Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Mit Zahnweh in die Mottoshow
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - "Eigentlich ist noch alles sehr entspannt hier", sagt die 18-Jährige, die am Freitagabend in der ersten Mottoshow der RTL-Sendung "Deutschland sucht den Superstar" steht.
Dass sie in der DSDS-Villa, in die die letzten zehn von 30 000 Kandidaten am Sonntag einzogen, ein Durchgangszimmer zum Bad hat und damit "früh immer mit als erste wach" ist - geschenkt. Nur der Weisheitszahn, der nervt. Seit Tagen macht er Ärger und bringt der einzigen verbliebenen Ostdeutschen in Deutschlands bekanntester Castingshow täglich Spritzen ein. "Ohne Spritze kriege ich den Mund nicht auf." Was die denkbar schlechteste Voraussetzung wäre, um das neu gesteckte Ziel zu erreichen: "Top fünf wäre schon klasse."
4,99 Millionen Fernsehzuschauer haben am vergangenen Samstag gesehen, wie sich die angehende Immobilienfachfrau mit "Hot N Cold" von Kate Perry in die Mottoshows rockte. Damit lag DSDS zwar hinter ZDF-Quotenknüller "Wetten dass..?" (9,66 Millionen). In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen zockten Sprücheklopfer Dieter Bohlen und Co. die Konkurrenz aus dem Öffentlich-Rechtlichen aber ab: 3,43 Millionen schalteten zu DSDS, 400 000 weniger waren es bei Thomas Gottschalk.
Bohlen schmeichelt, Bohlen flirtet, Bohlen motzt - und halb Deutschland hockt gebannt vor den Flimmerkisten. Selbst wenn die Einschaltquoten der ersten Staffel längst nicht mehr erreicht werden: Auch in der mittlerweile sechsten ist DSDS ein Erfolgsformat. Medienpsychologe Jo Groebel wundert das nicht. "Weil alle darüber reden, guckt man sich das auch an - das ist ein Selbstläufer", sagt er.
Vor allem aber: DSDS sei durch die zahllosen Geschichten, die aus dem Leben der Talentierten, aber auch der eher peinlichen Casting-Kandidaten erzählt werden, kein reiner Talentwettbewerb, sondern eher wie eine Soap. Inklusive Suchtfaktor. "Man kann zu den Beteiligten völlig unterschiedliche Arten von Beziehung aufbauen", sagt der Berliner Medienpsychologie-Professor. Sie bemitleiden, sympathisch finden oder sich schrecklich über sie aufregen. Und man wolle wissen, wie es weitergeht. Die Mischung aus Kontinuität und immer wieder neuen Personen mache den Erfolg der Sendung aus "so lange es neue Talente und peinliche Figuren gibt. Und die wird es immer geben".
Gerade die oft derben Sprüche gegenüber den Talentfreien haben RTL aber in der Vergangenheit auch reichlich Ärger eingebracht. 2008 brummte die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) dem Sender 100 000 Euro Geldstrafe auf. Neben dem "herabwertenden Verhalten der Jury" und Bohlen-Sprüchen aus den Tiefen der Fäkalkiste kritisierte die KJM vor allem die redaktionelle Gestaltung der Casting-Auftritte. Mit der Einblendung von Untertiteln und Animationen würden Kandidaten gezielt lächerlich gemacht, Beleidigungen und antisoziales Verhalten als Normalität dargestellt. Vor allem auf Kinder wirke das desorientierend.
Nach anfänglichem Zögern reagierte RTL auf die Schelte: In der sechsten Staffel wurde jede Casting-Folge vor ihrer Ausstrahlung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) vorgelegt. "Zum Teil haben wir noch auf Änderungen gedrungen und Schnitte verfügt", sagt Claudia Mikat, Vorsitzende des Prüfungsausschusses. Insgesamt habe RTL aber sehr viel Kritik schon beherzigt.
Und immerhin: Mancher der schwer vorgeführten Kandidaten hat es bis heute zu weit mehr als Häme gebracht. DSDS-Dauerkandidat Menderes Bagci schlägt aus seinem Nichtskönnen längst Kapital, und auch die legendäre Johanna ("Ich hab die Haare schön", "dabei ist alles") kann sich mit Talentfreiheit ein nettes Zubrot verdienen.
Zum wirklich großen Durchbruch hat es bei DSDS aber noch für keinen gereicht - nicht einmal für die Top-Ten-Kandidaten. "Die Stars haben das Haltbarkeitsdatum eines Joghurtbechers", sagte Musikmanager Rainer Moslener einmal im Interview. Ihr Erfolg hänge von regelmäßiger TV- und Live-Präsenz ab. Mancher rutscht da schon in die zweite Reihe, sobald die nächste Staffel anfängt. Andere wie Paradiesvogel Daniel Küblböck (Staffel eins) oder der inzwischen zur weiblichen Lorielle London gewandelte Lorenzo (Staffel zwei) landen im RTL-Dschungelcamp.
Von den bisherigen Siegern sind zwar alle noch musikalisch aktiv, aus dem großen Trubel aber zum Teil längst abgetaucht. Medienwissenschaftler Goebel wundert auch das nicht: "Es ist wie im normalen Musikgeschäft. Auf zehn One-Hit-Wonder kommt nur einer, der dauerhaft Erfolg hat". Am ehesten könnte man den wohl bisher Bohlen-Liebling Mark Medlock (Staffel vier) zuschreiben: Er brachte es mit Bohlens Hilfe auf vier Nummer-eins-Hits und ein Nummer-eins-Album in den deutschen Charts.
Annemarie Eilfeld weiß, dass der Traum von der Top-Karriere oft Wunschdenken bleibt. Selbst seit ihrem sechsten Lebensjahr auf der Bühne, hofft sie zumindest darauf, ihren Bekanntheitsgrad so weit zu erhöhen, dass sie Konzerte geben, Singles und Alben aufnehmen kann. "DSDS ist eine sehr günstige Promotion-Plattform für mich. Das ist besser, als wenn man aus dem Nichts kommt", sagt sie. Im Gegensatz zu Staffel-Sechs-Paradiesvogel Benny, der seine Friseurlehre aufgab, hat sie ihre Ausbildung nach zwei Jahren nur unterbrochen.
Am Freitag aber will sie erstmal weiterkommen: mit "Baby one more time" von Britney Spears.