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Fehlende Netzwerke Fehlende Netzwerke: Haseloff kritisiert pendelnde Professoren

Von Alexander Schierholz und Julia Klabuhn 03.06.2013, 18:10
Studenten verfolgen im Hörsaal eine Vorlesung.
Studenten verfolgen im Hörsaal eine Vorlesung. dpa

Halle/MZ - Irgendwann haben sie sich entscheiden müssen, Daniel Michelis und seine Frau. Irgendwann, das war, als sie vor knapp neun Monaten Nachwuchs bekamen, der Professor für Betriebswirtschaft und Leiter des Studiengangs Onlinekommunikation an der Hochschule Anhalt in Bernburg, und die freiberufliche Designerin aus Berlin. Sie entschieden, dass ihr Sohn in Berlin in die Kita gehen soll. Auch, weil Michelis’ Frau dort ihren Kundenstamm hat. Also pendelt Michelis. „In einer Ehe“, sagt Michelis, „muss man doch Kompromisse finden.“

Daniel Michelis ist so einer. Einer von den Hochschul-Professoren, die, so hat es Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) unlängst im MZ-Interview beklagt, ihren Wohnsitz nicht in Sachsen-Anhalt hätten. Und deswegen nicht ausreichend Netzwerke knüpfen könnten, um Studenten Praktika und Jobs zu vermitteln.

Voller Terminkalender

Daniel Michelis hat - neben seinen Vorlesungen - in dieser Woche in Halle eine Fortbildungsveranstaltung für Mitarbeiter eines Ministeriums gegeben. Er organisiert Workshops mit Unternehmen in Dessau. Klingt nicht danach, als sei er schlecht vernetzt. Dennoch, das Thema Wohnsitz und Präsenz am Hochschulort treibt auch manche Hochschule in Sachsen-Anhalt um. Jens Strackeljahn, Rektor der Universität Magdeburg, sagt zum Beispiel: „Im Prinzip fände ich es gut, wenn mehr Kollegen vor Ort leben würden.“ Dies würde der Vernetzung der Professoren insbesondere mit Unternehmen nutzen. Denn entsprechende Abendveranstaltungen und Firmeneinladungen fänden schließlich teilweise am Wochenende statt.

Die Uni Magdeburg hat in ihrer Grundordnung klare Regeln zur Präsenz der Hochschullehrer erlassen. „Professoren und Professorinnen sind während der Vorlesungszeit grundsätzlich zur Anwesenheit am Dienstort verpflichtet“, heißt es da. Die Hochschule Merseburg wiederum hat in ihrer Grundordnung keine entsprechenden Regelungen erlassen. In jüngerer Zeit werde allerdings bei Berufungsverhandlungen mit Professoren durchaus Wert auf die Frage gelegt, ob ein Bewerber bereit ist, den Wohnsitz in der Region Merseburg zu nehmen, heißt es aus der Hochschule. Offenbar mit Erfolg. 80 bis 90 Prozent der neu berufenen Professoren seien in den vergangenen Jahren in die Region gezogen, sagte Hochschulsprecherin Katharina Wilsdorf. Möglich sei dies auch deshalb gewesen, weil vor allem junge Hochschullehrer rekrutiert wurden, die nicht schon in anderen Städten verwurzelt seien.

Als Bruno Horst 1994 als Professor für Marketing und Marktforschung nach Merseburg berufen wurde, war das noch anders. Horst blieb mit einem Bein immer in seiner Heimatstadt Köln. Wegen seiner Familie. Das Netzwerk, das er in fast 20 Jahren Sachsen-Anhalt geknüpft habe, sei nicht kleiner, als wenn er ständig vor Ort wäre, sagt Horst. Das Problem ist aus seiner Sicht ein anderes: „Es ist in Sachsen-Anhalt viel schwieriger, Studenten in Praktika unterzubringen. Nicht weil die Unternehmen im Land nicht wollen, sondern weil das Angebot nicht ausreicht.“ Also nutzt er häufig seine Kontakte nach Köln.

Horst war an der Hochschule Merseburg schon Dekan, Prodekan und Prorektor. Aber zeitweise, sagt er, sei auch er ein Di-Mi-Do-Professor, der nur die Hälfte der Woche anwesend ist. Für den Studienbetrieb sei dies kein Problem, sagt der Professor: „Sprechstunden halte ich per Skype ab.“ Vor ein paar Jahren hat der Wissenschaftler eine Firma im Bereich Marketing gegründet. Teile der Verwaltung sitzen in Köln, weil ein Großteil der Kunden aus dem Rheinland kommt. Da seien kurze Wege wichtig, sagt Horst. Die praktische Arbeit aber wird in Merseburg geleistet, Studenten sind einbezogen.

Pflicht schreckt Bewerber ab

Von einer Residenzpflicht für Hochschulprofessoren, wie Haseloff sie indirekt ins Spiel gebracht hat, halten weder Bruno Horst in Merseburg noch sein Bernburger Kollege Daniel Michelis viel. Michelis befürchtet, eine Residenzpflicht werde potenzielle Stellenbewerber eher abschrecken.

Rückendeckung erhalten Berufspendler wie Michelis und Horst vom Berufsverband Deutscher Hochschulverband (DHV). „Der DHV hält nichts von Residenzpflichtvereinbarungen. Schließlich handelt es sich hier um einen sehr weitreichenden Eingriff in den privaten Bereich der betreffenden Hochschullehrer“, sagte Sven Hendricks, Justiziar beim DHV. Zudem müsse man ihren Nutzen bezweifeln. Schließlich könnten Professoren im Falle einer Residenzpflicht pro forma ihren Erstwohnsitz am Hochschulort nehmen, so Hendricks. Wie stark die Betreffenden allerdings in Stadt und Region vernetzt sind, steht auf einem anderen Blatt.

Wenn es auch keine Residenzpflicht für Professoren gibt, die Anwesenheit ist im Hochschulgesetz Sachsen-Anhalt geregelt. „Professoren und Professorinnen haben ihren Wohnsitz so zu nehmen, dass die ihre dienstlichen Aufgaben (...) ordnungsgemäß wahrnehmen“, heißt es da. Diese Regelungen können die Hochschulen in ihren Grundordnungen präzisieren. An der Universität Halle gibt es zum Beispiel eine Präsenzregelung, nach der Professoren an mindestens drei Tagen in der Woche Lehrangebot und Studienberatung erbringen müssen. Auch außerhalb der Vorlesungszeit müssen sie angemessen erreichbar sein. Diese Regelung gelte als ausreichend, hieß es aus der Universität Halle.

Das sieht der Studierendenrat (Stura) der Uni Halle genauso. Beschwerden über schwer erreichbare Hochschullehrer seien kaum ein Thema, sagt Stura-Sprecher Sebastian Rhein. „Mittlerweile sind die Professorinnen und Professoren schnell per E-Mail erreichbar. In Zeiten von Smartphones und Tablet-PCs antworten viele sehr schnell, sogar am Wochenende“, sagt Rhein. Eine Identifizierung mit Halle könne man nicht über eine Residenzpflicht erreichen. Bei den meisten Professoren, die ja in der Regel viele Jahre in Halle arbeiten, stelle sich die Verbundenheit mit der Stadt auch so ein.

So geht es Bruno Horst auch mit Merseburg. An seinen Start an der Hochschule erinnert er sich noch genau. Ende 1994 kam er gemeinsam mit sechs oder sieben anderen Kollegen aus den alten Bundesländern dort hin. Einer von ihnen, erzählt Horst, habe ein Haus gekauft, in Schkopau. Sieben Jahre später ging er zurück, weil seine Frau in der Region keinen Job fand. Bruno Horst aber ist immer noch da.