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Die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs Die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs: Drama an der Elbe

Von Andreas Montag 13.04.2015, 07:39
Deutsche Soldaten der Armee Wenck überqueren im Mai 1945 bei Fischbeck die Elbe in Richtung Tangermünde, um sich in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu begeben.
Deutsche Soldaten der Armee Wenck überqueren im Mai 1945 bei Fischbeck die Elbe in Richtung Tangermünde, um sich in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu begeben. National Archives Washington DC, SLG Schwerdtfeger Lizenz

Tangermünde - An den „Endsieg“ hat im April 1945 in Deutschland wohl niemand mehr geglaubt - außer Adolf Hitler. Von Osten und Westen rückten die alliierten Truppen unaufhaltsam vor, viele Städte auch im umkämpften Mitteldeutschland, darunter Dessau, Halberstadt und Magdeburg, lagen nach schweren Luftangriffen in Trümmern. Letzte Hoffnung setzte der „Führer“ auf den Panzergeneral Walther Wenck, der mit der neu formierten 12. Armee die Rote Armee vor Berlin noch stoppen sollte.

Ein absurdes und gespenstisches Vorhaben war das, den längst verlorenen Krieg mit einer aus zumeist eilig rekrutierten, schlecht ausgebildeten jungen Männern zusammengewürfelten Einheit noch wenden zu können. Wenck, ein im Jahr 1900 in Wittenberg geborener, begabter Offizier, war mit gerade 42 Jahren zum Generalmajor aufgestiegen. Am 23. April 1945 befahl Hitler, Wenck solle seine westwärts gerichtete Verteidigung aufgeben und seine neu geordnete Armee in Richtung der Reichshauptstadt in Marsch setzen.

Einsatz als erzwungener "Freiwilliger"

Aber welche Truppen standen denn noch zur Verfügung? Und in welchen Räumen sollte die Armee Wenck operieren? Unser Leser Horst Lange erinnert sich daran, wie er mit anderen 16-Jährigen aus dem Mansfelder Land als erzwungener „Freiwilliger“ in den Krieg geschickt wurde (siehe den Beitrag „Kinder für das letzte Aufgebot“ auf dieser Seite). Auch der 2013 verstorbene Kabarettist Dieter Hildebrandt ist der Armee Wenck zugeschlagen worden, ebenso der langjährige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Der 1927 geborene Hildebrandt hat sich in einem Gespräch über Heimat und Krieg an die Eile und auch Orientierungslosigkeit erinnert, die bei der Zusammenstellung der neuen Verbände herrschte. Unter anderem in Eilenburg sollten die jungen Männer, die oft von der Schulbank kamen oder Luftwaffenhelfer gewesen waren, das Nötigste für den Kriegseinsatz lernen. Auch von der Angst, noch kurz vor dem Kriegsende ums Leben zu kommen, hat Hildebrandt berichtet, der 1944 als 17-Jähriger in einer Offiziersausbildung gelandet war: „Dann kam dieser Hitler-Befehl: Wir sollten nach Sachsen, in die Leipziger Gegend marschieren und als Offiziersreserve für den Endsieg aufgehoben werden. Ich wurde in Eilenburg stationiert. Dann kam Hitler auf die Idee, die sogenannte Armee Wenck ... aufzustellen. Die sollte ihn aus dem eingeschlossenen Berlin herausholen, was dieser General Wenck in Wirklichkeit aber gar nicht vorhatte. Er wollte ... versuchen, bei Beelitz und Potsdam eine Bresche in die russische Front zu schlagen. Das ist ihm auch gelungen, mit den letzten Panzern, die noch da waren“, hat Hildebrandt 2004 im MZ-Interview berichtet. Dabei wurden zahlreiche deutsche Verwundete befreit und nach Westen gebracht.

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Militärisch war die Lage der deutschen Truppen seit der verlorenen Schlacht um die Seelower Höhen östlich von Berlin faktisch aussichtslos. Die 1. Weißrussische Front unter Marschall Schukow durchbrach dabei in einem groß angelegten Angriff die Stellungen der Heeresgruppe Weichsel der deutschen Wehrmacht. Nach der Schlacht, die vier Tage dauerte, vom 16. bis zum 19. April 1945, war das Ende des „Tausendjährigen Reiches“ besiegelt. Das furchtbare Blutvergießen und das sinnlose Sterben aber sollten noch weiter gehen. Der Schlacht von Seelow folgte der Kessel bei Märkisch-Buchholz und Halbe. Dorthin, südöstlich von Berlin, hatten sich versprengte Einheiten der 9. Armee gerettet und wurden von sowjetischen Truppen eingeschlossen, weil das Führerhauptquartier den Befehl zum Rückzug nicht gegeben hatte. Unter großen Verlusten auf beiden Seiten gelang schließlich den letzten gepanzerten Truppen der Deutschen vom 25. bis zum 28. April 1945 der Ausbruch aus dem Kessel. Die Bilanz ist grauenhaft: 30 000 deutsche Soldaten, 10 000 Zivilisten und 20 000 Rotarmisten sind bei Halbe gestorben, die anliegenden Orte lagen zerschossen. Und noch Jahrzehnte nach Kriegsende sind in den Wäldern um das Schlachtfeld Tote geborgen und bestattet worden.

In den 90er Jahren ist der Friedhof von Halbe dann zu trauriger Berühmtheit gelangt, weil sich Neonazis dort zu makabren und aggressiven „Trauerfeiern“ versammelten, bei denen es um verpasste Siege und „Heldengedenken“, nicht aber um die Zehntausenden von Toten und die Lehren ging, die man aus den schrecklichen Schlachten im Namen des „Großdeutschen Reichs“ ziehen muss - und die viele der Überlebenden auch gezogen haben.

Amerikaner warten auf Russen

Ungefähr 25 000 Mann, die dem Kessel von Halbe entkommen sind, stießen am 29. April 1945 südlich Berlins, bei Beelitz, Ferch und Neuseddin, zu Einheiten der 12. Armee des Generals Wenck, dort kam es noch einmal zu einer Schlacht mit sowjetischen Truppen.

Zu diesem Zeitpunkt kontrollierten die amerikanischen Truppen bereits seit Tagen das gesamte Gebiet des späteren Landes Sachsen-Anhalt westlich von Elbe und Mulde, wie der Historiker Alexander Sperk festgehalten hat. Damit war, wie es die US-Militärführung offenbar den Sowjets zugesagt hatte, der Vorstoß beendet. Nun warteten die Amerikaner auf die Russen, die sich von Osten näherten.

In dem Korridor, der dazwischen noch blieb, bewegten sich Wencks Truppen - teils südlich von Berlin, teils von einer Linie zwischen Magdeburg und Dessau über den Fläming nach Nordwesten hin. Am 30. April gab Hitler seine Sache, die Millionen von Menschen das Leben gekostet hatte, verloren, übergab das Kommando an den Admiral Karl Dönitz und erschoss sich in Berlin. Das Oberkommando der Wehrmacht ließ im Rundfunk melden, der „Führer“ sei „an der Spitze der heldenmütigen Verteidiger“ im Kampf um Berlin gefallen.

General Wenck indes hatte nur noch ein Ziel: Er wollte seine Truppen an die Amerikaner übergeben, um sie vor der sowjetischen Kriegsgefangenschaft zu bewahren. Bei Tangermünde sollte die Elbe überschritten werden.

Verhandlungserfolg

Die Amerikaner seien von Wencks Plan zunächst nicht begeistert gewesen, so der Historiker Sperk. Die Rote Armee war ihr verbündet, seit die USA mit der Landung in der Normandie in den Krieg eingetreten waren, hatten sie gemeinsam mit der Sowjetunion gegen die deutschen Armeen gekämpft. Schließlich führten die Verhandlungen zwischen Wencks Abgesandten und amerikanischen Vertretern in Stendal aber doch zu einer Einigung.

Anfang Mai durften die deutschen Soldaten, nicht aber Zivilisten die Elbe gen Westen überqueren, sowjetische Geschütze und Flugzeuge nahmen die Fliehenden noch unter Beschuss, ist berichtet worden. Es müssen sich dramatische Szenen an der zerstörten Brücke bei Fischbeck und Tangermünde abgespielt haben. Die zahlreichen Waffen- und Munitionsfunde nahe Fischbeck nach dem Hochwasser im Jahr 2013 stehen wohl mit diesen Ereignissen in Zusammenhang.

General Wenck selber ging am 7. Mai in amerikanische Gefangenschaft - einen Tag, bevor im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst die Kapitulation Deutschlands besiegelt wurde. Wenck wurde 1947 entlassen und war danach als Geschäftsmann tätig. Nach dem Aufbau der Bundeswehr in den 50er Jahren gab es kurzzeitig sogar den Plan, Walther Wenck solle deren Leitung übernehmen. 1982 ist er gestorben, an den Folgen eines Autounfalls.

Walther Wenck
Walther Wenck
National Archives Washington DC, SLG. Schwerdtfeger Lizenz