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Essen nach Farben Essen nach Farben: Illusionen mit Geschmack

Von Marlene Köhler 06.12.2013, 18:49
Die Designerin Monika Ratzka mit dem Entwurf für die „spanische“ Tischdecke
Die Designerin Monika Ratzka mit dem Entwurf für die „spanische“ Tischdecke Marlene Köhler Lizenz

Wäre da nicht das Gewitter gewesen, das den Piloten kurz nach dem Start in Leipzig zwingt, unter den Wolken zu fliegen, wer weiß, ob es dann dieses „Essen nach Farben“ überhaupt gäbe. So aber wächst in tausend Metern Höhe in der Dessauer Diplom-Designerin Monika Ratzka eine Idee heran. Die Lehrerin für Gestaltung ist innerhalb eines EU-Projekts unterwegs zur Praktikanten-Betreuung auf der Kanaren-Insel La Palma. Einen Skizzenblock hat sie immer dabei. Und in dem notiert sie, wie die Welt von oben aussieht.

In Deutschland ist sie rechtwinklig. Raps- und Getreidefelder, fast wie mit dem Lineal abgeteilt, blühen auf den später entstandenen Seidenmalereien, der Main-Donau-Kanal zerschneidet frische Wiesen, Deutschland reiht Gelb-, Grün- und Blau-Töne präzise aneinander. Dann kommt Frankreich und die Linien werden fließender, die Farben intensiver, vor allem das Lavendel-Violett sticht heraus. Und schließlich Spanien. „Da ist nichts mehr eingeteilt“, sagt die Kunst-Lehrerin, „Orange und Rot, verschiedene Braun- und Grautöne, Ocker und verwaschenes Weiß gehen ineinander über.“

Monika Ratzka hat den Tisch gedeckt. Eine Decke aus Dubionseide hat sie aufgelegt, bemalt mit den Erdfarben, die das Spanische symbolisieren. In weißem Geschirr die Speisen, die farblich genau zur Tischdekoration passen. Fast biblisch mutet es an: Braun zu Braun, Rot zu Rot, Ocker zu Ocker. Kürbiscremesuppe als Vorspeise, ein Salat aus Paprika, Sharon und Oliven als zweiter Gang, Tafelspitz mit Meerrettichsoße und Klößen sind das Hauptgericht, zum Dessert gibt es Schokoladenpudding, Rotweinbirnen und Sahne. Bis hin zu den Kerzen, Blumen, Servietten, Gläsern, der selbstgemachten Zitronenlimonade und dem Rosé-Wein aus der Navarra stimmt alles. Spanische Gitarrenmusik untermalt das Ganze.

„Essen mit allen Sinnen“ ist das Anliegen der Frau, die ihr Hobby, das Kochen, aufs Glücklichste mit ihrem Beruf, dem Gestalten, vereint.

Bei der diesjährigen „brau.ART“-Ausstellung im September in der Alten Brauerei Dessau hat die Mode- und Textilgestalterin ihr Projekt „Essen nach Farben“ zum ersten Mal einem großen Publikum vorgestellt. Unter dem Motto „Illusionen“ stand die gesamte Exposition, und jeder Künstler, ob Bildhauer oder Fotograf, Maler, Musiker, Illustrator oder Designer, führte mit seinen Mitteln ins Reich der Phantasie. „Illusionen sind eine Gabe, unsichtbare Dinge zu sehen“, mit jenem Jonathan Swift-Zitat hatte Monika Ratzka ihren Beitrag überschrieben, die Applikation „Nervus Vagus“, ein unter anderem für das Geschmacksempfinden zuständiger Nerv, aus schwarzer, roter und weißer Seide. Und ihre kostbaren großformatigen Seidentischdecken, Sinnbild für Spanien, Deutschland, Frankreich oder Skandinavien, letztere in Anthrazit, tiefem Türkis, Tundra-Grün und Eisblau gehalten.

Als Kind wollte Monika Ratzka Stewardess werden, das Reisen zum Beruf machen. „Die Architektur, die Geschichte, die Natur, die Farben und das Kulinarische in anderen Ländern haben mich immer schon fasziniert“, sagt sie. Heute inspirieren sie Erinnerungen, Fotos und Skizzen, verwandeln sich zu Hause im Atelier in Entwürfe für Kleidung, Stoffmuster und textile Collagen. Und, seit einiger Zeit, auch in länderspezifische Menüs. Soll es französisch sein, besorgt sie Blumenschmuck in Violett, bietet Artischocken und Auberginen an, Blattsalate und gefüllte Paprikaschoten.

Geht es skandinavisch zu, gibt es Fisch und Meeresfrüchte oder die sogenannten Köttbullar, schwedische Hackklößchen; auf die deutsche Tischdecke kommen auf jeden Fall grünes Gemüse, Apfelsinen, gelber Pudding oder grüne Götterspeise, der Rest ist „Verhandlungssache“. Ihre Gäste - Familie, Freunde, Nachbarn, Kollegen - können sich schon einmal etwas wünschen. Das hat mitunter Nachwirkungen, selbst ehemalige Schüler rufen später noch an, suchen Rat für die Dekoration zu einem bestimmten Essen. So entstand die Idee zu einem Buch mit Rezepten und Tipps für die Herstellung passender Tischdecken in den Farben von Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Monika Ratzka mag saisonale Gerichte. „Im Sommer sind wir oft mit dem Boot unterwegs, da gibt es nur einfache Küche“, sagt sie, umso mehr freut sie sich mit ihrem Mann auf Herbst und Winter. Da gibt es Kraut, Rosen- und Grünkohl zum Beispiel, wenig, aber gutes Fleisch aus der Region, „weniger Masse, mehr Klasse“, sagt sie. Auch für die „brau.ART“, die von 2 000 Menschen besucht wurde, hat Monika Ratzka gekocht und den Nerv getroffen - bei der Podiumsdiskussion für etwa 50 geladene Gäste aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Unterstützt von den Künstlerinnen Olivia Seipelt und Sylke Dallach hat sie ein kalt-warmes Büfett arrangiert, mit spanischen Tapas und rotem Linsensalat, selbstgebackenem Krustenbrot, Buletten, Schnitzelchen und mehr.

Ein Renner, sagt Frau Ratzka, sind immer die Datteln im Speckmantel. Dafür entfernt sie den Dattelkern, füllt Frischkäse in die Frucht, umwickelt sie mit Schinkenspeck, würzt mit rotem Pfeffer und Rosmarin und gibt das gefüllte Blech dann für zehn Minuten in den auf 220 Grad Celsius aufgeheizten Ofen. Wahre Köstlichkeiten zum Diskussionsthema Illusion.

Die Seidentischdecke in Erdfarben steht für Spanien. Monika Ratzka kocht dazu passende Gerichte: Kürbiscremesuppe, einen Salat aus Paprika, Sharon und Oliven, Tafelspitz mit Klößen und zum Dessert Schokopudding mit Rotweinbirnen.
Die Seidentischdecke in Erdfarben steht für Spanien. Monika Ratzka kocht dazu passende Gerichte: Kürbiscremesuppe, einen Salat aus Paprika, Sharon und Oliven, Tafelspitz mit Klößen und zum Dessert Schokopudding mit Rotweinbirnen.
Marlene Köhler Lizenz