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Naumburg  Naumburg : Gemüse zu "Spaniens Himmel"

Von Klaus-Dieter Kramer 02.05.2018, 12:42
Naumburg in alten Bildern: Am Hauptbahnhof stehen die Droschken
Naumburg in alten Bildern: Am Hauptbahnhof stehen die Droschken Privat

Es ist sicher ungewöhnlich, anhand alter Fotos, durch Zeitzeugen übermittelter Erklärungen und eigener Erinnerungen und Fantasien einen Streifzug durch das alte Naumburg zu schildern. Viel zu viel, fast alles hat sich verändert. Oder es fehlen manche Ansichten und Dokumente heute völlig. Zudem kommt, dass etliche Fotografien oder deren Kopien, die vom alten Naumburg noch zu finden sind, inzwischen unscharf und vergilbt sind, überdies betagte Einwohner kaum mit ihren Schilderungen helfen können.

Trotzdem, beginnen wir mit dem „fantastischen“ Streifzug am Naumburger Hauptbahnhof. Eine geschäftliche Werbebotschaft, durch drei Fotos illustriert und 1926 in einem Buch über den hiesigen Städtebau erschienen, verspricht das: „Hauptbahnhofswirtschaft Naumburg a. S. - Inhaber Richard Abel; Empfangsgebäude mit einem Wartesaal 1. und 2. Klasse sowie einem Wartesaal 3. und 4. Klasse. Direkte Verbindungen nach: Berlin, Leipzig, Halle, Erfurt, Artern, Frankfurt, Köln, Mönchen-Gladbach, Würzburg, München, Basel, Mailand, Genua, Zürich, Interlaken.“ Auf den Fotos glänzen beide Wartesäle mit Tischdecken, Servietten und Grünpflanzen auf den Tischen, zeigen ein Empfangsgebäude und einen blitzsauberen Bahnhofsvorplatz mit Droschken direkt neben der Eingangstreppe. Natürlich auch die Gleise der Naumburger Straßenbahn.

Letztere ist wohl gerade abgefahren, die Bahnhof- und Bergstraße hinauf zum Jägerplatz und weiter zum Post- und Lindenring. Und auf Höhe des Steinwegs knicken die Gleise nach links hin zur schmalen Pforte der Herrenstraße ab. Ja, durch diese Schneise, anfangs keine sieben Meter breit, später wird es sogar noch enger, ist einst die „Ille“ gefahren: an beiden Seiten jeweils ein schmaler Fußweg mit hohen Bordsteinen, der Fahrweg selbst nur etwa vier Meter breit, der dazu auch noch die Meterspur der Straßenbahn mit aufnehmen musste.

Auf dem Naumburger Marktplatz angekommen, konnte sich der Fahrgast an jedem der drei wöchentlichen normalen Markttage ins muntere Treiben stürzen. Ausschließlich mit Obst, Gemüse, Eiern und anderen Produkten von Feld und Garten wurde gehandelt, manchmal auch mit Kaninchen, Tauben oder Hühnern. Auf keinen Fall mit Klamotten oder sonstigen Textilien. Bei Jahrmärkten war das anders. Wer ein Auge für Oldtimer hat, der wird auf dem Foto - etwa um die 1960er entstanden - Omnibus, Lastkraftwagen, Motorräder mit Seitenwagen und Fahrräder erkennen, die heute in diese Kategorie passen. Häuserfassaden, Ladenlokale und Geschäfte im Hintergrund zeigen noch ihr ursprüngliches Aussehen. Im Vordergrund links steht ein Lautsprecher. Hatte sich der Techniker im Rathaus bei einem Hebel vergriffen, dann konnte aus ihnen anstatt von Durchsagen durchaus mal „Brüder, zur Sonne und Freiheit“, „Spaniens Himmel“ oder „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ über den Marktplatz erschallen.

Und dann ein Schnappschuss, der Mitte der 1960er-Jahre im Schuhhof am Hinterausgang des Ratskellers entstand. Junge Männer - Naumburger Beat-Musiker um die Schubutz-Brüder der damals beliebten Band „Helios“ - hatten eine Warszawa- Limousine für sich entdeckt, um hier ein Foto für ihre begehrten Autogrammkarten schießen zu lassen. Es dauerte nicht mehr allzu lange, dann löste sich die Band wegen diverser Einberufungsbefehle zur „Fahne“ selbst auf. Vielleicht rechtzeitig genug, um einem Verbot aus dem Wege zu gehen. Die „Helios“ hatten zu viele Titel der Beatles, Rolling Stones, Swinging Bluejeans oder von Chuck Berry im Repertoire und für die „Aufpasser“ und „Kontrolleure“ vor allem viel zu viel Zuspruch unter den Jugendlichen in der Region.

Der Markt war alljährlich zum Kirschfest auch der Schauplatz für den Festumzug. Die Darsteller des Hussiten-Heerführers Prokop wechselten des Öfteren. Dem auf dem Bild, etwa um 1970 aufgenommen, hatte man ein besonders martialisches Antlitz verpasst. Im Kostüm steckte der Grochlitzer Heinz Töpfer aus der Amsdorfstraße, ein Landwirt, Pferdenarr und -kenner durch und durch. Der erfolgreiche Gespannfahrer verstarb leider viel zu früh. Natürlich erreichte die Straßenbahn auf ihrer weiteren Tour die Vogelwiese.

Selbstredend ist auch dieser Ort untrennbar mit dem Kirschfest verknüpft. Nach der Unterbrechung, die der Erste Weltkrieg mit sich gebracht hatte, ging es 1924 wieder los. Ein Festplatz mit Zelten und Lauben, alles viel kleiner und individueller gestaltet als heute, dazu die Stände fürs Armbrust- und Vogelschießen, sind zu erkennen. Und natürlich links ein besonderes Karussell für jene Zeiten, ein doppelstöckiges Fahrgeschäft. Die Naumburger Schausteller-Familie Thieme betrieb es. Noch bis in die 1960er-Jahre hinein waren Günther Thieme, sein Bruder Horst und weitere Familienmitglieder mit ihren Karussells, mit Los-, Eis- und Schießbude oder Zuckerwatte-Stand auf den Jahrmärkten und Volksfesten unterwegs. Als sich nach 1989 einige alte Naumburger zusammensetzten, um dem ursprünglichen Kirschfest wieder auf die Beine zu verhelfen, war Günther Thieme sofort dabei. Sein Bruder Horst Thieme betrieb übrigens vor der Wende im Berliner Vergnügungspark Plänterwald noch lange eine Geisterbahn.

Noch einmal ein Stück zurück zur Poststraße. Hier zog die Straßenbahn besonders die Blicke auf sich, weil sie in einem majestätischen 180-Grad-Bogen ihre Richtung vollkommen veränderte. Für die Kinder, die hier die Marienschule besuchten, ein alltäglicher Anblick. Vielleicht auch für die 1905 oder 1906 geborenen Mädchen, dann 1912 eingeschulten, die ein Fotograf mit den Eltern und Großeltern vor dem Schulgebäude im Bild festhielt.

Auf dem Markt wird nur Obst und Gemüse verkauft.
Auf dem Markt wird nur Obst und Gemüse verkauft.
Privat
In der Herrenstraße geht’s für die Straßenbahn verdammt eng zu.
In der Herrenstraße geht’s für die Straßenbahn verdammt eng zu.
Privat
Die Band „Helios“ lässt Fotos vor und auf einem „Warszawa“ machen.
Die Band „Helios“ lässt Fotos vor und auf einem „Warszawa“ machen.
Privat