1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Dobkowitz-Kaufhaus in Merseburg: Dobkowitz-Kaufhaus in Merseburg: Ein neuer Start nach 91 Jahren

Dobkowitz-Kaufhaus in Merseburg Dobkowitz-Kaufhaus in Merseburg: Ein neuer Start nach 91 Jahren

Von Petra Wozny 07.12.2003, 15:36

Merseburg/MZ. - Der alte Mann genießt jeden Bissen der Torte, schlürft den Kaffee aus dem roten Pott und schwatzt mit seiner Tischnachbarin. "Ich kann es nicht fassen, Ilse. Das wir noch einmal im Dobkowitz sitzen. Ist das nicht herrlich?" Ilse nickt. Zu lange sei das Haus ein Schandfleck gewesen, und das mitten in der Stadt Merseburg, vis-a-vis der Stadtkirche nur einen Steinwurf vom Markt entfernt. Bedauert hat das nicht nur der 83-jährige Heinz Schliephake. Denn "das Dobkowitz", wie jeder Merseburger das markante Haus nennt , ist in der Stadt eine Legende. Es gehört zu Merseburg wie die "Blechbüchse" zu Leipzig oder das Gum zu Moskau.

Otto Dobkowitz, Kaufmann aus der Nähe von Straußberg, hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Merseburg und Umgebung bereits einige Filialen. Er handelt mit Modewaren, Hut und Putz, Linoleum und Bettgestellen, Gardinen und Teppichen. Die Geschäfte florieren, sodass er 1908 in der Domstadt mit dem Bau des ersten Kaufhauses beginnt. 1912 wird es eingeweiht. "Da war sogar ein Fahrstuhl drin", erzählt Charlotte Sommer, die sich an den Chef des Hauses gut erinnern kann. Nicht selten habe "Ottchen" an der Schwingtür gestanden, die Damen mit "gnädige Frau" begrüßt, berichtet die 93-Jährige.

Zum eigenen Personal soll der Kundenschwarm mitunter ziemlich ruppig gewesen sein. Verkäuferinnen, die zu spät kamen, habe er kurzerhand in die Strumpfabteilung versetzt. "Dort zog es wie Hechtsuppe, denn die Strumpfregale befanden sich genau gegenüber der Eingangstür", sagt die alte Frau. Und sie erzählt, dass es ein "wunderbares Einkaufen" war. "Es war so mondän. Pfingsten habe ich mir immer einen neuen Mantel geleistet und einen Hut. Am Packtisch wurde alles nett in Papier gepackt. Da gab es noch nicht diese bunten Plastetüten."

1947 stirbt Dobkowitz. Das Haus schließt. Doch "das Dobkowitz" lebt weiter. Fünf Jahre später öffnet es unter neuer Flagge. "Kein Mensch ging ins Konsum-Kaufhaus. Es blieb weiter das Dobkowitz. Reißverschlüsse und Knöpfe waren die Renner, später auch nahtlose Strümpfe, Silastikhosen, Präsent-20-Anzüge", erzählt Annegret Weinert, eine Rentnerin von Anfang 60. Das Haus sei Ende der 80erJahre vollkommen runter gewesen, nicht nur der ausgetretenen Holzstufen wegen. "Was gab es denn da noch? Schade, dass wir das mit ansehen mussten", bedauert die Merseburgerin noch heute. 1992 schließt das Haus. Doch die Legende des Dobkowitz lebt weiter hinter den zugemauerten Fenstern und beschmierten Mauern. Mehr als zehn Jahre lang beißen sich Kommunalpolitiker die Zähne aus. Das Dobkowitz wird zu unendlichen Geschichte. Mal fehlt es am Geld, mal an der Mitarbeit der Erbengemeinschaft.

Vor zwei Jahren passiert das zuvor schier Unglaubliche. Mit zwei privaten Investoren aus Stade und kommunaler Unterstützung gelingt der Coup: Das Kaufhaus soll wieder im alten Glanz erstrahlen. Mehr noch. Es soll von beiden Seiten der Fassade auf einer bisher runtergekommenen Freifläche in ein modernes Einkaufszentrum eingebunden werden. Inzwischen haben die ersten Geschäfte eröffnet, seit einigen Tagen auch im alten Dobkowitz-Haus.

Geschäftsinhaber ist der deutschlandweit bekannte Bäcker Erich Steinecke, der allein im Süden Sachsen-Anhalts 210 Bäckerläden, Brotshops und Cafés betreibt. Der heute 83-Jährige hat sich auf Anhieb in das markante Haus verliebt und beschloss eine "riesengroße Investition". Und er knüpft an die Anfänge an: Vor 80 Jahren befand sich in dem Kaufhaus ebenfalls ein Wiener Café.

Mechthild Hübner, 50 Jahre, vollschlank und, lustig, serviert im Cafe Steinecke Espresso und Windbeutel. Sie ist eine von zehn Frauen, die dort Arbeit fanden. "Dass mein eigener Betrieb, für den ich bislang in einer anderen Stadt gearbeitet habe, sich hier in der ersten Reihe platziert, das konnte ich nicht glauben", erzählt sie.

Dobkowitz bleibt Dobkowitz, sagen die Merseburge. Auch wenn nach dem Bäcker vielleicht noch ein Restaurant eröffnet, ein Rechtsanwalt einzieht, Wohnungen ihre Mieter finden und das Ganze nun offiziell "Thietmar-Forum" heißt.