Tultewitz und Schieben Tultewitz und Schieben : Der Blick reicht weit

Es sind schon knapp 30 Grad Celsius an diesem Vormittag, auf einer Wiese holt Volker Rieke das Heu rein. Mit ihm sind wir verabredet, schließlich ist er mit seinem Schafskäse produzierenden Riekehof im 60-Seelen-Dorf Tultewitz eine bekannte Adresse. Doch erst geht’s zu Wolfgang Bischoff, dem Kirchenältesten. Von seinem Grundstück kommt laute Musik aus dem Radio, dann öffnet sich die Hoftür. „Ja gehen wir gleich rüber zur Kirche.“ Rüber bedeutet genau gegenüber. Seit Kindesbeinen ist ihm das Gotteshaus ein ständiger Begleiter, kein Schritt, ohne nicht die Kirchturmspitze zu sehen. Bischoff, heute 64-jährig und Rentner, ist hier getauft und konfirmiert worden, nur mit der Heirat hatte es an dieser Stelle nicht geklappt. Nicht, weil man es nicht gewollt hätte, nein, die Kirche war baufällig. Die Landeskirche hatte sie sogar offiziell aufgegeben. Das war in den 1970er-Jahren. „In der Kirche und im Dorf war man sich aber einig, das Haus nicht preisgeben zu wollen. Es wurde Geld gesammelt, vor allem in Feierabendarbeit viel repariert, der Turm gesichert, Betonziegel gedeckt. Damit war der Verfall der Kirche gestoppt“, erinnert sich Wolfgang Bischoff.
Ehe die Kirche 2012 schließlich neu eingeweiht werden konnte, musste noch viel getan werden. Von 1999 bis dahin flossen stattliche 380000 Euro in deren Sanierung. Heute ist sie ein Schmuckstück und sieht aus wie aus dem Ei gepellt. „Ja, eine schöne Kirche, ich bin gerne hier“, sagt Bischoff und macht das Tor zu. Die Schlüsselgewalt liegt bei ihm - und bei Pfarrer Michael Greßler freilich.
Mit 15 Schafen angefangen
Volker Rieke werkelt inzwischen im Laden seines Hofes oberhalb der Durchgangsstraße nach Schieben. Dass da nicht nur Käserei dran steht, sondern auch Fromagerie, liegt daran, dass Rieke auch mal in Frankreich gelebt und gearbeitet hat. Und es klingt natürlich auch gut: Fromagerie. Er und seine Frau Berit jedenfalls verkaufen seit 2000 Käse aus Schafsmilch - pur oder mit Kräutern und Gewürzen, geräuchert, weich oder fest, frisch oder im Keller gereift. 38 Schafe halten sie, mit 15 hatten sie damals angefangen. Und Rieke ist zufrieden mit der Entwicklung des Hofes und der Akzeptanz seiner Produkte, verkauft sie ab Laden, zum Wochenmarkt in Jena und zu Festivitäten in der Region. Zu „Advent in den Weinbergen“ beispielsweise. „Nicht zur Weinmeile, da ist mir zu viel Trubel“, schränkt der 37-Jährige ein. Überhaupt übt sich Rieke lieber in Zurückhaltung, will kein Höher, Schneller, Weiter. „Ich bin gegen das endlose Wachsen eines Betriebes. Wichtig ist, an der Qualität zu arbeiten und diese auf hohem Niveau zu halten. Damit fahre ich ganz gut“, sagt er.
Seit fünf Jahren selbstständig
Seit einiger Zeit hat sich zu seiner Käseprodukten Honig hinzugesellt. Landwirt Rieke ist nämlich auch Imker, sieben Bienenvölker lässt er ausschwärmen. Nicht irgendwo, sondern rund ums Haus, wo Linden- und Obstbäume stehen, aber auch der Raps wächst. Rieke: „Man bekommt beim Imkern einen besonderen Blick für die Natur. Ich halte es zumindest mit dem Spruch ’Was die Biene nicht mag, kommt nicht in den Park’.“ Will heißen, wenn bei Riekes was Neues gepflanzt wird, dann nur, was die Biene anfliegt. Friedhofsgewächse sind da tabu.
Etwas größer als der Bienen-Ausschwärm-Radius ist der von Peter Schier. Aber auch nur rund 20 Kilometer. Das reicht dem Tultewitzer, der sich vor fünf Jahren eine eigene berufliche Existenz aufgebaut hat. Der gelernte Maurer erledigt als Einzelkämpfer Putz- und Fliesenarbeiten. Der Schritt in die Selbstständigkeit - für ihn goldrichtig. „Ich wollte meine eigenen Entscheidungen treffen und flexibel arbeiten. Das funktioniert gut, da habe ich nichts bereut“, schätzt der 36-Jährige ein, der sich mit seinem Solo-Betrieb, der ausschließlich Privatkundschaft hat, gut aufgestellt sieht, Gelüste, ihn zu vergrößern, verspürt er nicht. „So wie es ist, passt es, ganz abgesehen davon, dass es schwierig ist, gutes Fachpersonal zu bekommen“, macht Schier deutlich.
Um bei Unternehmern zu bleiben: Nebenan in Schieben arbeitet in den Tiefen des World Wide Web Uwe Kernchen. Und er hat eine Heimatseite kreiert, die Ihresgleichen sucht. „Schieben.net“ heißt sie schlicht und ergreifend. Sie liefert eine Fülle an Informationen, die man auf manch städtischem Internetauftritt vergebens sucht. Müllabfuhrtermine, ein Forum, Chronik und vor allem viele historische Fotos. „Das mache ich seit letztem Jahr. Idee war, dem Ort eine Plattform zu geben. Und dann wurde es ganz schnell ein Selbstläufer mit großer Resonanz. Die Leute haben mir viel Material zu Schieben geschickt, mancher hat sich von außerhalb gemeldet“, erzählt der IT-Techniker. Beispielsweise Eric Henschler aus Mertendorf, seines Zeichens ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger, der Bezug nimmt zu 2016 gemachten Funden im Unterdorf. Dort, wo einst eine Burg stand, wurden nämlich Scherben, gebrannte Tonklumpen und anderes mehr aus dem 11. bis 13. Jahrhundert entdeckt. „Es muss davon ausgegangen werden, dass ein Bauwerk auf dem Burghügel durch ein starkes Feuer zerstört wurde - da ein Hartbrennen lange und hohe Temperaturen voraussetzt“, schreibt Henschler, der noch betont, dass anhand digitaler Geländemodelle der Burgberg ausgemacht werden konnte. Das schönste Lob, dass er Uwe Kernchen machen konnte, klingt so: „Vielen Dank für Ihr Engagement mit der Homepage und dem gesetzten Anreiz, wieder meinen Schieben-Ordner auf der Festplatte zu öffnen.“ Kernchen will denn auch nicht nachlassen, alles Mögliche und Unmögliche über Schieben zusammenzutragen. Und vor allem: Tultewitz mit auf die Seite zu bringen, denn irgendwie sind ja beide Orte schon immer miteinander verbandelt.
Dach erstmal vom Tisch
Dass es so kommt, ist auch Robert Strohbach zu verdanken, Vorsitzender des Heimat- und Kulturvereins Tultewitz-Schieben. „Der Uwe macht das perfekt, warum nicht auch für Tultewitz?“ Der gemeinsame Internetauftritt dürfte also in den Startlöchern stehen. Strohbach, seit drei Jahren Vereinschef, fühlt sich pudelwohl in Tultewitz, hat sich mit seiner Frau auf dem Hof derer Eltern eingerichtet (wobei wir wieder bei Bischoffs wären). „Es lebt sich gut in diesem Dorf, alle gehen offen miteinander um“, sagt Strohbach, der den Heimatverein mehr den Schiebenern schmackhaft machen will. Die beiden Dörfer gehörten schließlich zusammen. Strohbach fände es auch gut, würde Schieben bald einen Platz haben, an dem alle zusammenkommen können. Eigentlich gibt es den auch im Mitteldorf, frisch gepflastert, doch lässt die geplante Überdachung auf sich warten. „Bis vor Kurzem war da alles klar, sogar Geld im Haushalt eingestellt“, sagt Strohbach. Woran es hängt, wurde jetzt im Ortschaftsrat Bad Kösen deutlich. Die Stadt ließ wissen, das Projekt sei wegen baurechtlicher Bedenken und solcher von Anwohnern von der Liste genommen. Zudem würde das Geld für wichtigere Investitionen gebraucht.