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Fallschirm-Unglück vor Stadion Fallschirm-Unglück vor Kurt-Wabbel-Stadion in Halle: «Sie wollten nur Fußball sehen»

Von Katrin Löwe 25.09.2017, 09:31
Noch heute kommen Monika Melzer die Tränen, wenn sie an ihren in Halle verunglückten Sohn Holger denkt. Er starb, als am 26. September 1997 ein Fallschirmspringer in die Menge wartender Fußballfans vor dem halleschen Stadion stürzte. Fallschirmspringer sollten den Fußball auf den Rasen bringen. Bei einem von ihnen öffnete sich der Schirm nicht, er selbst und drei Zuschauer kamen ums Leben.
Noch heute kommen Monika Melzer die Tränen, wenn sie an ihren in Halle verunglückten Sohn Holger denkt. Er starb, als am 26. September 1997 ein Fallschirmspringer in die Menge wartender Fußballfans vor dem halleschen Stadion stürzte. Fallschirmspringer sollten den Fußball auf den Rasen bringen. Bei einem von ihnen öffnete sich der Schirm nicht, er selbst und drei Zuschauer kamen ums Leben. Günter Bauer/Archiv

Halle (Saale)/Markranstädt - Am 26. September 1997 stürzte vor dem halleschen Kurt-Wabbel- Stadion ein Fallschirmspringer ab. Er selbst und drei Fußballfans starben. Die MZ hat im September 2007 die Mutter eines Opfers besucht.

Irgendwer hat ihr einmal gesagt, die Zeit heile alle Wunden. „Das stimmt nicht", sagt Monika Melzer, während ihr die Tränen über die Wangen laufen. Zehn Jahre ist es her, dass ihr Sohn Holger Linke in Halle ums Leben kam. An der Trauer änderte die Zeit nichts, selbst wenn Monika Melzer auch wieder gelernt hat, Spaß am Leben zu haben.

An den schicksalhaften 26. September 1997 erinnert sich die heute 62-Jährige noch gut. Sie blieb zu Hause, während ihre Söhne Holger und Andreas wie so oft ein Fußballspiel ihres Lieblingsvereins Hallescher FC besuchen wollten. Diesmal sollte es ein ganz besonderes sein: seit Jahren das erste Stadtderby gegen den VfL. Für Monika Melzer war es ein normaler Abend, bis sie gegen 22 Uhr in den Fernsehnachrichten von dem Unglück erfuhr.

Punkt 19.17 Uhr waren Fallschirmspringer aus Oppin (Saalekreis) über dem Stadion abgesprungen, als Showeinlage sollten sie den Fußball auf den Rasen bringen. Bei einem von ihnen jedoch, einem erfahrenen Ausbilder von Fallschirmspringern, öffnete sich der Schirm nicht. Er fiel mit einem Tempo von mehr als 200 Stundenkilometern in die Menge von Fans, die an der Kasse warteten. Er selbst und drei Zuschauer starben, sieben weitere wurden verletzt.

Fallschirmunglück in Halle wurde offiziell als menschliches Versagen zu den Akten gelegt

Monika Melzer hat das Unglück geahnt. „Ich hatte gleich ein ungutes Gefühl." Mehrfach versuchte sie damals erfolglos, in der halleschen Wohngemeinschaft von Holger jemanden zu erreichen. Saß am Fenster ihrer Wohnung in Markranstädt (Sachsen) und fürchtete sich vor jedem Auto, mit dem eine schlechte Nachricht kommen könnte. Gegen Mitternacht kam es - ein Pkw mit halleschem Kennzeichen, aus dem Sohn Andreas, Holgers Freundin und ein befreundetes Pärchen ausstiegen. Da wusste Monika Melzer, das etwas Schreckliches passiert sein musste.

„Wir haben die ganze Nacht geredet", sagt Melzer. Über die Umstände dieses Abends, die Holger das Leben kosteten. Erst kurz vor dem Unglück hatten die Brüder die Kassenschlange gewechselt. Andreas stand direkt neben Holger. Er kam mit einer Schulterprellung davon. Beide hatten die Katastrophe nicht kommen sehen. Im darauf folgenden Chaos verlor Andreas sogar den Kontakt zu Holger, erfuhr erst Stunden später von seinem Tod.

Das Schicksal seines zehn Jahre älteren Bruders, der ihm nach dem Tod des Vaters Halt gegeben hatte, hat Andreas Melzer bis heute nicht verwunden. Eine Jahreskarte, die der HFC ihm nach dem Unglück schenkte, blieb ungenutzt. „Er konnte da einfach nicht hin", sagt seine Mutter. Immer wieder der Gedanke an den toten Bruder und das Wissen, selbst nur knapp dem Tod entkommen zu sein. Auch Monika Melzer hatte zu kämpfen. Sie brach zusammen am Tag nach dem Unglück, nahm lange Beruhigungsmittel. Arbeiten gehen konnte sie erst im März 1998 wieder.

Offiziell wurde das Unglück als menschliches Versagen zu den Akten gelegt (siehe "Schirm blockiert"). Dennoch blieben Fragen offen. Auch die, ob bei dem Fallschirmspringer psychische Belastung eine Rolle spielte - drei Tage später sollte er wegen des Todes eines von ihm ausgebildeten Springers vor Gericht stehen. Monika Melzer sucht auf diese Fragen keine Antwort. Den Sohn würden ihr die nicht zurückbringen, sagt sie.

Am Mittwoch, dem zehnten Todestag, wird die 62-Jährige mit ihrer Familie wieder das Grab von Holger besuchen, wird Blumen an der Gedenkplatte niederlegen, die vor dem Kurt-Wabbel-Stadion an das Unglück erinnert. Und wird Holgers Oma besuchen. Noch heute nimmt sie diesen Tag wie durch einen Schleier war. „Wenn ich könnte, würde ich den ganzen September aus dem Kalender radieren", sagt sie. Den Monat, in dem ihr Sohn und sieben Jahre zuvor auch ihr zweiter Ehemann starb.

38 Jahre alt wäre Holger Linke inzwischen. „Vielleicht würde er nach seinem Soziologie-Studium jetzt wirklich für die Kriminalpolizei arbeiten, hätte schon Kinder", grübelt seine Mutter. Ehrgeizig und engagiert war er, aber ebenso harmoniebedürftig - ein Familienmensch, beschreibt Monika Melzer. Die Erinnerung an die jungen Leute, die bei dem Unglück damals starben, sei ihr wichtig. „Sie wollten nur Fußball sehen, ein paar schöne Stunden erleben."  (mz)