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Fesselnde Feier bei der PolizeiDisco bei der Polizei in Magdeburg: 3.000 Besucher kommen zum "Partyarrest"

Von Nicolas Ottersbach 11.09.2016, 17:48
Polizei Party Magdeburg
Polizei Party Magdeburg Nicolas Ottersbach

Magdeburg - Es ist kurz vor Mitternacht, als für Theresa die Handschellen klicken. Sie ist angetrunken und sitzt auf der Rückbank des Polizeiautos. Rechts ihre Freundin Anna, links Polizeihauptmeister Raymond Compera. „Na, wie fühlt sich das an?“, fragt er. „Geil, macht mal ein Foto von mir“, antwortet die 20-Jährige. Und die dritte Freundin, die hinterm Steuer hockt, drückt auf den Auslöser.

So sieht es aus, wenn das Polizeirevier Magdeburg für die Nachwuchsgewinnung zur Riesendisco wird. Denn die Polizei in Sachsen-Anhalt hat ein drastisches Problem. Vor zehn Jahren gab es noch 3 000 Bewerber pro Einstellungstermin. Jetzt sind es knapp über Tausend. „Für uns der Anlass, neue Wege bei der Rekrutierung zu gehen“, sagt der Magdeburger Polizeisprecher Frank Küssner.

Party auf der Wache

Theresa und ihre Freunde interessieren sich nicht unbedingt für den Polizeiberuf. Aber sie halten es für eine gute Idee, dass die sonst eher „angestaubten“ Beamten zu einer Feier einladen. „Wann hat man denn mal die Chance, auf der Wache Party zu machen. Das kommt bei den Leuten an“, sagt sie und zeigt gefesselt auf die Besucher, die sich die verschiedenen Polizeiautos angucken. Fast 3 000 Gäste sind gekommen. Am frühen Abend vor allem Familien und Kinder, am späten Abend Jugendliche und junge Erwachsene.

190 Polizisten sind dafür im Einsatz. Präsentieren ihre Ausrüstung, stellen einen Tatort nach, führen durch die Arrestzellen. Alles im laufenden Betrieb. Während auf sechs verschiedenen Tanzflächen House-, Rock- und Popmusik dröhnt, werden in der Leitstelle Notrufe entgegengenommen. Immer wieder verlassen Streifenwagen das Gelände, fahren wieder ein. Deshalb muss ein Korridor stets freigehalten werden. Das funktioniert erstaunlich gut: Selbst die Feierwütigsten torkeln verständnisvoll beiseite, wenn die blaue Minna durch muss. Ohne Tatütata, ohne Ansage. Man ist eben schon ein bisschen anständiger, wenn man ständig Uniformierte um sich hat.

Generell herrscht Ordnung, wenn auch eine hemdsärmelige. Auf der Wiese abgestellte Bierflaschen bleiben keine 15 Minuten stehen, bis sie von Beamten weggeräumt werden. Scherben werden sofort aufgekehrt. „Das ist vermutlich die sicherste Party in ganz Sachsen-Anhalt“, sagt Besucher Steve Springer.

Er ist begeistert davon, dass die Polizisten locker sind, Witze machen und sogar mittanzen. „Die zeigen ein ganz anderes Gesicht, als man es sonst gewohnt ist“, erzählt er. Das habe auch positive Auswirkungen auf das Berufsbild. „Die haben sogar Spaß“, sagt Springer. Für ihn und seine Freunde seien aber auch andere Kriterien wichtig, die bei der Polizei im Vergleich zu anderen Jobs derzeit wesentlich schlechter seien.

Die Bezahlung sei nicht gut genug, Polizisten häuften viele Überstunden an. „Die können wir nicht abbauen, weil es zu viele Aufgaben gibt. Und eine vernünftige Auszahlung gibt’s auch nicht“, verrät ein Polizist Mitte 20, der in der Hundertschaft seinen Dienst tut. Trotzdem sei es für ihn ein Traumberuf, der zukunftssicher sei und viele Möglichkeiten biete. „Es gibt unzählige Verwendungen, in die man sich versetzen lassen kann“, sagt der Polizist.

Gegendemo gegenüber

Zum Beispiel als Kriminalist, der Tatorte untersucht und so Mördern auf die Spur kommt. Oder in der Landesbereitschaftspolizei, die auch an diesem Abend ausrückt. Denn als Gegenveranstaltung zur Party im Revier hat sich am 200 Meter entfernten Hasselbachplatz eine Demonstration organisiert. Als von den rund 150 Teilnehmer Pyrotechnik und Böller gezündet werden, marschieren kurzzeitig 20 Polizisten auf, gehen einmal durch die Menge.

„Hier versammeln sich all diejenigen, die irgendwann einmal schlechte Erfahrungen mit den Bullen gemacht haben“, sagt ein Teilnehmer. Auch wenn die Stimmung angeheizt ist, gibt es keine Zwischenfälle. Die Polizisten gehen wieder zu ihren Einsatzwagen, die rund um das Revier in der Sternstraße postiert sind. Als Vorsichtsmaßnahme, weil am Vorabend Linksautonome 18 Polizeiautos anzündeten.

Das ist auch bei den Reviergästen Gesprächsthema. „Totaler Schwachsinn, der Polizei nicht mal die Möglichkeit zu lassen, sich zu öffnen und zu präsentieren. Wir brauchen sie doch letztendlich“, sagt Dustin (27), der direkt gegenüber der Wache wohnt.

Für Frank Küssner ist es ein gelungener Abend. Es werde aber nicht die einzige Maßnahme bleiben, um die Pläne der Politik zu erfüllen. Die Kenia-Koalition will die Polizei massiv aufstocken. In diesem Jahr sind 350, im nächsten 700 Einstellungen geplant, 2018 dann 550, 2019 nochmal 500 und 2020 immerhin 450.

Das Problem: Es bewerben sich nicht nur weniger junge Menschen, es fallen auch immer mehr durch die Einstellungstests. Die Kriterien wurde deshalb gelockert. Statt eines Sporttests ist nur noch das Sportabzeichen in Silber nötig. Das Einstellungsalter wurde von 26 auf 35 angehoben.

Der Lichtblick: In diesem Alter waren die meisten Partybesucher. (mz)