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Cafébistro in Halle Cafébistro in Halle: Von Halle bis Mittelmeer

Von Michael Falgowski 05.10.2012, 20:29

Halle (Saale)/MZ. - Es gibt da diesen bekannten Gastrokritiker aus Berlin. Bücher hat er veröffentlicht, und überhaupt ist er bekannt in der Szene, unterhielt sich auf einschlägigen Veranstaltungen stundenlang über dies und das im Gourmetküchenhimmel und, na ja, aß halt ständig, und zwar ausgesucht gut. Sein Name ist uns leider entfallen, er ist aber auch egal. Kürzlich hörten wir ihn in einem Interview sagen, dass er nach langer beruflicher Praxis abgefallen sei vom Haute Cuisine-Glauben. „Wenn ich Spaghetti bestelle, will ich auch Spaghetti haben“, tönte es aus dem Radio. Und nie, nie wieder wolle er verschnörkelte Linien aus Schokoladensauce und blasses, geschäumtes Etwas zur Zierde auf seinem Teller sehen. Das Interview amüsierte uns ganz beträchtlich, und obgleich wir selber uns durchaus noch über kulinarische Überraschungen freuen können, von den Schäumchen tatsächlich einmal abgesehen, verstanden wir zumindest, was er meinte. Da loben wir uns doch einmal den Mittelweg, vielleicht gibt es den in Berlin ja nicht. In Halle jedenfalls haben wir ihn gefunden, und zwar im „Haus und Hof“ in der Reilstraße.

Viel mehr als ein Bistro

Bevor wir uns über die Speisen hermachen, aber noch ein paar Worte zur Einrichtung. Das Bistrocafé, im Hinterhof eines Hauses neben der Galerie Nord gelegen, ist nicht einfach ein simples Bistro. Dazu sind die Blumen zu frisch, die restaurieren antiken Möbel im unteren Bereich auf dem rot-weiß gefliesten Boden zu schön, die Kunst an den Wänden zu geschmackvoll. Letztere stammt übrigens aus dem Privatbesitz des Betreiber-Ehepaares Steuber. Aber das nur nebenbei. Der weiße Holztresen ist verziert mit friesischen Fliesen von 1900, die der „Haus und Hof“-Besitzer einst auf einem Flohmarkt in Amsterdam gekauft und nun endlich „ausgestellt“ hat. In einer der Vitrinen wird selbstgebackener Kuchen angeboten, in einer anderen kleine Leckerchen wie italienisches Gebäck, Marzipanfrüchte oder Wittekind-Honig.

Eine kleine Treppe führt in einen zweiten Raum, dort haben die Möbel schon eher Bistrocharakter, aber auch hier hängen viele Bilder an den Wänden; und blickt man durch die große Glastür nach draußen, fällt der Blick auf ein steinernes Relief. Es stammt aus der alten Wollhalle und zeigt eine Schäferfigur. Die Inhaber vom „Haus und Hof“ haben das Relief beim Abriss der Fabrik retten können, es restaurieren lassen und nun auf dem Hof aufgestellt. Die leider etwas abgedroschene Formulierung von der „Liebe zum Detail“ hat im „Haus und Hof“ unbedingt ihre Berechtigung.

So, nun aber zum wichtigsten, zumindest was unseren Text hierbetrifft: das Essen. Die Küche wandelt recht sicher auf dem schmalen Grat zwischen regional und mediterran. Es gibt eine ständige Speisekarte und eine Wochenkarte. Erstere bietet eher bodenständige, zum Teil aber dennoch ungewöhnliche Speisen an. Arme Ritter (2,80 Euro) zum Beispiel, das sind Brötchenhälften in Ei golden gebraten und in Zucker und Zimt gewendet. Für Gäste unter 1,50 Meter zumindest verlockend. Die Kaisersülze mit Bratkartoffeln (8,80 Euro) ist hervorragend, das Röstbrot mit gebratenen Zwiebeln (2,20) ein gelungener Snack. Der Lachs, serviert mit Kartoffelpuffern und geschmacklich gut abgestimmt auf Sahnemeerrettich und Ruccola, wird übrigens selbst gebeizt in der Reilstraße. Pastagerichte in zwei Portionsgrößen werden angeboten, und die von uns verkosteten Penne al pepe verde (6,70/8,70 Euro) waren genau das, was sie versprachen. Nudeln mit Schweinefiletstreifen, Champignons, grünem Pfeffer und einer Weißwein-Sahnesoße. Grundsolide und gut.

Seiner Kreativität lässt der junge Koch auf der Wochenkarte dann schon freieren Lauf, hier ist seine Handschrift mehr zu merken. Die Kürbiscremesuppe (3,50 Euro ) mit Thymiancroutons war vielleicht ein klein wenig zu dünn geraten, hatte aber durch das frische Kraut eine bestechende Note. Die „Dorade Royal“ (13,90 Euro), gefüllt mit Zwiebeln und frischem Salbei und knusprig gebraten, wurde serviert mit etwas gebratenem Fenchel und Gemüsecouscous. Diese sonst eher etwas, nun ja, leicht pappig schmeckende Beilage aus Grieß verschiedener Getreidesorten, die unbedingt angewiesen ist auf schmackhafte Soßen oder Ragouts, hatte hier den zarten Geschmack des gar nicht so reichlichen Gemüses angenommen und konnte deshalb auch pur bestehen. Die Dorade, auch als Goldbrasse bekannt und aus dem Mittelmeer gefischt, erwies sich als leicht essbar, die große Mittelgräte war gut zu entfernen. Seinen Namen verdankt das Tier übrigens einem sichelförmigen Goldband auf der Stirn und je einem goldenen Fleck an den Augen. Wovon freilich auf dem Teller nicht mehr viel zu sehen ist, aber man geht ja schließlich nicht in den Zoo, sondern essen.

Die Desserts sind in Auswahl und Zubereitung ähnlich gelagert wie die restlichen Speisen. Frische Waffeln mit verschiedenen Belägen, Naturjoghurt mit frischem Obst, Eis. Die Wochenkarte bot eine Cappuccino Panna cotta mit Heidelbeeren an (3,20), die uns bestimmt gut geschmeckt hätte, uns aber leider überfordert hätte, rein mengenmäßig.

Gemütlicher Hinterhof

Wie schon erwähnt, gelingt der Küche der Spagat zwischen normal/ manchmal auch deftig – was hier wirklich nicht abwertend gemeint ist – und besonders/leicht. Alles ist drin: von preiswert bis leicht gehoben, von süß bis fischig, von Frühstück bis Abendessen.

Auch gibt es Getränke, frisch gepresster Orangensaft zum Beispiel oder 20 verschiedene Teesorten; und wer einen Kakao mag, bekommt ein Glas heiße Milch mit einem Stück weißer, brauner oder schwarzer Schokolade am Spieß. Die Weinauswahl ist etwas bescheidener, aber durchaus ausreichend für einen Abend unter Freundinnen.

Das Hinterhaus ist übrigens fast komplett wiederaufgebaut worden. Das einst viergeschossige Wohnhaus stand zwölf Jahre lang leer, bevor die „Haus und Hof“-Betreiber ihrem Traum vom eigenen Lokal etwas näher rückten. Das Haus stammt ursprünglich von 1800 und beherbergte vor über 100 Jahren eine Suppenküche. Sehr viel später dann war darin das erste HO-Selbstbedienungsgeschäft in Halle untergebracht.

So schön wie heute war es vermutlich nie. Eine Ziegelfassade dient als Untergrund für drei weitere Reliefs, die wiederum vermutlich aus der Kantine der alten Ziegelwerke stammen und von den kunstliebenden Besitzern des Lokals ebenfalls gesichert wurden. Im Hof stehen viele kleine Tische, Grünpflanzen erleichtern die Hinterhofatmosphäre. Das „Haus und Hof“ ist, nun aber mal kurz gesagt, eine weitere Bereicherung des immer bunter werdenden Reileck-Kreuzung in Halle, die sich beinahe schon zu einem zweiten Zentrum mit Kneipen und Läden entwickelt hat. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.