Ein Jahr Minister Ein Jahr Minister: Hartmut Möllring - der Haudegen

magdeburg/MZ - Dieses Aufeinandertreffen kam Jens Strackeljahn mehr als gelegen. Auf den ersten Blick zumindest. Strackeljahn, Rektor der Uni Magdeburg, ist mit seiner Tochter in der Landeshauptstadt unterwegs, als er auf Hartmut Möllring trifft. Jenen Mann, der als Wissenschaftsminister gerade vorgeschlagen hat, die Fakultät für Humanwissenschaften zu schleifen. Genau da studiert Strackeljahns Tochter. „Da kannst Du den Minister gleich mal fragen, was er jetzt vor hat“, empfiehlt Strackeljahn seinem Spross. Doch bevor diese überhaupt Luft holen konnte, erklärt Möllring: „Nee, nicht der Minister. Papi ist jetzt dran.“
Papi ist jetzt dran. Eine verbale Klatsche. Ausgeteilt im Vorbeigehen. Und: Natürlich von Möllring. Der Wissenschaftsminister, der - so der selbst genährte Vorwurf - mit Wissenschaft nichts am Hut hat. Der vom „Mantel-der-Geschichte“-Fabulierer. Der von der heutigen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen - er nennt sie noch immer „Röschen“ - einen Stapel Akten wegen eines, nun ja, gleichstellungskritischen Kommentars auf den Kopf geknallt bekam. Der Bildzeitungs-Leser im Landtag. Der harte Hund ohne Gefühlsregung. Kann man so sehen. Stimmt aber nur bedingt - Möllring hat sich verändert. Ob das echt ist oder nur Mimikry? Schwierige Frage.
Seit einem Jahr ist Hartmut Möllring jetzt in Sachsen-Anhalt Wissenschafts- und Wirtschaftsminister. Und ja, sein Start war alles andere als das, was man gelungen nennen kann. Möllring sitzt schon in der Staatskanzlei bei Ministerpräsident Reiner Haseloff, da ist Amtsvorgängerin Birgitta Wolff (CDU) noch nicht einmal ihre bevorstehende Entlassung bekannt.
„Schon wieder ein Niedersachse“
Das konnte man Möllring nicht vorwerfen, doch es prägt enorm seine ersten Wochen im Amt. Der damals 61-Jährige war zehn Jahre Finanzminister in Niedersachsen und dort einen deutlich raueren politischen Ton gewohnt, als er in Sachsen-Anhalt herrscht. Wo sich viele Landtagsabgeordnete und Minister über Parteigrenzen hinweg duzen. Möllring legt den Tonfall aus Hannover zunächst nicht ab; das lässt ihn bisweilen heute noch arrogant erscheinen.
„Der Mantel der Geschichte weht nur einmal“, kommentiert er seine Zusage gegenüber Haseloff, nachdem er sich schon aus der Politik zurückgezogen hatte. Später folgt der Satz, dass er „für Wissenschaft allein“ nicht gekommen wäre. Dabei ist es der Ressortzweig, der sein erstes Amtsjahr prägen wird.
Ziemlich genau ein Jahr später spaziert Möllring durch Wolfen-Nord. Ein Neubaugebiet mit vielen leeren oberen Stockwerken. Ein Termin im Kommunalwahlkampf, Routine. Möllring, der Schweiger, kommt ins Plaudern. „Ich bin hier als ziemlich komisch beschriebenes Blatt hergekommen“, sagt er über seinen Start. Die CDU empfing ihn - „schon wieder ein Niedersachse“ - reserviert; der Koalitionspartner in Gestalt von Partei- und Fraktionschefin Katrin Budde machte keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegenüber Möllring, der sich auch noch als Freund von Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) geoutet hatte. Mit dem ist sich Budde auch oft nicht grün.
Von Zurückhaltung in Wolfen-Nord keine Spur. Möllring wird als einer von ihnen empfangen, auch wenn er gerade bei solchen Terminen immer noch wie ein Fremdkörper wirkt. Niedersächsisches Polit-Bürgertum trifft anhaltisches Proletariat. Am örtlichen Eiscafé taut er auf, scherzt mit einem Steppke und kalauert mit dem Opa. Möllring sagt über sich selbst, er fühle sich inzwischen heimisch, „auch wenn ich mein Häuschen in Hildesheim nicht abreißen werde.“
Auf der zweiten Seite geht es unter anderem um das „System Möllring“, den „Bernburger Frieden“ und die Landtagswahl 2016.
Auf der ersten Seite ging es um verbale Klatschen, Termine und eine Freundschaft. Auf dieser zweiten Seite geht es unter anderem um das „System Möllring“, den „Bernburger Frieden“ und die Landtagswahl 2016.
Regelmäßig sitzt er bei großen Fußballspielen in einer Sportbar zwischen Ministerium und seiner Wohnung. Er ist ein leidenschaftlicher Biertrinker. Und er hat sein Verhältnis zu Budde sortiert - sie duzen sich jetzt. „Sie trinkt auch gern Bier“, lautet seine schlichte Erklärung. Der Mann kann auch sympathisch.
Möllring duzt sich jetzt mit vielen. Und er ist sogar dem Magdeburger Ortsverein der CDU beigetreten. Offiziell „weil ich hier lebe und ein hohes politisches Amt habe“. Allerdings reißen auch die Gerüchte nicht ab, Möllring habe dem Heimatverband in Hildesheim noch einmal einen mitgeben wollen. Seine Ehefrau Eva sollte seinen Platz im Landtag einnehmen, doch die CDU begehrte auf gegen das „System Möllring“ und ließ den Versuch scheitern, schrieb die Hannoversche Allgemeine.
Möllring weiß jedenfalls, wie Politik geht. Deshalb wundert er sich hin und wieder über das, was in Sachsen-Anhalt darunter verstanden wird. Da lässt er dann in kleinem Kreis das Adjektiv „unprofessionell“ fallen. Etwa in der Hochschulpolitik. Möllring hat nach langem Ringen ein viel kritisiertes Strukturreform-Papier auf den Tisch gelegt. Wesentliche Teile davon werden aber nicht von der Opposition und den Hochschulen kassiert, sondern von den eigenen Parteifreunden.
Staatsminister Rainer Robra will die Medienwissenschaften in Halle nicht abwickeln; CDU-Fraktionschef André Schröder und Regierungschef Haseloff nicht die Humanwissenschaften in Magdeburg. Dabei ist sich Möllring mit Bullerjahn einig, dass man mehr machen müsste. Doch Möllring weiß, dass er im Landtag keine Mehrheit dafür bekommen würde. Und er ist viel zu loyal, als das öffentlich zu kritisieren. Auf Haseloff lässt Möllring ohnehin nichts kommen. Dass der Ex-Wirtschaftsminister gerne und zeitig beim Amtsinhaber angerufen haben soll - „stimmt nicht“, sagt Möllring trocken. Selbst wenn es so wäre, er würde bei der Aussage bleiben.
Geschmack am Geschäft
Dass es Möllring war, der den „Bernburger Frieden“ mit den Hochschulrektoren ausgehandelt hat? Kein Wort darüber, den Erfolg überlässt er Haseloff - und auch so manchen Wirtschaftstermin. Möllring genießt inzwischen breiten Respekt - selbst bei schärfsten Kritiker: Möllring stand in - ausgerechnet roter - Regenjacke - vorne bei den allerersten Hochschulprotesten in Magdeburg und Halle. Andere Minister sah man da kaum oder nie. Möllring ist verlässlich und kaum aus der Fassung zu bringen, das schätzen sie auch im Ministerium an ihm. Details sind seine Sache nicht; drei bis vier Stichpunkte reichen. Möllring hasst zudem langes Geschwafel: Ohne mit der Wimper zu zucken, beendet er Termine auch vorfristig, wenn für ihn alles gesagt ist.
Dienstberatungen mit Sachsen-Anhalts Rektoren etwa dauern mit ihm in der Regel keine Stunde - bei Jan-Hendrik Olbertz waren es meistens vier, bei Birgitta Wolff noch zwei. Möllring fremdele weiter mit der Wissenschaft, klagen die Rektoren. Und die Wirtschaft klagt, Möllring kümmere sich um die Wissenschaft zu viel und um sie zu wenig. Vor ein paar Wochen wollte sie ihm daher die Meinung geigen. Ein Unternehmertreffen im Harz mit 30 Spitzenleuten aus allen Branchen, die Presse war ausgeladen. Es sollte ja zur Sache gehen. Möllring brauchte 20 Minuten für seinen Vortrag. Danach war alles gesagt. Keine Frage. Keine Kritik. Er hatte wieder zugeschlagen, der alte Polithaudegen.
Hartmut Möllring, so scheint es, hat nach 30 Jahren Politik in Niedersachsen und ein paar Runden Sudoku auf der heimischen Couch wieder Geschmack am Geschäft gefunden. Auf die Frage, wie es für ihn nach der nächsten Landtagswahl 2016 weitergehe, ist jedenfalls nicht mehr von Rente die Rede. „Man soll ja nie nie sagen“, antwortet er. Einige dürften das als Drohung verstehen.
