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Filmprojekt in Bad Düben Filmprojekt in Bad Düben: Schildkröte in der Sonnenallee

Von Steffen Könau 05.07.2004, 19:16

Bad Düben/MZ. - Es ist das Knie, sagt der junge Mann. Das schmerzt. Muss vom Marschieren und Exerzieren kommen. "Ich müsste mich abmelden." Kein Problem. Liste raus, Name weg. Zwei Minuten nach Ankunft des Soldaten-Statisten im Rekrutierungsbüro der Produktionsfirma BojeBuck verzeichnet die 2. Kompanie des Filmprojektes mit dem Arbeitstitel "NVA" ihren ersten Abgang.

So einfach ging das früher nicht, als noch zwei Systeme sich gegenüberstanden und der Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee edelstes Anliegen jedes jungen Mannes zu sein hatte. "Es gab nur zwei Gründe, nicht zu dienen: Du bist Vollinvalide oder eine Frau." So steht es auf einem Plakat im Bad Dübener Schullandheim. Hier bereitet Produktionsleiter Martin Rohrbeck die Dreharbeiten für "NVA" vor. Regisseur ist der gebürtige Quedlinburger Leander Haußmann, Produzent Detlev Buck - gemeinsam haben beide 1999 schon "Sonnenallee" verfertigt und 2003 den lakonischen West-Abgesang "Herr Lehmann" gedreht.

Dass "NVA" ein gedankenschwerer Autorenfilm wird, steht denn auch nicht zu befürchten. "Eine romantische Komödie mit schwarzem Humor", kündigt Haußmann an. "Aber nicht Sonnenallee 2", sagt seine Sprecherin Sabine Steinmann, die das Drehbuch gelesen, aber wie alle Beteiligten Geheimhaltung geschworen hat.

Drei Kilometer entfernt wird derzeit die Kulisse gerichtet. In der ehemaligen Kaserne eines Chemie-Bataillons bringen Handwerker die Stuben auf Vordermann, in denen Entlassungskandidaten "Spritzer" genannte Neuankömmlinge einst die "Schildkröte" machen ließen: Stahlhelme um Knie und Ellenbogen und Treppe runter damit!

Die Vergangenheit kehrt zurück. In einem Atelier quellen Lenin-Bilder aus Laserdruckern. Neben der Wache liegen DDR-Überbleibsel. Ein Lagerraum enthält laut Aufschrift "DDR-Fahrräder". Die Bestentafel ist neu und leer, ein Schild warnt scharf vorm Betreten des "Militärischen Sicherheitsbereiches": "Vorsicht Schusswaffengebrauch".

So gefährlich war es hier früher nie, erinnert sich Margot Müller, 40 Jahre lang Chefin der "Waldschänke", die direkt vor dem Tor der Alaunwerk-Kaserne liegt. "Bei den Soldaten hießen wir nur der ,Uhu´", erzählt die 73-Jährige, "weil der frühere Inhaber immer alle so quer über die Brille anguckte."

Sie selbst, geboren in Frankfurt am Main, hat es zufällig hierher verschlagen. "Wir sollten die Mitropa-Gaststätte meiner Schwiegereltern übernehmen." Doch das Misstrauen gegen West-Übersiedler ist groß. "Die Mitropa kriegten wir nicht, weil die Angst hatten, wir sägen nachts die Schienen durch."

Auf der Suche nach Alternativen landen Margot und ihr Mann Hans in der Schänke am Kasernentor. "Erst waren Polizisten hier stationiert", erinnert sich die alte Dame, "die Armisten kamen später." Von Anfang an aber ist Müllers "Uhu" Traumziel der Eingesperrten in Uniform. "Offiziell gab es für die ja keinen Alkohol", erzählt Margot Müller, "aber inoffiziell wurde nirgendwo mehr getrunken als hier." Sie, die Tante aus dem Westen, hätte spionieren können wie Mata Hari. "Betrunkene Männer quasseln doch." Und betrunken waren alle. Während die Offiziere vorn zechten, schlichen sich die Soldaten hinten an. "Die brachten zehn Kanister, wir haben einen Schlauch gelegt und abgefüllt." Aus den Fenstern der Waldschänke betrachtet war die Alaunwerk-Kaserne so erträglich militärisch. "Das ging alles sehr familiär zu", erzählt Margot Müller. War das Brot in der Kneipe alle, rief sie Kalle Treff in der Kasernenküche an.

"Und zum Frauentag haben wir die Soldaten herbestellt, damit unsere Frauen was zum Tanzen hatten." So sei das gewesen, damals in der DDR, als die resolute Müller-Margot einem gespreizten Major mal Lokalverbot verpasste. Als sie dem Standort-Kommandeur wegen eines Soldaten mit Liebeskummer ins Gewissen redete, "dass der seinem Fahrer befohlen hat, den Mann zur Versöhnung mit der Freundin zu kutschieren". Heute klinge das alles seltsam fern, als wäre es nie passiert. "Deshalb", sinniert Margot Müller mit einem Blick auf das sperrangelweit offen stehende Kasernentor, "habe ich so meine Zweifel, ob die Filmleute das alles richtig erzählen können."