Eisenbahn Eisenbahn: Stahlriese auf dem Abstellgleis
Nossen/MZ. - Die mit Tempo 180 schnellste Dampflok der Welt steht derzeit in Nossen. Der Weiterbetrieb der "18 201", die ihren eigentlichen Heimatbahnhof in Halle hat, ist allerdings ungeklärt.
Gefahren ist Konrad Hentschel die "Sensation", wie er die "18 201" bezeichnet, nie. Und dennoch ist der 75-Jährige einer, der die schnellste Dampflok der Welt wohl so gut kennt wie kaum jemand. Oft genug hat er sie im Bahnbetriebswerk Halle aus dem Lokschuppen geschleppt, Rohre gewechselt, Teile verschweißt.
Nach 46 Jahren Arbeit bei der Bahn ist der Kesselschmied 1993 in den Ruhestand gegangen. Jetzt hat er als Geburtstagsüberraschung seines Sohnes den 172 Tonnen schweren Stahlkoloss noch einmal wiedergesehen. Durfte mit früheren Kollegen staunen über den Schienenstar der Superlative, fachsimpeln, in Erinnerungen schwelgen. "Weißt du noch ..." steht am Anfang vieler Sätze im Bahnbetriebswerk Nossen, wo die als Kulturdenkmal eingestufte Lok derzeit steht. "... dass wir im ganzen Land rumgefahren sind, um Ersatzteile zu kriegen", endet einer davon.
DDR-Eisenbahnhistorie
Was für ein Gefühl ist es, mit den Kollegen von einst noch einmal an der Lok zu sein, deren Zukunft so ungewiss ist? "Das kann ich gar nicht beschreiben", sagt Hentschel gerührt. "Die Lok ist ein Teil von uns". Und sie sei ein Teil ostdeutscher Eisenbahngeschichte, die nicht verloren gehen dürfe. 1961 wurde sie von der DDR-Reichsbahn aus einer alten Tenderlok umgebaut und auf Tempo getrimmt. Jahrelang war sie für Tests von Leichtbauwaggons im Einsatz.
Bei 180 Stundenkilometern liegt die Tempospitze des grünen Stahlriesen. "140 können wir fahren, weil die Wagen nur dafür ausgerichtet sind", erzählt Peter Weißhahn. Der 61-Jährige ist der Cheflokführer der "18 201". Im Jahr 1962 hatte er in Halle als Heizer angefangen, später 20 Jahre lang auf der Lok Hand angelegt. "Heute fahre ich sie als Rentner und bin bei jeder Gelegenheit hier", schwärmt der Mann aus Großkorbetha im Kreis Weißenfels. Wie lange noch? "Da kann man nur hoffen." Noch ist das Schicksal des Dampfriesen mit seinen 2,30 Meter großen Triebrädern nicht geklärt.
Die Dampf-Plus GmbH des ehemaligen Radprofis Christian Goldschagg hat die Lok 2004 von der Deutschen Bahn gekauft, um Traditionsfahrten zu veranstalten - und liegt seitdem im Clinch mit dem ehemaligen Eigentümer. Goldschagg will die Bahn AG verklagen, weil sie weder über den Denkmalschutz der Lok informiert noch wie vereinbart Stammpersonal zur Verfügung gestellt habe. So sei deren Betrieb nahezu unmöglich, sagt er - ebenso wie der Verkauf an ausländische Interessenten. Von der Bahn sei nun ein endgültiger Bescheid gekommen, dass kein Interesse am Rückkauf bestehe.
Goldschagg sieht nach gescheiterten Verhandlungen mit der Bahn eine Chance, die "18 201" wieder mehr dampfen zu lassen: die Ausweitung des Heimatstandortes Halle auf Sachsen-Anhalt und Sachsen. "Wäre das möglich, hätte ich eine Motivation, Personal auszubilden. Jetzt muss sie nach jeder Fahrt nach Halle zurück." Damit sei der Betrieb nicht flexibel genug. Vom Magdeburger Kultusministerium wird das Anliegen unterstützt. "So eine Lok macht nur Sinn, wenn sie unterwegs ist", heißt es. Auch in der Saalestadt selber zeigt man sich interessiert am Weiterbetrieb. Die Lok könne in ganz Deutschland fahren und müsse nicht nach jeder Tour sofort an ihren Heimatstandort, heißt es in der Denkmalschutzbehörde. Nur ein endgültiger Standortwechsel sei genehmigungspflichtig.
Stiftung geplant
Alternativ zu Goldschaggs Variante wirbt Boogie-Woogie-Pianist und Eisenbahnfreund Axel Zwingenberger für die "18 201". Er will eine Stiftung gründen, um die Lok zu kaufen und in Deutschland zu betreiben. "Ich sehe gute Chancen, dass wir das schaffen", sagt Johann Müller, Sprecher der Initiative "Rettet die 18 201". Im Frühjahr soll ein Kassensturz klären, ob ausreichend Geld zur Verfügung steht.