Cochstedt Cochstedt: «Bird-Men» stürzen in die Tiefe
Cochstedt/MZ. - "Für Fallschirmsportfans ist es ein Muss, hier zu sein", sagt Lena Dementyera. Die kleine dunkelhaarige Frau steht neben dem Rollfeld des Flughafens Cochstedt und beobachtet, wie sich wieder eine Gruppe Springer bereit macht zum Abflug. Durch den Lautsprecher kommt der Aufruf zum "Boarding", das Flugzeug rollt donnernd heran, dreht eine Kurve und schon klettern Männer und Frauen in Overalls und mit Fallschirmen auf dem Rücken in den Bauch der Maschine, zwängen sich nebeneinander auf die Sitze. Dann startet der Pilot wieder gen Himmel.
Zehn Minuten später ist das Brummen der Motoren über dem Flugfeld zu hören. In rund vier Kilometern Höhe öffnet sich die Ladeklappe am Heck des Fliegers, und die Sportler wagen den Sprung Richtung Erdboden. Den Moment des Absprungs können Beobachter am Boden nur schwer erkennen, so hoch fliegt der "Short Sky-Van" (Himmelstransporter). Aber schon bald sind die ersten Fallschirme am Cochstedter Himmel als bunte Flecken zu erkennen.
Lena Dementyera ist aus der Ukraine zum "AN 72 Boogie" angereist. Dass das geräumige Düsenflugzeug, die Antonow 72, das dem Festival den Namen gibt, dieses Jahr gar nicht vor Ort ist, stört sie wenig. "Ich habe dieses Jahr mit Sky-Flying begonnen und möchte hier von erfahrenen Sportlern mehr über die Technik lernen", erzählt die Enddreißigerin. In der Ukraine sei diese Disziplin des Fallschirmspringens nämlich noch wenig verbreitet. Dabei wird mit Spezialanzügen gesprungen. Die ermöglichen es den Bird-Men (Vogelmännern), länger im freien Fall zu bleiben. Die Overalls haben Einsätze zwischen Armen und Körper, die aussehen wie die Flughäute eines Gleithörnchens.
"Wir sind inzwischen eine Marke", sagt Roland Schmidt, bei dem die Fäden der Festival-Organisation zusammenlaufen. Rund 300 Fallschirmspringer aus 20 Ländern seien zu der Veranstaltung des mitteldeutschen Fallschirmsprungzentrums angereist. Hinzu kommen Tagesgäste, meist Tandemspringer aus dem mitteldeutschen Raum - Anfänger, die den Sprung gemeinsam mit erfahrenen Fallschirmsportlern wagen.
Die meisten Gäste seien wegen der Antonow 72 gekommen, die nun in Moldawien steht und keine Flugerlaubnis erhält, erzählt Schmidt. Er und sein Team konnten allerdings schnell Ersatz beschaffen. Der kurzfristig in Österreich gecharterte "Short Skyvan" namens "Pink" kann zwar nur 24 Fallschirmspringer gleichzeitig in die Lüfte heben, nicht 70, wie die AN-72. Aber zusätzlich startet das clubeigene Flugzeug AN 28 mit ebenfalls 24 Plätzen, damit die Warteschlangen nicht zu lang werden.
Und Hauptsache, es geht in die Luft. Fallschirmspringen mache süchtig, sagt Ron Greven, der bereits zum dritten Mal beim Cochstedter Boogie ist. "Erst hast Du Angst, dann macht es Spaß, dann kommt die Sucht", so beschreibt es der Niederländer. Von der Begeisterung für den Sport zeugt auch das Camp vor dem Flugplatz. Neben bunten Zelten liegen überall Fallschirme und Ausrüstung, zahlreiche Teilnehmer tragen T-Shirts, die von ihrem Hobby künden. Kaum eines der auf dem Platz abgestellten Fahrzeuge kommt ohne Werbung für die Sportart aus. Ein Anhänger verspricht in großen Lettern sogar "Sex mit den Göttern".
"Fallschirmspringer sind fast so verrückt wie Surfer", erklärt Roland Schmidt. Es seien Weltenbummler darunter, die von einem Sprung-Event zum anderen fahren, erklärt er das internationale Teilnehmerfeld. Untereinander kennen sich die meisten Sportler. Die Sportart habe noch nicht so viele Anhänger, es werde wenig darüber informiert, sagt Verena Lauer. "Deshalb trifft man bei den Events fast immer die Gleichen", so die 29-Jährige. Lena Dementyera hält das Teilnehmerfeld für ausbaufähig. "Viele träumen doch davon, hierher zu kommen", sagt sie. Im nächsten Jahr werde sie jedenfalls nicht mehr alleine anreisen, sondern mit einer Gruppe.