schutzmittel kommt ihr niemand durch die Tür. Denn die Chemikerin dreht mächtig auf, um dann mit verflüssigtem Kohlendioxid ausgewählte Bio-Abfälle in ihre nützlichen Bestandteile zu zerlegen. Wenn das gelingt, beginnt das eigentliche Abenteuer: "Die ausgewaschenen Stoffe sollen neue Eigenschaften erhalten", erklärt Daniela Pufky-Heinrich.

Mit diesem Spezialgebiet gehört die 35-Jährige in der Chemie zu den Ausnahmen, erst recht als Frau. Kaum 20 Prozent der Spitzenkräfte in der Forschung sind weiblich. Höher ist dieser Anteil allerdings unter den 20 Wissenschaftlern der Fraunhofer-Gesellschaft, die künftig vor den Toren von Halle an der Ablösung von Erdöl als alles dominierenden Ausgangsstoff für die chemische Industrie arbeiten. Dazu nimmt die Gesellschaft am Dienstag nach zweijähriger Bauzeit im Industriepark ihr neues Zentrum für chemisch-biotechnologische Prozesse in Betrieb.

Der langgestreckte Neubau mit einer Fläche von 2 000 Quadratmetern liegt unübersehbar direkt an der B91 zwischen Merseburg und Weißenfels, gleich hinter dem Betriebszaun. Ziel der 45-Millionen-Euro-Investition sind dem Bauherrn zufolge neue Produktionsverfahren und marktreife Erzeugnisse. Dreiviertel der Ausgaben stecken in modernsten Technik-Modulen, mit denen sich chemische Prozesse unter industriellen Bedingungen testen lassen. Nicht zufällig steht über der Arbeit der Fraunhofer-Slogan "Wir erfinden die Zukunft". Das interessiert auch die Bundeskanzlerin. Angela Merkel (CDU) will sich am Eröffnungstag am Dienstag vor Ort informieren.

Mit Inbetriebnahme der ersten technischen Anlagen erfüllt sich für Daniela Pufky-Heinrich ein langgehegter Traum. Schließlich gehe es im Grunde um eine Existenzfrage der Menschheit: Ist der industrielle Umstieg auf nachwachsende Rohstoffe wie Holz und Stroh möglich? Die ersten Weichen dafür, dass die gebürtige Querfurterin an dieser gewaltigen Herausforderung mitarbeiten darf, stellt sie bereits in den 1990er Jahren. Nach ihrem Studium in Jena wechselt die Chemikerin an das international anerkannte Karlsruhe Institut of Technology. Was die junge Forscherin dort über neue Moleküle und Katalysatoren herausfindet, sichert ihr nicht nur den Doktorhut, sondern auch bald darauf den Start bei Fraunhofer in Stuttgart. Ihr Mann arbeitet fast nebenan, als Automatisierungsingenieur bei Mercedes.

Dass die Expertin für Materialforschung und Verfahrenstechnik nun nun dennoch in Leuna beginnt, ist aus ihrer Sicht eine logische Entscheidung. Denn dieser Standort gehört zum mitteldeutschen Cluster Bio-Ökonomie, einem europaweit einzigartigen Verbund von mehr als 80 Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen mit einem Jahresumsatz von 21 Milliarden Euro. Institutschef und Biotechnologie-Experte Prof. Thomas Hirth: "Im Labor funktionieren einige Verfahren, die Erdöl durch nachwachsende Rohstoffe ersetzen, schon sehr gut." Das Ganze aber auf industrielle Dimensionen zu übertragen, sei ein Kraftakt - selbst für große Unternehmen. Und genau an dieser Stelle werde das Zentrum die Lücke zwischen Forschung und Produktion schließen.

Daniela Pufky-Heinrich, die gerade die Plastik-Hüllen von den Möbeln in ihrem neuen Büro zieht, ist optimistisch: Wie Bund, Land und Branchenverbände rechnet auch sie schon bald mit der Ansiedlung weiterer High-Tech-Einrichtungen in unmittelbarer Umgebung. Beim Verstauen von Projektunterlagen entwickelt sie ihre Vision: "Geht das Konzept auf, entsteht im Chemie-Dreieck eine neue Forschungslandschaft." Arbeit und auch Aufträge gibt es ihrer Meinung nach mehr als genug. Die Mutter von zwei kleinen Kindern spricht in diesem Zusammenhang gern von einem Generationen-Projekt. Was die Stoffkreisläufe betreffe, stehe man weltweit doch noch ziemlich am Anfang.

Als geradezu klassisches Beispiel, das das Problem verdeutlicht, erwähnt sie ausgepresste Pflanzenmasse. Wenn Öl aus dem Raps raus sei, würden die Reste vielfach nur energetisch genutzt. "Dabei steckt doch viel mehr drin." Und noch ein Stichwort bringt die 35-Jährige beim Blick über das System aus Rohren, Ventilen, Kesseln und Instrumenten ins Schwärmen. "Wissen Sie, was man alles mit billigen Holzschnitzeln anfangen kann", fragt die Chemikerin. Der Laie zuckt da mit der Schulter und staunt, wenn die Frau laut überlegt: Aufgespalten in Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, ließen sich aus der Zellulose je nach Bedarf mal Zucker, dann Alkohol oder gar Ethylen machen - kurz viele Grundstoffe für Farben, Kunststoffe oder Kleber.

Auch Mikroalgen, die das Forschungszentrum selbst züchte, hätten ein Riesenpotenzial. Mit ihrer Hilfe gewinne man bereits Wirkstoffe für Kosmetika mit Anti-Aging-Effekt. Da klingt sogar der uralte Werbespruch "Chemie macht schön" fast wie neu.