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Deutsche trinken weniger Bier Deutsche trinken weniger Bier: Es schäumt nicht mehr

Von Hendrik Kranert-Rydzy 03.09.2013, 18:07
Norbert Gehring vor seiner Brauerei in Wippra
Norbert Gehring vor seiner Brauerei in Wippra Andreas Stedtler Lizenz

Wippra/MZ - Aus der Luft betrachtet, liegen zwischen den beiden Harzorten Wippra und Wernigerode nur gut 50 Kilometer. Aus der Sicht von vielen Biertrinkern und Brauern jedoch trennen die beiden Gemeinden Welten. Wer sich auf die Reise von der Premiummarke „Hasseröder“ zum Nischenproduzenten „Wippraer“ begibt, lernt viel darüber, warum ausgerechnet den Deutschen die Lust auf ihr angeblich liebstes Getränk immer mehr vergeht.

Dabei scheinen auf den ersten Blick die Unterschiede gar nicht so groß: Gut, die kleine Brauerei in der Bottchenbachstraße in Wippra (Landkreis Mansfeld-Südharz) liegt etwas versteckt, während der Hasseröder Auerhahn schon von weitem von den riesigen Tanks grüßt. Ansonsten duftet es hier wie da süßlich-warm nach Malz und bitter-scharf nach Hopfen. Allerdings beginnen bereits bei den Grundzutaten die Unterschiede. Norbert Gehring, promovierter Chemiker, der vor zehn Jahren sein Hobby zum Beruf gemacht hat, stellt Dosen und Schaukästen auf den Tisch. Darin: 25 verschiedene Gerstenmalz- und diverse Aroma- und Bitterhopfen-Sorten. 80 gibt es insgesamt auf dem deutschen Markt. Allein rechnerisch ließe sich damit eine ungeheure Geschmacksvielfalt brauen: „Da ist Spielraum ohne Ende, ohne das wir das Deutsche Reinheitsgebot verlassen“, sagt Gehring, der zusammen mit seinem Bruder das Wippraer Brauhaus führt.

Mix-Getränke stagnieren

Doch geschmackliche Vielfalt sucht der Supermarkt-Kunde seit Jahren vergebens - es dominieren hopfenbetonte, sprich herbe Pilsner. Biervielfalt? „Wir haben zwar 5 400 Biermarken, aber nur 25 verschiedene Sorten oder Stile“, sagt Gehring. In Belgien, längst die Nation mit der größten Bierkultur Europas, sind es über 1 000 verschiedene Geschmacksrichtungen. Da verwundert es nicht, dass deutsche Biere seit Jahren kaum mehr internationale Preise gewinnen und die Deutschen immer weniger Bier trinken. Seit 15 Jahren geht das so; nur zur Fußballweltmeisterschaft 2006 gab es einen kleinen Ausreißer nach oben. Statt 116 Liter im Jahr 2004 konsumierte der Durchschnittsdeutsche 2012 nur noch 107,6 Liter. Tendenz weiter sinkend. Das Getränke-Fachmagazin „Inside“ titelte denn auch Ende Juli: „Unterirdischer Bierabsatz“ im 1. Halbjahr 2013. Laut „Inside“ waren es gegenüber dem Vergleichszeitraum 2012 insgesamt 4,8 Prozent weniger. Bei Hasseröder sollen es gar 14 Prozent gewesen sein.

Die Gehrings spüren davon nichts. Seit Jahren brauen sie 2 500 Hektoliter im Jahr - mehr wollen sie auch gar nicht. Zum Vergleich: Bei Hasseröder war es mehr als die tausendfache Menge - rund 2,8 Millionen Hektoliter. Im Hof in Wippra wird gerade ein Kleintransporter beladen, der die ungewöhnlichen Ein-Liter-Flaschen zu Fachhändlern der Region fährt. Zudem ist „Wippraer“ bei Edeka gelistet, und daher auch in Magdeburg und Braunschweig zu bekommen. Halle und Leipzig versorgen die Gehrings über die Lebenshilfe Halle. Klingt verrückt, ist aber eine Idee, von der beide Seiten profitieren. Es entstanden zehn Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung, die das in Tanks angelieferte Bier in Halle abfüllen. Regionale Kooperation bei einem Getränk, das gerade dabei ist, seine Regionalität zurück zu gewinnen.

Die Gebrüder Gehring haben die Brauerei Wippra vor zehn Jahren gekauft und saniert. Dennoch ist das Flair der Museumsbrauerei, deren Ursprünge in das Jahr 1480 zurückreichen, nicht verloren gegangen: Die Sudkessel beispielsweise stammen aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts, eine offene Transmission funktioniert seit 1905 tadellos. Produziert werden sechs Lager- und drei Edelbiere, die allerdings in neue Edelstahltanks reifen. Im Eiskeller lagern inzwischen auch Jahrgangsbiere, die einmal auf Verkostungen angeboten werden. Diese sollen ab Herbst zum Programm gehören.

Kerstin Engel-Gehring, Ehefrau von Brauerei-Inhaber Norbert, will im September ein Buch mit dem Titel „Die Bierflüsterin“ veröffentlichen. Es enthält nicht nur alles Wissenswerte über die 9 000-jährige Kulturgeschichte des Biers, sondern auch zahlreiche Anekdoten, warum Männer Bier trinken und wie Frauen zu selbigem gebracht werden können. Kerstin Engel-Gehring trinkt selber erst seit einem Jahr Bier.Weitere Informationen unter: www.wippra-biere.de

Jahrzehntelang ging es in Deutschlands Bierindustrie genau andersherum: Riesige, weltweit agierende Konzerne kauften reihum Premiummarken auf. An der Spitze steht die Radeberger Gruppe, gefolgt von AB InBev - zu denen neben Hasseröder auch Diebels, Franziskaner, Gilde und Löwenbräu gehören - und der Oettinger Gruppe. Elf Konzerne und große Privatbrauereien dominieren den deutschen Biermarkt und diktieren den Geschmack. „Es herrscht Monotonie“, sagt Norbert Gehring. Gleichzeitig verdarben sogenannte Fernsehbiere zusammen mit einem aggressiven Handel die Preise. 20 Flaschen Premium-Pils für unter zehn Euro, da schrumpfen selbst für die Brauereikonzerne die Margen gewaltig.

„Wir betrachten Bier auch nicht mehr als Kulturgetränk wie Wein oder Whiskey, sondern nur noch als Massen-Durstlöscher“, klagt Gehring. Das beginne mit dem Preis und ende mit dem Konsum aus der Flasche - für den ersten Biersommelier Sachsen-Anhalts ein absoluter Stilbruch: Jedes Bier brauche auch sein Glas, um seinen vollen Geschmack entfalten zu können. Schließlich nehme der Mensch nur 20 Prozent des Geschmacks über die Zunge, aber zu 80 Prozent über die Nase wahr. Damit landet der Brauer aus dem Harz wieder in Belgien. Dort habe die Brauereien nicht nur die Bier-, sondern auch die Vielfalt an Gläsern zu in Deutschland unerreichten Höhen getrieben.

Der Preiskampf lasse sich wiederum nur durchhalten, wenn die großen Konzerne bei den Zutaten Abstriche machten - also gewaltige Mengen nur einer Gerstenmalzsorte und Allerweltshopfen einsetzten. Damit ist man wieder beim Problem der geschmacklichen Einfalt. Ein Teufelskreis.

Mittelständische Brauereien können dies auf Dauer nicht durchhalten, sie „leiden besonders unter dem Preiskampf“, sagt Marc Oliver Huhnholz, Pressesprecher des Deutschen Brauerbundes. Bestes Beispiel dafür ist die Colbitzer Heidebrauerei nördlich von Magdeburg, die im vergangenen Jahr in die Pleite schlitterte. Die Firma wurde jetzt von der Wolters-Brauerei Braunschweig übernommen und soll 2014 wieder produzieren. Auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt hat sich so die Zahl von einst über 100 Braustätten auf 17 reduziert. Das es auch anders geht, zeigt ein Beispiel von der Ostseeküste: „Stralsunder“ hatte einst einen berüchtigten Ruf - bis die Störtebecker-Brauerei sich einen radikalen Wandel verordnete: Man setzt auf Vielfalt und beste Zutaten. „Einheitsbrei könne andere besser und billiger vermarkten“, begründet Marketingchef Karsten Triebe. Der Erfolg gibt den Stralsundern recht - „wir wachsen seit drei Jahren stetig“, so Triebe.

Deutschlandweit fällt auf, dass trotz des sinkenden Bierkonsums die Zahl der Braustätten leicht steigt - um gut 50 seit 2004 auf nunmehr 1 339. Nicht nur für Gehring ein Lichtblick: „Ich glaube, es gibt eine Trendumkehr.“ Verunsicherung allerorten führe zu einer Rückbesinnung darauf, dass das Gute vor Ort entsteht, sagt auch Brauerbund-Sprecher Huhnholz: „Der Brauer vor Ort ist sexy.“ Gehring produziert in Wippra eben nicht nur Pilsener, Rot- oder Schwarzbier, sondern auch sogenannte Champagnerbiere. Erzeugt mit Edelhopfen, die den Bieren etwa Grapefruit-Aromen verleihen und monatelang lagern. Und der Brauer vor Ort lässt sich über die Schulter schauen und vermittelt Bier-Wissen. „Das ist ganz wichtig, wir müssen die Leute informieren“, sagt Gehring. Er bietet daher Brau-Seminare an, Verkostungen sollen folgen. Die Nachfrage ist enorm - auch von Fachkollegen: Ein Brauer aus San Diego in den USA will zum Praktikum vorbeikommen; ein Berufskollege von den Philippinen sogar für zwei Monate.

„Vielzahl wächst langsam“

Doch auch in Deutschland scheint eine Rückbesinnung einzusetzen: Immer mehr große Brauereien schicken mittlerweile ihr Personal zu Sommelier-Lehrgängen. Die Konzerne, die früher nur auf eine Marke setzten, haben ihr Programm erweitert, um wieder zu mehr Regionalität zu gelangen. „Die Vielzahl wächst langsam“, sagt Brauerbund-Sprecher Huhnholz. Doch es werde wohl noch ein paar Jahre dauern, glaubt Sommelier Gehring, bis man in Deutschland in einem Restaurant nicht dumm angeguckt werde, wenn man eine Bierkarte verlangt: „In Österreich ist das inzwischen üblich.“ Die Nachfrage nach Bier steigt jedenfalls wieder in der Alpenrepublik.