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Fairness im Unterricht Fairness im Unterricht: Schüler als Richter

Von ANTONIE STÄDTER 30.01.2012, 20:33

ELBINGERODE/MZ. - Wie bestraft man einen Fahrraddieb? Jugendliche können da sehr kreativ sein: Die Halberstädter Schülerrichter schickten einen Gleichaltrigen kurzerhand zum Mithelfen in eine Fahrradwerkstatt. Mit Folgen: Der junge Mann machte sich dort so gut, dass er fortan immer in den Ferien in der Werkstatt arbeitete. Einen anderen, der Plakate der NPD zerstört hatte und deshalb wegen Sachbeschädigung angeklagt worden war, brachten sie darauf, ein Lied unter dem Motto "gewaltfrei gegen rechts" zu schreiben. Schließlich hatten sie einen jungen Bandmusiker vor sich. Später wurde der Song vertont.

Auch wenn nicht alle Fälle so beeindruckend ausgehen: Das sogenannte Schülergremium, 2007 damals noch als Modellprojekt gestartet, ist mittlerweile eine feste Größe im Landkreis Harz. Regelmäßig vermittelt die Staatsanwaltschaft in Halberstadt geeignete Fälle, über die die speziell ausgebildeten Jugendlichen entscheiden sollen. Nach einem Gespräch mit dem Täter in einer der monatlichen Gremiumssitzungen legen stets drei bis vier Jugendliche eine Sanktion fest. Das reicht dann vom Aufsatzschreiben oder einer Entschuldigung bis hin zu gemeinnütziger Arbeit. Wird diese erfüllt, stellt die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren ein. Etwa 250 Fälle haben die Schülerrichter bereits verhandelt. Und hörten dabei von erleichterten Tätern schon öfter Sätze wie "Ich fand das cool", erzählt Evelyn Zinke, die das Projekt betreut.

Ein Schuss vor den Bug

"Es gibt gewissermaßen einen Schuss vor den Bug - und das nicht von einem Richter oder Sozialpädagogen, sondern von Gleichaltrigen, die die gleiche Sprache sprechen", erklärt die Sozialpädagogin vom Anti-Gewalt-Zentrum Harz in Elbingerode, dem Träger des Projekts. Dort werden die Jugendlichen auch ausgebildet - etwa in Sachen Körpersprache, Gesprächsführung oder dem Umgang mit Konflikten. "Man braucht 70 Prozent Empathie und 30 Prozent Biss", so Zinke.

Achtklässlerin Monique Lange will in ihren Fragen an den Täter stets nicht nur Fakten zur Tat herausbekommen: "Es geht mir auch darum, etwas über seine Beziehung zu Freunden oder Geschwistern zu erfahren", erzählt sie. "Mir ist das Soziale wichtig", sagt auch der 14-Jährige Lucas Schieck aus Elbingerode, der seit September in dem Gremium mitarbeitet. Seitdem, erzählt er, "merke ich schneller, wenn jemand flunkert". Ist es schwierig, sich mit 14 vor einem - vielleicht etwas unwilligen - Jugendlichen zu behaupten, der zwei, drei Jahre älter ist? Nein, sagt Monique Lange. "Und falls wir doch merken, dass die Sache nicht ernst genommen wird, dann sprechen wir das sofort an."

Geschenkt wird den Tätern nichts. Wird die Sanktion nicht erfüllt, geht der Fall zurück zur Staatsanwaltschaft. "Dann ist die Chance vertan", sagt Evelyn Zinke. Das komme aber nur selten vor. Geplant sei eine Evaluierung des Projekts, um herauszufinden, wie viele der jugendlichen Täter nach der Verhandlung mit den Schülerrichtern wieder straffällig werden. Schließlich sollen sie sich nicht nur mit ihrer Tat auseinandersetzen - sondern auch davor bewahrt werden, tiefer in die Kriminalität abzurutschen. Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb (SPD) ist großer Fan des Projekts: "Die Arbeit der Gremien kann als großer Erfolg gewertet werden." Sie leisteten einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Jugendkriminalität.

Die 17-jährige Anna Maria Kärger gilt unter den derzeit rund 35 jugendlichen Richtern aus verschiedenen Gymnasien und Sekundarschulen im Harz als besonders einfühlsam. Eine, die auch schon einmal mit dem Täter über die Scheidung von dessen Eltern spricht. "Manchmal hat man ja Gemeinsamkeiten und kann das nachempfinden", sagt sie. Die Arbeit im Schülergremium sei "eine tolle Möglichkeit, sich selbst zu entwickeln", sagt die Quedlinburgerin. Sie sei dabei selbstbewusster geworden. "Man bekommt ein anderes Bild von den Menschen: zum Beispiel, wenn einem ein sonst so harter Kerl ängstlich gegenübersitzt."

Gut für den Lebenslauf

"Das macht sich auch gut auf dem Lebenslauf", sagt Daniel Günzke. Seit mehr als drei Jahren ist er in dem Gremium - und hat dort einiges gelernt: "zum Beispiel, sich auf andere Personen einzustellen und schwierige Situationen zu entspannen". Und vor allem: "Man muss sehr auf die Sprache achten - beim Fragen sensibel sein und natürlich mit dem, was man weiß, prüfen, ob es Abweichungen gibt", sagt der 20-Jährige. Er studiert mittlerweile in Halle Jura.