Erzgebirge Erzgebirge: Eine Friedensglocke für den Fichtelberg

Schwarzenberg/Oberwiesenthal/dpa. - Jedes DDR-Kind konnte dieZahl herbeten: 1214 Meter. So hoch war der höchste Gipfel der vor 20Jahren untergegangenen Republik. Der Fichtelberg ist inzwischen einbisschen gewachsen, jedenfalls wird seine Höhe nach neuenVermessungen inzwischen mit rund 1215 Metern angegeben. Zum rundenJubiläum der deutschen Einheit fängt er sogar noch an zu läuten. InPrivatinitiative bringen Erzgebirger in den nächsten Tagen eineGlocke auf das Plateau des Bergs. Am kommenden Sonntag wird sie als«Friedensglocke» geweiht - und zum ersten Mal erklingen.
Die Idee kam ihm vor einem Jahr bei der Zeitungslektüre, erinnertsich Gerd Schlesinger. «In dem Artikel war nach möglichen Standortenfür ein Wendedenkmal gefragt worden.» Ihm sei sofort der Fichtelbergeingefallen. Den nennt Schlesinger «das Dach Ostdeutschlands» - undwundert sich ein bisschen, dass vor ihm noch keiner auf die Idee miteinem Denkmal dort oben gekommen ist. «In den größeren Städten gibtes davon doch genug», findet er.
Schlesinger ist vor 50 Jahren in Steinheidel-Erlabrunn geborenworden. Im Erzgebirge ist der Christ verwurzelt. Zu DDR-Zeiten sei erals kirchlicher Mitarbeiter gemeinsam mit gläubigen Freundenschikaniert worden, sagt er. Die Einheit habe er damals schon langeherbeigesehnt. «Wir haben sehr viel Grund, für die Wende zu danken.»
Er ist Türmer in Schwarzenberg und damit einer von dreien imErzgebirge. Früher haben Türmer vor allem Wache gehalten und dieEinwohner vor Gefahren gewarnt, heute führen manche von ihnen inhistorischem Ornat Touristen umher. Schlesinger ist auch Glocken-Experte. «Das hab ich aus meiner Familie», sagt er. Schon Mutter undOma hätten ein Faible dafür gehabt - er sammelt sie auch, rund 360Stück hat er im Laufe der Jahre zusammenbekommen und bewahrt sie inseinem Haus und im Glockencafé in Rittersgrün auf. Die kleinste vonihnen ist fünf Millimeter groß, die größte knapp 500 Kilo schwer.
Stolze 1,6 Tonnen wiegt die Glocke für den Fichtelberg, sie ist1,35 Meter hoch und hat einen Durchmesser von knapp 1,60 Meter.Entdeckt hat Schlesinger sie in der Eifeler Glockengießerei inBrockscheid (Rheinland-Pfalz). Wo sie zuvor ihren Dienst verrichtethat, ist nicht bekannt. «Sie hat ihre Geschichte», ist sichSchlesinger sicher. Lange sei sie aber vermutlich nicht im Dienstgewesen, das beweise ihr guter Zustand.
Als sich das Projekt immer weiter herumsprach, waren Schlesingergleich mehrere Glocken angeboten worden. Er habe aber keine aus Stahloder Bronze haben wollen. «Ich wollte eine Eisenhartgussglocke. Dieist typisch für unsere Region.» Und typisch für die Nachkriegszeit.
Die auserwählte Glocke jedenfalls hat das Gussjahr 1920. MitGlockenmonteur Hartmut Reinwarth und Landschaftsbauer Thomas Pohlstanden neben Schlesinger zwei weitere Erzgebirger federführendhinter dem Projekt, hinzu kam der gebürtige Gießener Jörg Eller, derseit einem Jahr in Schneeberg zu Hause ist und sich nebenbei zumGlockensachverständigen ausbilden lässt. Sie alle haben nichts an demProjekt verdient. Finanziert wurde die Glocke mit einer 2400-Euro-Spende, dazu nahmen viele der beteiligten Handwerker kein Geld an.Was Schlesinger noch fehlt, ist das Geld fürs Dach sowie für dieElektrifizierung der Glocke - zusammen etwa 5000 Euro. «Es ist janicht möglich, auf Dauer jeden Sonntag zum Glockenläuten auf denFichtelberg zu steigen.»
Tatsächlich soll die Glocke während ihrer feierlichen Weihe imökumenischen Gottesdienst mit drei symbolischen Schlägen desSchwarzenberger Türmers erstmals erklingen. Anschließend wird sieerstmals richtig geläutet - wie danach auch an allen Sonntagen, immer17.00 Uhr, vom Gipfel des Bergs. Zur gleichen Zeit soll ihr Rufkünftig immer am 3. Oktober wie auch am 9. November erschallen, demTag der Maueröffnung - und zur Begrüßung eines jeden Jahres zuSilvester ab Mitternacht.
«Es wäre schön, wenn die Glocke ein dauerhaftes und mahnendesSymbol für die kommenden Generationen sein würde», sagt derOberwiesenthaler Bürgermeister Mirko Ernst. Er rechnet damit, dassdie Region noch bekannter wird und mehr Touristen anlockt - auchMusikliebhaber. Schließlich habe die Glocke mehr als 80 Halbtöne. Füreinen ersten Ansturm zur Weihe ist Oberwiesenthal eingestellt: LautErnst gibt es 1000 Parkplätze an der Auffahrt zum Berg - und abMittag einen Shuttle-Service per Bus auf den Gipfel.