Fehlinvestition Fehlinvestition: 57 Millionen Euro in Kurzentrum verbrannt
Bad Suderode/MZ. - Damals, als alles begann, Mitte der 1990er Jahre, ist Eberhard Brecht ausgebuht worden. Weil der damalige Quedlinburger SPD-Bundestagsabgeordnete sich nicht, wie gebeten, für den Bau eines Kurzentrums im benachbarten Bad Suderode einsetzte. Sondern erklärte: "Das Ding kann keine schwarze Zahlen schreiben." Gehört wurde Brecht nicht. Es wurde gebaut, für knapp 40 Millionen Euro. "Man hat sich an der Investitionssumme berauscht und nicht gefragt, wie eine so kleine Kommune wie Bad Suderode den Verlustausgleich tragen kann."
Eineinhalb Jahrzehnte später nun zeigt sich, wie Recht er hatte. Genützt hat ihm das alles nichts. Donnerstagabend hat Brecht - inzwischen Oberbürgermeister von Quedlinburg und damit für den Ortsteil Bad Suderode zuständig - seinem Stadtrat den Schließungsbeschluss für das Kurzentrum vorgelegt. Findet sich nicht bald ein Investor, soll spätestens am 30. Juni 2013 Schluss sein. Dann sind nicht nur summa summarum 57 Millionen Euro Steuergeld verbrannt, dann steht auch die Existenz des gesamten Ortes Bad Suderode auf der Kippe. 300 Arbeitsplätze hängen direkt und indirekt am Kurzentrum. "Wir sind doch nur ein Glied in der Kette", sagt etwa Kirsten Lemke, "Ein Aus würde doch alle im Ort betreffen. Denken Sie mal an die Gewerbetreibenden, die leben doch alle auch davon".
Das stimmt. Und doch lässt sich an kaum jemandem so gut zeigen wie an Kirsten Lemke und ihrem Mann Detlef, Inhaber des Kurhotels, was die Schließung des Kurzentrums bedeuten würde. "Alle unsere Gäste nutzen es intensiv, wir müssten uns also komplett neu ausrichten", sagt die Geschäftsfrau. "Wir müssten wieder bei Null anfangen." Wie schon 2008. Das Gastronomen-Paar kam damals aus Leipzig, wollte nach Jahren des Angestellten-Daseins den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. "Wir haben in Bad Suderode die Chance im Gesundheitstourismus gesehen", sagt Kirsten Lemke. Für sie war es auch einen Rückkehr - sie ist im Harz geboren.
Bald ein Standortnachteil
"Wir haben ein defizitäres Haus übernommen, mit 30 Prozent Auslastung. Heute liegen wir bei 70 Prozent." Jahr für Jahr kamen mehr Gäste, Lemkes nahmen Geld in die Hand: Rund 200 000 Euro haben sie investiert in das schmucke Bäderarchitektur-Gebäude direkt gegenüber vom Kurzentrum. "Ein Standortvorteil", sagt die Hotelchefin. Der sich jetzt in einen Standortnachteil verkehren könnte. Mit allen Folgen. Mit vier Mitarbeitern haben Lemkes damals angefangen, heute haben sie zehn Angestellte. Ob alle an Bord bleiben können, sollte das Kurzentrum schließen? Das steht in den Sternen.
Dabei sieht Kirsten Lemke durchaus Chancen für das Kurzentrum. Mit richtigem Konzept. Der Tourismus im Harz boome, der Trend gehe zu Urlaub in der Region, ohne weite Anreise. "Der Markt ist da. Wenn wir in Bad Suderode mehr Betten hätten, könnten wir viel mehr machen", sagt Lemke. Denn das ist aus ihrer Sicht das Grundproblem des Kurortes: die geringen Übernachtungskapazitäten. Selbst ihr Haus, das Kurhotel, nach eigenen Angaben das größte am Platze, verfügt nur über 48 Betten in 30 Zimmern. "Wir hatten schon Anfragen von Busunternehmen, die mussten wir abweisen." Es gebe Zeiten, da sei im Ort alles ausgebucht, das Kurzentrum aber trotzdem nicht gut besucht.
Ein neuer Investor dürfe das Kurzentrum daher nicht nur einfach weiterführen, meint Kirsten Lemke. Er müsse im Ort auch zusätzliche Übernachtungsmöglichkeiten schaffen. Gibt es einen solchen Investor? Die Hotelfachfrau ist überzeugt davon. In der Branche sei das Interesse groß an Objekten mit mindestens 100 Betten. "Das Potenzial ist da." Das sieht selbst Oberbürgermeister Brecht so: Auch wenn Bad Suderode keine 1a-Lage sei, geht er davon aus, "dass wir mit über 90 Prozent Wahrscheinlichkeit einen Investor finden". Der könnte dann den überdimensionierten Kursaal abreißen und dafür ein Hotel mit 80 bis 90 Betten bauen. Plus Modernisierungen in allen übrigen Bereichen. Zwölf Millionen Euro seien dafür nötig. Und: die vorübergehende Schließung.
"Das Todesurteil"
Lemke fürchtet jedoch Schlimmeres. Die Schließung wäre "das Todesurteil" für das Kurzentrum. So schnell könne gar kein neuer Investor die Anlagen übernehmen und weiterbetreiben. Sie hat sich bei einer Unternehmensberatung lange mit defizitären Betrieben beschäftigt. Und sie ist sich sicher: Ist das Kurzentrum von Bad Suderode erst einmal dicht, dann hat es keine Zukunft mehr.
Und das Land? Hat bis heute kein Konzept für den Gesundheitstourismus, wie die Wernigeröder Dozentin Matilde S. Groß bemängelt. Bis 2010 wurde stattdessen 16,1 Millionen Euro Liquiditätshilfe für die jährlichen Verluste gewährt. Das endete erst, als der Rechnungshof die Praxis als rechtswidrig einstufte. Danach gab es vage Versprechungen für weitere Unterstützung. Zu mehr als der Finanzierung einer neuen Machbarkeitsstudie für die europaweite Ausschreibung des Objektes hat es aber nicht gereicht. Wirtschaftsministerin Birgitta Wolff (CDU) erklärte auf Anfrage: "Wenn es ein gescheites betriebswirtschaftliches Konzept gibt, wären wir noch einmal zu einer Anlauffinanzierung bereit."
Im sieben Kilometer von Bad Suderode entfernten Thale war Wolffs Amtsvorgänger, der heutige Ministepräsident Reiner Haseloff (CDU), nicht so zimperlich: Satte 50 Prozent Zuschuss - zehn Millionen Euro - gab es für die Bodetal-Therme. Just zu jener Zeit, als das Land Bad Suderode den Geldhahn abdrehte. Auf die Frage, wie es um ein Konzept für den Bädertourismus stehe, schwurbelte Haseloff damals vom "Cluster Gesundheitswirtschaft".
Der einzige, der warnend den Finger hob, war der damalige Innenminister Holger Hövelmann (SPD): "Wenn wir fördern, muss auch sichergestellt werden, dass eine Investition überleben kann."
In Thale wird das dem privaten Bad-Betreiber derweil mit Steuergeld für 30 Jahre garantiert: Jährlich knapp eine halbe Million Euro zahlt die Stadt als Betriebskostenzuschuss - bei einem aktuellen Haushaltsloch von 16 Millionen Euro. In Bad Suderode sieht sich derweil Kurdirektor Kay Duberow gezwungen, zu Weihnachten die ersten Kündigungen zu schreiben.