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Proben für neues Stück am Theater Naumburg  Proben für neues Stück am Theater Naumburg : Ein stummer Schrei

Von Jana Kainz 04.11.2020, 09:53
In der Naumburger „Finnisch“-Inszenierung spielt Jörg Vogel - sollte für die Theater wirklich nach vier Wochen die Zwangspause beendet werden - jenen jungen Mann, der mit großer Angst vor der Außenwelt in der Isolation steckt, die wiederum das Ungeheuer in ihm zutage fördert.
In der Naumburger „Finnisch“-Inszenierung spielt Jörg Vogel - sollte für die Theater wirklich nach vier Wochen die Zwangspause beendet werden - jenen jungen Mann, der mit großer Angst vor der Außenwelt in der Isolation steckt, die wiederum das Ungeheuer in ihm zutage fördert. Torsten Biel

Naumburg - Nach gut 30-minütigem Probelauf einer Szene aus Martin Heckmanns Schasupiel „Finnisch“ prasseln im Salztorhaus vorm Theater Naumburg die Regieanweisungen auf Schauspieler Jörg Vogel ein: „Lass den Frust des kleinen Mannes nach draußen.“ „An dieser Stelle ist er noch nicht kindlich genug.“ „Finnisch und Gottessprache - das wird noch nicht deutlich, das habe ich noch nicht verstanden.“

Das Textbuch auf dem Notenständer aufgeschlagen lässt es Regisseurin Barbara Schöne, die auch lobende Worte findet, aber nicht an genauen Erläuterungen fehlen, was Jörg Vogel wie anders spielen solle.

Ja, auch wenn das Theater Naumburg wieder in der Zwangspause steckt und die „Finnisch“-Premiere im November ausfallen muss, geht dieses Mal aber die Arbeit auf der Probenbühne weiter. Das funktioniere auch nur mit einem Verdrängungsmechanismus, der jene Gedanken beiseite schiebe, was aktuell ist und was in den kommenden Monaten noch passieren könnte, und mit der großen Hoffnung, dass die kurzfristig auf den 10. Dezember verschobene Premiere auch gespielt werden darf. „Sonst könnte ich jetzt nicht hier auf der Bühne stehen“, erklärt Jörg Vogel in einem Pausengespräch während der gestrigen Probe.

Protagonist will hübsche Postbotin kennenlernen

Auf einer komplett weiß gehaltenen Kulisse spielt er einen jungen Mann, der zurückgezogen, beinahe schon abgekapselt von der Außenwelt in seinen vier Wänden lebt und von dort aus beobachtet, wie eine hübsche Postbotin im Altenheim ein Paket abgibt. Er will diese Frau unbedingt kennenlernen und schickt sich deshalb selbst ein Paket. Doch: Worüber soll er mit ihr sprechen, wenn sie ihm das Paket ausliefert? Kontakt mit der Außenwelt herzustellen - physisch wie psychisch - ist für ihn ein Riesenproblem. Er spielt alle erdenklichen Möglichkeiten durch, wie das Kennenlernen ablaufen könnte und schweift in erotische Fantasien ab, die das Ungeheuer in ihm entfesseln.

Stück über Verlust zwischenmenschlicher Kommunikation

„Finnisch“ sei, steht im Spielplan geschrieben, „bei allem Humor auch ein Stück über die Einsamkeit, den Verlust zwischenmenschlicher Kommunikation, über die Folgen von Isolation“. Als Theaterintendant Stefan Neugebauer es auf den Spielplan hob und Barbara Schöne bat, es zu inszenieren und auszustatten, existierte das Thema Corona nur in weiter Ferne. Kurz darauf breitete sich das Virus auch hierzulande aus und führte im Frühjahr zum Lockdown. Deutschland blieb zu Hause, die Theater blieben zu.

Ironie des Schicksals: „Der Lockdown spielte uns in die Karten, wir konnten das Finnisch-Thema krasser denken, ohne den Grundgedanken zu verändern. Es ist der Versuch eines stummen Schreis nach draußen, der uns Künstlern verboten wurde. Das Korrektiv, der Spiegel der Gesellschaft zu sein, das ist uns derzeit nicht gestattet, wird bewusst zu verhindern versucht“, sprudeln die Worte nur so aus der Künstlerin, in deren Inszenierung man vergebens nach dem Humor sucht, der Heckmanns’ Stück innewohnt.

Düstere Zukunftsvision

Sie versetzt die Handlung gar ins Jahr 2054. „Wegen eines Atomschlags oder einer anderen flächendeckenden Kontaminierung müssen Menschen nun in Kapseln leben - abgeschnitten von der Außenwelt, mit dem Nötigsten ausgerüstet, um ein Jahr überleben zu können. Das Draußen ist der große Angstfall“, erzählt sie. Nur ein Nachrichtenticker hält die vereinsamten Kapselbewohner, die bereits seit 274 Tagen ausharren, auf dem aktuellen Stand und „Silexa“ sorgt für deren Tagesrhythmus, erinnert den jungen Mann penetrant auch an seine Sportübungen. „Nur Musik zum Abspielen findet das Gerät nicht mehr“, spielt Barbara Schöne auf ihre Sorge um ein bevorstehendes Kunst- und Kultursterben im echten Leben an. Das Leben in „Finnisch“ nehme sich wie eine Dystopie aus. „Von dieser gibt es Dinge, die man jetzt schon spürt, und es fehlen nur noch ein, zwei Schritte bis dahin“, befürchtet sie.

Spannend sei auch für Vogel die Frage, was bleibt, wenn dem Menschen bis auf das Lebensnotwendigste alles genommen wird. In der täglichen Auseinandersetzung mit der „Finnisch“-Thematik fühle sich die aktuelle Situation für ihn „wie ein Experimentierraum im echten Leben“ an. „Die ersten Proben“, erzählt die Regisseurin, „waren wie Therapiesitzungen, in denen wir den Lockdown versucht haben, zu verarbeiten.“

Führte auch schon für „Fräulein Braun“ in Naumburg Regie: Barbara Schöne.
Führte auch schon für „Fräulein Braun“ in Naumburg Regie: Barbara Schöne.
Biel