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Wenzelskirche Naumburg Wenzelskirche Naumburg: Schicksale erhalten Gesichter

Von Constanze Matthes 21.04.2016, 10:37
„Entfernung  von der Truppe“ heißt die Ausstellung   der Friedensbibliothek, die noch bis Mitte Mai in der Wenzelskirche das Thema Kriegsdienstverweigerung und Desertion im Dritten Reich thematisiert.
„Entfernung  von der Truppe“ heißt die Ausstellung   der Friedensbibliothek, die noch bis Mitte Mai in der Wenzelskirche das Thema Kriegsdienstverweigerung und Desertion im Dritten Reich thematisiert. Biel

Naumburg - 1964, erst als Serie in der Zeitung, später als Buch, erschien Heinrich Bölls Erzählung „Entfernung von der Truppe“. 19 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, acht Jahre bevor der deutsche Schriftsteller mit dem Literaturnobelpreis geehrt wurde. Der Titel des Prosastückes über Fahnenflucht im Dritten Reich, über Schuld und Unschuld ist zugleich Name einer Ausstellung der Berliner Friedensbibliothek, die aktuell in der Naumburger Stadtkirche St. Wenzel zu sehen ist. An den Schauwänden finden sich neben einem Zitat Bölls Kommentare weiterer großer Autoren wie Heinrich Mann, Elias Canetti und Hanns Henny Jahnn sowie Gedanken von Männern, die den Kriegsdienst verweigert haben. Ihre Entscheidung kam dabei einem Todesurteil gleich. Die große Mehrheit der Desertierten, denen nicht die Flucht gelang, wurde erschossen, erhängt oder enthauptet oder kam in Strafbataillonen ums Leben. 22000 Todesurteile hat es in den Jahren zwischen 1939 bis 1945 auf deutscher Seite gegeben. Im Ersten Weltkrieg waren es „nur“ 48.

Die Ausstellung, deren Bilder und Texte in zehnjähriger Arbeit aufwendig zusammengesucht wurden, erzählt von 50 Schicksalen; die wenigsten hatten das Glück, den Krieg zu überleben. Zu den bekannten Verweigerern zählt der österreichische Landwirt Franz Jägerstätter. 36-jährig wurde er im August 1943 wegen Wehrkraftzersetzung in Brandenburg an der Havel hingerichtet. Nur wenigen gelang die Flucht - während eines Todesmarsches von KZ zu KZ oder auf die Gegenseite und in die Kriegsgefangenschaft.

Neben den zahlreichen Schicksalen junger Männer zeigt die Ausstellung allerdings auch das unermessliche Leid des Krieges anhand historischer Aufnahmen: die Zerstörung ganzer Städte, die Ermordung von Zivilisten, die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. „Die Schau geht einem sehr nah. Die Bilder und Zitate sprechen für sich“, sagte Pfarrerin Christina Lang. Die Idee, die Ausstellung nach Naumburg zu holen, hatten Ines und Jens Müller, die in der Naumburger Schulstraße eine christliche Buchhandlung führen. Zu sehen ist die Exposition noch bis Mitte Mai.

Im Anschluss zieht mit einer neuen Ausstellung wieder Kunst in das Gotteshaus ein. Ab dem 29. Mai präsentiert der Künstler Walter Green aus dem mecklenburgischen Klein Rünz Holzskulpturen zum Anfassen.

Weitere Informationen unter: www.friedensbibliothek.de

Jochen Schmidt (rechts), Mitarbeiter in der Friedensbibliothek, im Gespräch.
Jochen Schmidt (rechts), Mitarbeiter in der Friedensbibliothek, im Gespräch.
Biel