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Forscher Ingo Barth am Max-Planck-Institut Forscher Ingo Barth am Max-Planck-Institut: "Es gibt keine Nachteile nur weil er taub ist"

Von Cornelia Fuhrmann 16.06.2015, 07:09
Ingo Barth beobachtet einen Versuch an einer Drahterodierungsmaschine. Er ist der erste deutsche Gehörlose mit einem Doktortitel in Chemie.
Ingo Barth beobachtet einen Versuch an einer Drahterodierungsmaschine. Er ist der erste deutsche Gehörlose mit einem Doktortitel in Chemie. Lutz Winkler Lizenz

Halle (Saale) - Wenn Ingo Barth das Büro von Angelica Zacarias betritt, fliegen keine Begrüßungsworte hin und her, sondern ein Lächeln, freundliche Blicke und Gesten. Dann greift Barth sich einen Stift und schreibt an eine weiße Tafel an der Wand. „Das machen wir öfter so“, sagt Zacarias. Der Grund ist, dass Barth gehörlos ist und sich hauptsächlich schriftlich und mit Gebärdensprache verständigt.

Ingo Barth und Angelica Zacarias sind Kollegen und arbeiten als promovierte Wissenschaftler im Theorie-Department am Max-Planck-Institut (MPI) für Mikrostrukturphysik in Halle. „Es gibt keine Nachteile, nur weil er taub ist. Wir müssen da nur ein paar Sachen anders machen“, sagt die gebürtige Mexikanerin Zacarias und es wird deutlich, dass das am MPI für Mikrostrukturphysik kein großes Problem ist.

In Barths Seminaren sind zwei Gebärdendolmetscherinnen anwesend, die seine Gebärden in Sprache, aber auch Fragen der Studenten in Gebärdensprache übersetzen. Zudem sei die technische Ausstattung des Seminarraums angepasst worden, beispielsweise mit Monitor für die Dolmetscher und einer Leinwand.

Noch sind dies externe Dolmetscherinnen. Doch: „Wir haben die Idee, Dolmetscher anzustellen. Das ist in Planung“, sagt sie. Barth sei seit Ende 2014 am Institut, „deswegen sind wir noch im Prozess, was wir machen könnten.“

Gleichzeitig wird aber neben Deutsch für die vielen ausländischen Mitarbeiter auch einmal pro Woche Unterricht für die hörenden Mitarbeiter des Departments in Gebärdensprache angeboten. „Damit wird es leichter für uns, direkt mit ihm zu kommunizieren“, sagt Zacarias, die das als Bereicherung empfindet. Für sie sei es nicht so viel anders, als eine Fremdsprache zu lernen. „Er spricht einfach nur eine andere Sprache“, sagt sie. Die Schwierigkeit sei, dass Gebärdensprache nicht universell sei, sondern in jeder Sprache anders. Jede Sprache habe eigene Zeichen. Aber es gebe ein Alphabet und einige universelle Zeichen.

„Er ist ein hervorragender Wissenschaftler und wir wollten ihn haben. Deswegen machen wir das“, sagt der Geschäftsführende Direktor am MPI für Mikrostrukturphysik, Eberhard Gross. Barth ist beispielsweise der erste deutsche Gehörlose, der einen Doktortitel in Chemie erworben hat.

„Ich bin wie die anderen Hörenden auch. Dass ich gehörlos bin und zugleich meine Karriere erfolgreich ist, zeigt, dass Gehörlose, die über entsprechende Bildung verfügen, auch erfolgreich sein können“, so Barth, der sich vor allem mit der Elektronendynamik in Atomen und Molekülen und deren Kontrolle durch Laser beschäftigt. „Wir untersuchen aktuell auch die elektronischen Ströme in schwingenden Molekülen und chemischen Reaktionen“, so Barth. Aufgrund seiner Gehörlosigkeit höre er keine Umgebungsgeräusche und könne sich besser auf seine Arbeit konzentrieren.

Doch er bringt sich auch selbst ein. „Ich versuche, die Zusammenarbeit am MPI für Mikrostrukturphysik inklusiv zu gestalten“, meint er. Vergangenes Wochenende hat er den ersten MINT-Workshop für gehörlose Naturwissenschaftler, Akademiker und Mediziner angeboten. „Schon vor einigen Jahren hatte ich den Gedanken für einen solchen Workshop“, so Barth, aber erst nach einer internationalen Konferenz für gehörlose Wissenschaftler in Belgien habe er mit der gehörlosen Biologin Nadia Kichler die Idee entwickelt, diesen am MPI für Mikrostrukturphysik zu veranstalten.

Unter anderem ging es dabei um das Thema Fachgebärden. „Es gibt nicht so viele Gebärden in der Forschung, sondern es müssen neue entwickelt werden“, sagt Zacarias. Dabei helfe Barth, der es spannend finde, an der Weiterentwicklung von Fachgebärden mitzuwirken. „Künftig sollen MINT-Fachgebärden verstärkt weiter entwickelt werden und in Form eines Online-Lexikons dokumentiert werden“, so Barth. Nachdem die erste Veranstaltung ein Erfolg war, soll es im Herbst einen weiteren Workshop geben.

Aber auch für die Lange Nacht der Wissenschaften am 3. Juli in Halle wartet das MPI für Mikrostrukturphysik dank Barth mit einem speziellen Angebot auf: Sonderführungen für gehörlose Menschen, die die deutsche Gebärdensprache beherrschen. Laut Zacarias sind noch einige wenige Plätze frei.

Anfragen mit Kontaktdaten per E-Mail an: [email protected]

Die Antrittsvorlesung von Stuart Parkin (links), der eine Humboldt-Professur an der Uni Halle erhalten hat, haben zwei Dolmetscherinnen für Ingo Barth in Gebärdensprache übersetzt.
Die Antrittsvorlesung von Stuart Parkin (links), der eine Humboldt-Professur an der Uni Halle erhalten hat, haben zwei Dolmetscherinnen für Ingo Barth in Gebärdensprache übersetzt.
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