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Stromnetz  Stromnetz : Hochspannung in der Luft

Von Birger Zentner 20.07.2017, 07:16
Pilot Siegfried Lange steuert den Helikopter so nah wie möglich und langsam an die Masten und Leitungen.
Pilot Siegfried Lange steuert den Helikopter so nah wie möglich und langsam an die Masten und Leitungen. Peter Lisker

Naumburg/Weißenfels - Der Job klingt nach Abenteuer und Spaß: Sechs Stunden am Tag mit dem Hubschrauber landauf und landab zu fliegen. Doch für Michael Merk ist das harte Arbeit. Sechs Stunden lang hat er trotz zweier Tankstopps für die schönen Landschaften, die unter ihm mehr oder weniger schnell dahinrauschen, kaum ein Auge. Stählernen Masten und kilometerlangen Leitungssträngen gilt seine ganze Aufmerksamkeit.

„Die Hochspannungsleitungen in unserem Gebiet werden einmal jährlich aus der Luft kontrolliert“, sagt Michael Merk, der für die Flüge verantwortliche Projektleiter der Mitteldeutschen Netzgesellschaft Strom (Mitnetz), die ihren Sitz in der Gemeinde Kabelsketal im Saalekreis unmittelbar vor den Toren von Halle hat. An diesem heißen Sommertag im Juni steuert Pilot Siegfried Lange von DHD Heliservice Groß Kreutz bei Berlin den Hubschrauber entlang der Hochspannungsleitungen von Naumburg nach Weißenfels, ein Stück über die Stadt und dann wieder entlang der Trassen von Weißenfels in Richtung Reinsdorf. Fast 1 978 Kilometer Leitungen müssen abgeflogen werden. Bis zu sechs Wochen nimmt das in Anspruch.

Nicht auf Schnelligkeit kommt es an, sondern auf Genauigkeit. Entsprechend drosselt der Pilot die Geschwindigkeit des Helikopters auf Radfahrertempo zwischen 15 und 30 Kilometer pro Stunde. Aufmerksam blickt Merk auf die Stromleitungen und auf die Masten. Kontrolliert wird auf Beschädigungen, aber auch, ob Leitungen und Natur in Form zu hoch gewachsener Bäume kollidieren könnten. Insofern ist dieser glutheiße Sommertag, an dem die Tour stattfindet, durchaus im Sinne des Kontrolleurs. „Bei der Wärme dehnen sich die Leitungen aus, hängen dadurch tiefer zwischen den Masten, so dass ich genau sehen kann, wo demnächst der Bewuchs eingekürzt werden muss“, erzählt der Projektleiter.

Ist Gefahr im Verzug, dann muss gleich gehandelt werden. Zum Beispiel dann, wenn Äste bereits die Stromleitungen so gut wie berühren. Ansonsten werden die Feststellungen vermerkt, was mit Siegfried Hörig ein Kollege tut, der mit im Hubschrauber sitzt. „Dann wird das Fällen von Bäumen außerhalb der Vegetationszeit vorgenommen“, sagt Merk. Gebiete mit ohnehin kritischem Bewuchs werden meist auch erst im Herbst angeflogen. Dennoch registriert Merk erst einmal alles, was er sieht.

Manchmal setzt der Hubschrauber auch mal außerplanmäßig auf der Erde auf. „Dann vornehmlich, wenn wir Baustellen nahe Stromleitungen aus der Luft sehen“, erklärt Merk. Dann werden die Schachtscheine kontrolliert und ob alle Sicherheitsabstände zu Leitungen eingehalten werden. Jedes Jahr gebe es mehrfach Beispiele, wo die Baustellenbetreiber die Situation nicht so ernst nehmen oder sogar illegal, dass heißt ohne Genehmigungen, gebaut wird. Richtig gefährlich wird es, wenn Kräne eingesetzt sind. Nicht erst einmal haben Kranausleger Stromleitungen berührt. Und da fließen bei Hochspannungsleitungen 60 000 oder gar 110 000 Volt. Selbst im Mittelspannungsnetz können es noch bis zu 30 000 Volt sein. Schon Annäherungen an solche Leitungen können zu Stromüberschlägen führen, Verletzungen herbeiführen oder gar töten.

Nicht immer wird übrigens überall geflogen, auch wenn eine bestimmt Route auf dem Plan steht. „Wir müssen schon die Natur berücksichtigen und beobachten“, sagt Merk. Zwar schaue man genau hin, wenn Vogelnester in Masten entdeckt werden, ob davon eine Gefahr ausgehen könnte, aber man wolle andererseits die brütenden Vögel nicht beunruhigen und fliege dann einen Bogen. Besonders gelte das für die Horste geschützter Greifvögel, sagt der Experte.

Ähnliches gelte auch, wenn unter dem Hubschrauber weidende Pferde auftauchen, die nicht erschreckt werden sollen. Auch wenn Kühe nicht denselben Fluchtdrang wie Pferde haben, nimmt die Hubschrauberbesatzung auch auf die Wiederkäuer Rücksicht.

Grundsätzlich ist der Nestbau in den Stahlmasten kein Problem. „Nur wenn Teile vom Nestbau herabhängen und die Gefahr besteht, dass dadurch eine Verbindung zwischen den Leitungen oder mit der Erde entstehen könnte, greifen wir ein“, sagt Merk. Dabei finden sich auch immer wieder kuriose Dinge. „Wir hatten schon Plastikkörbe hoch oben auf den Stahlgittermasten. Die hatten Hobby-Naturschützer als Nisthilfen angebracht“, erzählt Merk. Spielzeugdrachen hängen des Öfteren in den Leitungen. Das sind dann Situationen, in denen ein Mitarbeiten nach dem Flug auf die Masten steigen muss, um die Fremdkörper zu beseitigen.

Ohnehin gibt es nicht nur Kontrollen aus dem Hubschrauber. Die Strommasten werden auch regelmäßig abgegangen. Dabei wird die Standfestigkeit der Fundamente ebenso begutachtet wie die Mast-Statik sowie die Qualität des Korrosionsschutzes. Im Verlaufe von fünf Jahren wird jeder einzelne Mast wenigstens einmal erklettert, um ihn ganz aus der Nähe zu begutachten.

Bei ihren Flügen entlang der Hochspannungsleitungen machen Pilot und Beobachter allerhand andere Entdeckungen. So habe man schon Waldbrände bemerkt und sie frühzeitig melden können. Auch von Weiden entlaufene Nutztiere habe man so wiedergefunden, sagt Merk. Denn er und seine Kollegen haben bei ihren langsamen Kontrollflügen eben immer den Blick nach unten gerichtet.

Manch atemberaubender Blick auf Städte, Dörfer, Seen und Wälder entgeht dem Kontrolleur dadurch allerdings. Aber so ganz wird man es wohl nicht ignorieren können. Blicke aus der Luft sind auch für denjenigen, für den Fliegen Alltag ist, immer etwas Besonderes, was die meisten Menschen so nicht zu sehen bekommen.

Der Blick aus dem Flugzeug in mehreren tausend Metern Höhe ist eben nicht mit dem aus einem Hubschrauber zu vergleichen, der in 15 Metern Entfernung neben oder über den Stromleitungen entlangsurrt.

Vogelnester können eine Gefahr für die Stromleitungen werden.
Vogelnester können eine Gefahr für die Stromleitungen werden.
Lisker
Michael Merk ist startklar.
Michael Merk ist startklar.
Lisker