Theater Naumburg Theater Naumburg : Eine Prüfung des Gewissens

Naumburg - Nachdenkliche Stille erfüllt das Klassenzimmer im Haus Marienschule des Domgymnasiums Naumburg. Kein Beifall bricht aus. Dabei hätte Schauspielerin Pia Koch diesen mehr als verdient. Doch so ist das mit Klassenzimmerstücken: Der Schauspieler kommt, spielt und geht - ohne Verbeugung, ohne Applaus - und die Theaterpädagogin taucht auf, um das Gesehene inhaltlich mit den Schülern aufzubereiten. Der Stoff, den die jüngste mobile Produktion des Theaters Naumburg bietet, hat es in sich, geht es doch um die eigene politische Verantwortung, um Mut, Gewissen, Zivilcourage und den Umgang mit der Wahrheit.
Realität und Fiktion
In dem von Kristin Trosits inszenierten Ein-Personen-Stück „Name: Sophie Scholl“ spielt Pia Koch zwei Sophie Scholls. Abwechselnd ist sie das Mitglied der von Studenten 1942 gegründeten Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ und jene um einige Jahrzehnte jüngere, fiktive Sophie Scholl, die, weil ihre Mutter eines Tages einen Herren Scholl heiratet, sich einer Art Erbe - einem schweren Erbe - gegenübersieht. Nicht nur, dass sie stets nach einer möglichen Verwandtschaft mit der heldenhaften Widerstandskämpferin gefragt wird. Plötzlich werden ihre Entscheidungen an jenen der im Alter von 21 Jahren von den Nazis umgebrachten Sophie Scholl gemessen. Diese fiktive Sophie aus dem Hier und Heute studiert Jura, und gerät in einen Betrugsversuch an der Universität - als Zeugin.
Betrug an der Universität
Ein Uni-Professor reicht - aus eigenem Karriere- und Profitstreben - an einige auserwählte Studenten die Prüfungsunterlagen fürs Staatsexamen weiter. Nur mit einem Prädikatsabschluss lässt sich Karriere machen. Sophie gehört plötzlich zu den Auserwählten - nicht aus Sympathie oder wegen ihrer Leistungen. Das Motiv des Professors ist wenig edel: Es geht um Erpressung. Sophie soll zu seinen Gunsten vor Gericht die Wahrheit verschweigen. Sophie muss abwägen zwischen Karriere durch Verschweigen oder verbautem Lebensweg, dem eigenen und dem der betreffenden Kommilitonen, auch jener früherer Studiengänge, durch wahrheitsgetreues Aussagen - ebenso dem eigenen Gewissen verpflichtet, wie es einst ihre berühmte Namensvetterin gewesen ist, die Widerstandskämpferin Sophie Scholl.
In nur 45 Minuten erfahren die Naumburger Zehntklässler dank eines geschickt verwobenen Schauspiels und einer brillant spielenden Pia Koch nicht nur alles Wesentliche über die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, sondern lernen die mutige Studentin Sophie Scholl auch als junges Mädchen kennen, das einst der Hitlerjugend angehörte; als Jugendliche, die gern feierte, sich schwer verliebte, studieren wollte und die Unmenschlichkeit des Hitler-Regimes erkannte, bekämpfte und dafür sogar ihr junges Leben lassen musste.
Eigene Entscheidung gefragt
Je weiter das Schauspiel voranschreitet, umso stärker sieht sich der Zuschauer mit der Frage konfrontiert, wie weit er für seine Überzeugungen gehen würde? Oder anders formuliert: Würde er sein Leben oder doch zumindest seine ehrgeizige Lebensplanung für die Wahrheit aufs Spiel setzen? Diese Fragen beginnen allein dadurch im Kopf zu kreisen, weil das Ende von „Name: Sophie Scholl“ mit dem Schlusssatz „Ich sage aus“ offen bleibt. Dies lässt Raum, um das eigene Gewissen zu prüfen. Genau das macht Theaterpädagogin Dorothea Kuhs auf sensible Art und Weise direkt im Anschluss an die Aufführung mit den Zehntklässlern. Behutsam tastet sie sich mit den Schülern vor, bis diese vor der Frage stehen, ob sie ihr Leben oder doch zumindest ihre Lebensplanung für die Wahrheit opfern würden.
Ihr Gewissen abklopfen musste auch Pia Koch und das in doppelter Hinsicht. In der Rolle als Sophie mit dem offenen Ende musste sie für sich eine Position finden. Nur so konnte sie sich der Rolle der fiktiven Sophie annehmen. Heikler war die Gewissensprüfung für ihre Rolle als Eva Braun in dem wortgewaltigen und emotionsgeladenen Stück „Fräulein Braun“, mit dem sie im Nietzsche-Dokumentationszentrum eine erfolgreiche Premiere absolvierte. „Als Schauspielerin muss ich diese Eva Braun mögen, weil ich sie bin. Es gibt Momente, in denen sie mir leid tut, und Momente, in denen ich sie hasse“, so Pia Koch am Rande einer Probe. Die Hitler-Geliebte zu spielen, sei für sie nur „okay“, weil sie dazu eine feste Meinung hat. „Anderenfalls“, sagte sie, „hätte ich das nicht spielen können. Das hat auch etwas mit dem Anspruch an mich selbst zu tun.“