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Familie Familie: Neues Leben nach dem Drama

Von Steffen Könau 31.05.2005, 19:33

Polleben/MZ. - Es war das erste Mal Kino nach endlosen Monaten harter Arbeit. Das erste Mal Ausspannen, das erste Mal Abschalten. "Wir hatten ja nicht viel Geld", erzählt Thierry Benquey, "also haben wir alles selbst machen müssen." Doch zwei Jahre nachdem sich der Franzose und seine Lebensgefährtin Sabine von Oettingen in die Mühle am Rand der Mansfeld-Gemeinde Polleben verliebt und das 400 Jahre alte Haus gekauft hatten, ist Land in Sicht. "Alles war so gut wie fertig, und wir waren so glücklich mit unseren beiden Großen und dem kleinen Lulu."

Wie ein Alptraum

Dann aber, Sabine von Oettingen, Thierry Benquey und ihre 15-jährige Tochter kommen gerade aus der Vorstellung, klingelt das Handy. Ein Augenblick wie aus einem Alptraum: Die Obermühle brennt! Die Obermühle, in der der vierjährige Lulu schläft, behütet von seinem 17-jährigen Bruder. "Wir hatten solche Angst um die beiden", sagt Benquey, "wir rasten zurück."

Sie sind zu spät gekommen an jenem Septemberabend, der ihr ganzes Glück auslöschte. Benquey stützt den Kopf in die Hände. Der 45-Jährige schaut aus leeren Augen über den Hof zum Bach, wo in jener schrecklichen Nacht die Ruinen rauchten. Ein paar Mauerreste bezeichnen die Stelle, an der Lucien in den Flammen starb, die eine defekte Stromleitung ausgelöst hatte.

Sie haben danach wegziehen wollen. "Wir dachten, wir können nicht ertragen, dort zu bleiben, wo Lulu immer herumturnte." Jeder Stein, jedes Grasbüschel war für die Familie voll von Lulus Lachen, angefüllt mit Erinnerungen an seine frechen Sprüche und kleinen Streiche. "Von mir aus hätte das hier eine schöne Ruine bleiben können", sagt Thierry Benquey leise, "unsere Träume davon, hier zu leben und zu arbeiten, waren tot." Und richtig heimisch geworden in Polleben war das deutsch-französische Paar ohnehin nicht. "Akzeptiert, aber nicht integriert", so hätten sie sich gefühlt, versucht Sabine von Oettingen eine Beschreibung. Die Nachbarn seien freundlich gewesen, echte Nähe aber habe sich nicht eingestellt zwischen dem Künstlerpaar aus der Stadt und den Mansfeldern.

Erst die Tragödie ändert alles. "Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, was danach geschah", sagt Benquey. Eine Welle der Solidarität schwappt über der Obermühle zusammen: Wildfremde bringen Decken, Handtücher, Einrichtungsgegenstände, Zahnbürsten. Kinder aus der Nachbarschaft spenden ihr Taschengeld. "Es war umwerfend, das zu erleben, und wir waren dafür so unendlich dankbar."

Gleichzeitig lehnt die Versicherung den Plan ab, das große Quergebäude mit einem Notdach zu sichern. "Wir sollten ein richtiges Dach bauen, um Kosten zu sparen. Vielleicht hat es so kommen sollen, denkt Thierry Benquey heute manchmal. Denn irgendwie ist es so nichts geworden mit dem Fortgehen. Und irgendwie ist das auch gut so. Sabine von Oettingen und Thierry Benquey haben noch einmal zu bauen begonnen, wo das Dach nun mal da war.

Die ersten Monate wohnten sie in dem grünen Wohnwagen, ein Stückchen weg vom Haus, ein Stückchen weg von den Erinnerungen und dem bösen Fluch, der darüber liegen soll, wie es im Dorf seit Jahren raunt.

Thierry Benquey ist nicht abergläubig. Doch sicherheitshalber, sagt er, habe er in alten Kirchenbüchern nach einem Fluch geforscht. Dunkle Omen fanden sich nicht. "Nur dass hier in der Mühle seit Jahren kein Kind mehr geboren wurde, das ist wahr." Oder besser es war: Am Montag kam die kleine Charlotte zur Welt. Für Thierry Benquey wie eine Tür zurück in den Traum, der vor 20 Monaten so schrecklich zu enden schien und nun doch weitergeht. "Wir trauern nicht mehr", sagt er, "denn hier in der Mühle ist unser Lulu jeden Tag bei uns."