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Flüchtlingsheim in Hoyerswerda Flüchtlingsheim in Hoyerswerda: "Wir haben keine Angst"

Von Bernhard Honnigfort 31.01.2014, 13:44
Ein Elefant aus Pappmache steht im Januar 2014 in Hoyerswerda (Sachsen) in der zu einem Heim für Asylbewerber umgebauten ehemaligen Förderschule.
Ein Elefant aus Pappmache steht im Januar 2014 in Hoyerswerda (Sachsen) in der zu einem Heim für Asylbewerber umgebauten ehemaligen Förderschule. dpa Lizenz

Hoyerswerda/MZ - Natürlich erinnert sich Grit Maroske an den 17. September 1991: Sie war damals mit ihrem Mann unterwegs im funkelnagelneuen Westauto Richtung Albert-Schweitzer-Straße. Ein warmer Abend. Eine Freundin hatte Geburtstag, es sollte ein netter Abend werden. Aber dann, kurz vor der Ankunft, stürmten Menschen um die Ecke auf sie zu, junge Kerle kletterten und trampelten über das neue Auto hinweg, wütendes Volk, das mit Steinen und Flaschen warf. Eine Schlacht war im Gange und sie waren mitten hinein geraten. Und dann begriff sie: Neonazis. Es ging gegen das Heim mit den ausländischen Vertragsarbeitern. Polizisten waren nicht zu sehen, die kamen erst zwei Stunden, nachdem es losgegangen war. Sie weiß es noch wie heute: Ihr Mann stieg damals aus dem Wagen, stellte sich zu den Hunderten Schaulustigen am Straßenrand und klatschte Beifall. Grit Maroske klatschte nicht. Sie ließ sich scheiden.

„Ein Dammbruch“

Natürlich erinnert sich Stefan Skora. Damals war er 31. Er ist in Hoyerswerda geboren. Eine Zeit lang hatte er im Braunkohleveredlungskombinat „Schwarze Pumpe“ gearbeitet, ab 1990 in der neu organisierten Stadtverwaltung. Er sah abends im Fernsehen, was los war. Übelste Ausschreitungen in seiner Stadt und er hatte gar nichts mitbekommen, so klein ist Hoyerswerda ja auch nicht. Es bestand aus zwei Welten: der historischen kleinen Altstadt und dem monströsen Plattenbaugebiet, der Neustadt. Skora wohnte in der alten, der Mob tobte in der neuen. Niemand schritt ein. „Ich dachte: ein Dammbruch. Es war entsetzlich.“

Skora ist heute Oberbürgermeister von Hoyerswerda, ein tatkräftig wirkender Mann. „Sollte so etwas wieder passieren, stelle ich mich dazwischen“, sagt er. Und Grit Maroske, 44, Mutter von fünf Kindern, verspricht es auch.
Es ist viel Zeit vergangen seitdem. Aber nichts hat Hoyerswerda so fest im Griff wie jene Tage im September 1991, als die Bilder von den Steinewerfern und den verängstigen Vietnamesen und Mosambikanern um die Welt gingen. Fünf lange Tage tobte der Mob. „Seitdem weiß ich, wie sich Faschismus anfühlt“, sagt Grit Maroske. „Normale Leute verwandeln sich in Menge, die sich mit Hass auflädt.“

So fing es damals an: Acht Neonazis hatten auf dem Markt Gemüsehändler angegriffen und sie ins Wohnheim verfolgt. Die Vietnamesen verteidigten sich, die Polizei kam und sah ebenso zu wie Hunderte andere. Danach zog der Mob vors Flüchtlingswohnheim, bewarf es mit Molotow-Cocktails und Steinen. 240 Asylbewerber aus Iran, Rumänien, Bangladesch lebten dort. Die Nachbarn klatschten Beifall, nur wenige versuchten, sich dem Pöbel in den Weg zu stellen.
Die 60 Vertragsarbeiter wurden von der Polizei evakuiert, nach Frankfurt am Main und nach Berlin gefahren und abgeschoben. Sondereinsatzkommandos der Polizei begleiteten die 240 Flüchtlinge in andere Heime. Grit Maroske: „Ich sah ein junges Mädchen in so einem Bus. Es sah aus dem Fenster. Und dann traf ein Stein das Busfenster und das Mädchen schrie.“

Am 21. September waren alle weg. Bei den Ausschreitungen gab es 32 Verletzte, 82 vorläufige Festnahmen, vier Verurteilungen. Die Neonaziszene erklärte Hoyerswerda anschließend für „judenfrei“. Das wirkt nach.
Hoyerswerda ist heute eine Stadt auf Bewährung, viele Menschen dort wissen es. Sie steht unter Dauerbeobachtung. Seit ein paar Tagen hat die Stadt wieder ein Flüchtlingsheim, aber noch keine Flüchtlinge. Sie werden kommen, 120, wann, steht noch nicht fest. Seit September 2013 weiß man es. Die alte Förderschule in der Dillingerstraße ist umgebaut worden.

Der Tag wird kommen. Diesmal soll alles gut werden. Die Stadt will ein Zeichen setzen und Moral zeigen. Grit Maroske treibt die Sache an. Sie hat Pro Asyl Hoyerswerda gegründet und mit anderen zusammen die Bürgerinitiative „Hoyerswerda hilft mit Herz“. Die blonde Frau ist sehr aktiv geworden. Sie tut alles, damit der Kraftakt gelingt.

Ungefähr 120 Mitstreiter hat sie. Anständige Leute, die sich schämen wegen damals. Sie bieten ihre Hilfe an, wollen etwas tun und nicht zusehen. Sie sammeln Kleidung, alte Lehrerinnen bereiten Sprachkurse vor, andere wollen bei Behördenkram oder im Heim helfen oder einfach nur mal zum Kaffee vorbeischauen.

Am Donnerstag war Tag der offen Tür und abends Bürgerforum. Hunderte sind gekommen, ein Gedränge, als hätte ein Möbelcenter mit Billigangeboten eröffnet. „Ich will doch mal sehen, was die mit den 900 000 Euro gemacht haben“, sagt eine alte Frau auf Krücken. Anschließend muss sie noch ins Schwimmbad. Das vierstöckige Haus ist ein heller, aber schlichter Bau: Linoleumböden in Blau und Orange, Zimmer mit Doppelbetten, ein Raum mit Spielsachen, ein Versammlungszimmer. Alles nützlich und zweckmäßig, nicht karg, aber auch kein Hauch von Luxus. Das sollen alle sehen und begreifen.

Das Geld. Nicht nur die Frau auf Krücken grummelt vor sich hin. Steuergelder. Ob das denn sein muss? Und so viele „auf einem Haufen?“, meint eine jüngere Frau. Andere halten dagegen: „Wenn Not ist, muss geholfen werden“, erhebt ein älterer Herr seine Stimme.

Mitten in dem Trubel steht Skora, der Oberbürgermeister. Hoffen und Bangen. Er unterstützt die neue Bürgerinitiative. Er will, dass sie wächst und das Geschehen und die neue Wahrnehmung seiner Stadt bestimmt. Hoyerswerda bestehe aus drei Teilen, sagt er. Ein Drittel sei für das Heim, einem Drittel sei es egal, ein Drittel sei dagegen. Und: „Ja, ich habe ein bisschen Restangst.“

Am letzten Montag konnte man verstehen, warum. Im Amtsgericht endete der Prozess gegen acht junge Männer, die im Oktober 2012 ein junges Paar zu Hause bedroht hatten. Das Paar war gegen Neonazis und kratzte rechte Aufkleber von Laternenmasten. Da hatte sich die Szene gerächt und die jungen Leute zu Hause „besucht“, hatte versucht in die Wohnung einzubrechen und beide mit dem Tode bedroht. Der Fall machte Hoyerswerda mal wieder bundesweit bekannt. Die Geschichte klang, als wäre die Zeit 1991 stehen geblieben: Polizisten trauten sich nicht, gegen die Neonazis vorzugehen. Stattdessen empfahlen sie dem Paar, die Stadt zu verlassen. Dann das Urteil des Amtsgerichts: Sieben Bewährungsstrafen, ein bereits im Knast sitzender Neonazi bekommt fünf Monate Aufschlag.

Pfarrer Jörg Michel von der Martin-Luther-King-Gemeinde hat sich den Prozess angesehen. Er ist 49 Jahre alt und lebt seit 1993 in Hoyerswerda. Man müsse sich einmal vorstellen, was da passierte: Acht Neonazis bedrohen das Paar, fünf Polizisten seien dazugekommen und hätten sich nicht getraut, die Personalien aufzunehmen.

Rechte machen mobil

So groß, wie es manchmal erscheint, ist die rechte Szene in Hoyerswerda gar nicht. Die NPD hat einen Stadtrat, der nichts macht. Es gibt eine freie Nazi-Szene, etwa 25 bis 35 Rechtsextreme. 35 bei 35 000 Einwohnern. Eigentlich sollte das kein Problem sein.
Ist es aber. Es sei ein Gefühl entstanden, die Neonazis könnten machen, was sie wollen, sagt der Pfarrer. Kaum war vergangenen Herbst in der Stadt die Nachricht vom neuen Flüchtlingsheim bekannt, machten die Rechten im Internet mobil: „Nein zum Heim.“ In kürzester Zeit hatten mehr als Tausend Leute ihr „Gefällt mir“ geklickt. Nun fürchten der Pfarrer, der Oberbürgermeister, Frau Maroske und ihre Mitstreiter, es könnte werden wie in Schneeberg im Erzgebirge, wo die Rechten abends Fackelmärsche gegen ein Flüchtlingsheim inszenierten.
Aber sie sind guten Mutes, sie haben sich vorbereitet, sie haben Pläne in der Tasche für den Fall der Fälle. Wenn die Flüchtlinge kommen, dann soll es ihr Tag werden, ein guter Tag, an dem ein gastfreundliches Hoyerswerda Gesicht zeigt. „Wir sehen nach vorn“, sagt Grit Maroske, „wir haben keine Angst.“