Direktor der Urologie-Uniklink Direktor der Urologie-Uniklink: «Oft hilft nur eine Operation»
Halle (Saale)/MZ. - Er ist Direktor der Universitätsklinik für Urologie in Halle und hat an den aktuellen Leitlinien mitgearbeitet, die bundesweit für die Behandlung von Prostatakrebs gelten.
Herr Professor, was sagen Sie zu den Vorwürfen?
Fornara: Manches ist doch sehr einseitig dargestellt worden. Aber ich kann verstehen, dass die Kassen an der Reduzierung von Kosten interessiert sind und deshalb die negativen Aspekte der PSA-Tests oder der Prostatakrebs-Operationen in den Vordergrund stellen.
Sie meinen beispielsweise die Tatsache, dass beim PSA-Bluttest auch Karzinome entdeckt werden, die für den Patienten ungefährlich sind, ihm aber allein wegen des Vorhandenseins Angst machen?
Fornara: Ja, aber die Bestimmung des PSA-Wertes ist die einzige wirkliche Früherkennungsmaßnahme, da durch die gängige Tastuntersuchung Tumore oft übersehen oder zu spät erkannt werden. Jedes einzelne gerettete Leben ist eine Legitimation für den PSA-Test. Sein Nutzen überwiegt die Nachteile. Ich wehre mich dagegen, Chancen für eine Heilung von Krebs zu vergeben.
Also lieber einmal zu viel operieren?
Fornara: Nein, vom Operieren habe ich nicht gesprochen. Einer weiterführenden Diagnostik und Therapie sollten nur behandlungsbedürftige Karzinome zugeführt werden. Um diese herauszufinden, ist der PSA-Test eine gute Hilfe. Sehen Sie, bei der Bauchspeicheldrüse beispielsweise haben wir solche Ansätze im Vorfeld nicht. Mit dem PSA-Test aber haben wir etwas in der Hand, mit dem wir uns an den Befund der Prostata herantasten können.
Ab welchem Wert operieren Sie?
Fornara: Der PSA-Wert dient nicht dazu festzustellen, ob und wann operiert werden muss. Er dient lediglich als Hinweis, dass etwas mit der Prostata nicht in Ordnung ist. Bleibt der Wert bei wiederholten Kontrollen auffällig, so sollte eine weitere Diagnostik im Sinne einer Probeentnahme - Prostata-Biopsie - vorgenommen werden. Danach muss vor einer eventuellen Operation geschaut werden, ob der Tumor harmlos oder hochaggressiv ist, und das Gesamtbefinden des Patienten muss beurteilt werden. Es gibt viele Störfaktoren, die den PSA-Wert beeinflussen können, deshalb ist er nur ein Indiz für einen möglichen Tumor.
Bedeutet ein überhöhter PSA-Wert automatisch Krebs?
Fornara: Nein, nicht zwangsläufig. Nur etwa einer von zehn Männern mit erhöhtem Wert hat Prostatakrebs.
Aber wenn die Diagnose Prostatakrebs feststeht, wird operiert?
Fornara: Nicht zwangsläufig. Bei entsprechender Aufklärung und genauen Kontrollen ist eine abwartende Strategie in einigen Fällen durchaus eine reelle Alternative. Generell werden nur Männer operiert, deren Lebenserwartung über zehn weitere Jahre hinaus geht. Auch bei bestimmten Grunderkrankungen wie Diabetes oder Parkinson und Begleiterscheinungen (Adipositas) nehmen wir häufig Abstand von einer Operation. Aber da bedarf es immer einer feinfühligen Zusammenarbeit von Arzt und Patient. Es muss immer die individuelle Situation des Patienten exakt eingeschätzt werden.
Dennoch wird häufig operiert, aus Sicht der Kassen zu häufig.
Fornara: Das Prostatakarzinom gehört erfreulicherweise - im Unterschied etwa zu Bauchspeicheldrüsen-, Lungen- oder Magenkrebs - , zu den Krebsarten mit der höchsten Heilungsrate, wenn es frühzeitig erkannt wird. Deswegen haben die Früherkennung und gegebenenfalls die rasche Operation eine hohe Bedeutung.
Ja, wir operieren heute öfter als vor zehn Jahren - an meiner Klinik etwa 300 Mal im Jahr. Heutzutage wird vor allem deshalb öfter operiert, weil der PSA-Test früher nicht so verbreitet war und viele bösartige Tumoren zu spät erkannt wurden, so dass gar nicht mehr operiert werden konnte. Die Männer hatten ihre Heilungschancen verloren.
Decken sich Ihre Erfahrungen mit denen der Studie, dass 70 Prozent der operierten Männer über Erektionsprobleme klagen und 16 Prozent über Harninkontinenz?
Fornara: Ja, das deckt sich, und häufig wird eine Operation aus diesen Gründen auch abgelehnt. Aber wir müssen beachten, dass es sich dabei um bösartigen, lebensbedrohlichen Krebs handelt, der oft nur durch diese Operation geheilt werden kann. Erektionsstörungen oder Inkontinenz sind manchmal der Preis für die Heilung. Eine Operation ist nie besser als der Normalzustand, sie ist nur besser als die Krankheit.
Können Sie die Nebenwirkungen nicht minimieren?
Fornara: Wir arbeiten schon so schonend wie möglich, aber wenn die Prostata wegen eines fortgeschrittenen Karzinoms entfernt werden muss, müssen die Harnröhre und meist auch wichtige Nerven durchtrennt werden. Deshalb bekommen viele Männer Potenz- oder Inkontinenzprobleme. Aber: Je kleiner der Tumor ist, desto nervenschonender kann operiert werden. Auch das spricht für die Früherkennung. Ich operiere übrigens seit fast 40 Jahren, und die meisten meiner schwererkrankten Patienten sagen mir: Es ist schön, wenn Sie die Nerven retten können, aber die Hauptsache ist, dass der verdammte Krebs weg ist!
Ist Bestrahlung nicht die bessere Alternative?
Fornara: In der Tat ist Bestrahlung eine gute Alternative, Inkontinenz zum Beispiel kommt als Folge seltener vor. Allerdings: Eine Bestrahlung lässt keine zweite Behandlung an der Prostata mehr zu. Das heißt: Wenn der Krebs nach einer OP zurückkommt, können wir immer noch bestrahlen. Wenn er nach einer Bestrahlung wieder auftritt, ist es extrem schwierig, dem Patienten noch mit einer Operation zu helfen. Unsere therapeutische Strategie ist es, mit dem ersten Schritt den zweiten nicht zu verbauen.