Neuer Sitz, neue Struktur Jobcenter im Burgenlandkreis stellt seine Arbeit neu auf - das ändert sich

Zeitz - Das Jobcenter Burgenlandkreis hat seit dem 1. Januar dieses Jahres neue betriebliche Strukturen. Klaus-Dieter Kunick sprach darüber mit dem Betriebsleiter Herwig Fischer.
Warum machten sich Veränderungen im Betriebsablauf notwendig?
Fischer: Zwölf Jahre nach Einführung der Hartz-IV-Reform haben sich die Arbeitsmarktbedingungen und die Kundenstruktur verändert.
Können Sie das erläutern?
Fischer: Einerseits gibt es aufgrund der guten Konjunktur auf dem Arbeitsmarkt viele freie Arbeitsplätze, die wir mit unseren rund 15.000 erwerbsfähigen Leistungsbeziehern im Burgenlandkreis nicht besetzen können.
Andererseits haben wir es mittlerweile mit mehr als zwei Dritteln Langzeitleistungsbeziehern zu tun, mit Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss, mit Menschen ohne gefestigte Tagesstrukturen, Menschen mit fehlender Motivation und gesundheitlichen Einschränkungen. Deshalb sind hier andere Herangehensweisen gefragt.
Wie sieht das konkret aus?
Fischer: Wir haben uns von der „starren“ Aufteilung „unter 25 Jahre“ und „über 25 Jahre“ gelöst und widmen uns künftig speziellen Zielgruppen ohne Altersbeschränkungen.
Wir haben uns als eine wichtige Zielgruppe die Personen ohne Schul- und Berufsabschluss herausgesucht. Ungefähr 50 Prozent aller bis 35 Jahre alten erwerbsfähigen Leistungsbezieher im Burgenlandkreis haben keinen Schul- oder Berufsabschluss und jährlich kommen neue hinzu.
Das heißt, ein spezielles Team beschäftigt sich künftig nur mit der Erlangung von Schul- oder Berufsabschlüssen. Die Erlangung von Abschlüssen dienen nicht dem Selbstzweck, sondern sollen langfristig in sozialversicherungspflichtige Arbeit führen.
2018 beginnen mit umfangreichen archäologischen Grabungen hinter dem ehemaligen Sparkassengebäude die Bauarbeiten am neuen Jobcenter gegenüber der Weißenfelser Saalebrücke.
Ende vergangenen Jahres hatte der Landkreis das Gelände gekauft. Die Umbaukosten für das 1934 errichtete und seit 1996 leerstehende Gebäude werden auf rund zwölf Millionen Euro geschätzt. Darunter sind 4,5 Millionen Euro Städtebau-Fördermittel vom Land.
Die Leistungen werden europaweit ausgeschrieben. Neben dem Ausbau des alten Gebäudes werden in den beiden Baulücken in unmittelbarer Nachbarschaft zwei Neubauten entstehen.
Nach Fertigstellung des neuen Standortes wird das Jobcenter, das derzeit in Weißenfels im Weg nach der Marienmühle am Rande der Stadt zu finden ist, mit 158 Mitarbeitern laut derzeitiger Planung im Frühjahr 2020 umziehen, informierte Betriebsleiter Herwig Fischer. (kdk)
Wie gehen Sie hier vor?
Fischer: Arbeitslose, Absolventen aus Qualifikationsmaßnahmen oder auch junge Mütter nach der Elternzeit werden entsprechend ihrer Stärken zusammen mit unserem Arbeitgeberservice an interessierte Arbeitgeber vermittelt.
Gibt es noch weitere Änderungen?
Fischer: Im Zentrum all unserer Bemühungen soll künftig die Familie, sprich im SGB II-Deutsch, die Bedarfsgemeinschaft, stehen. Unsere Integrationsfachkräfte betreuen seit dem 1. Januar „ganze“ Bedarfsgemeinschaften. Die Integrationsstrategie richtet sich demzufolge nicht nur an einzelne Person, sondern an die ganze Familie.
Das ist neu, welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Fischer: Etwa 80 Prozent unserer rund insgesamt 15.000 erwerbsfähigen Leistungsbezieher haben eine neue Integrationsfachkraft als Ansprechpartner im Jobcenter bekommen.
Eines unserer Ziele ist dabei, vor allem Familien aus dem Leistungsbezug heraus zu bekommen. Wir glauben, dass wir somit Probleme, die nicht mit der unmittelbaren Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt zu tun haben, aufdecken und letzten Endes lösen können.
Wie ist die Bereitschaft bei jungen Leuten ausgeprägt, aus dem Leistungsbezug herauszukommen?
Fischer: Unterschiedlich, das muss man klar sagen. Es gibt die schulischen Defizite, die eine Ausbildung erschweren oder unmöglich machen. Ein anderer Teil der jungen Leute hat sich einfach eingerichtet, es sich sozusagen bequem gemacht.
Eigeninitiative kann durch fehlende Motivation nicht aufgebracht werden. Das ist unser Ansatz, die Jugendlichen zu motivieren, denen zu zeigen, dass es noch etwas anderes gibt als in den Tag hineinzuleben.
Das Jobcenter-Chef Herwig Fischer zur Kritik an seinen Mitarbeitern.
Vielleicht macht sich Frust breit, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt?
Fischer: Solche Antworten haben wir nicht nur von der nachrückenden Generation tatsächlich schon gehört. Das Thema „Lohnt sich Arbeit überhaupt noch?“ ist im Osten und speziell in Sachen-Anhalt hausgemacht, wenn man bedenkt, dass die Arbeitskräfte im Dienstleistungsgewerbe, im Handwerk oder auch in der Logistik um die Mindestlohngrenze herum bezahlt werden.
Umso mehr ziehe ich den Hut vor denen, die schon über Jahre arbeiten gehen und trotzdem aufstockende Leistungen beziehen müssen. Wir haben gegenwärtig im Burgenlandkreis 4.500 sogenannte Aufstocker.
Im vergangenen Jahr gab es auf dem ersten Arbeitsmarkt durchschnittlich 1.300 Stellen, die nicht vollständig besetzten werden konnten. Wie ist das zu erklären?
Fischer: Das ist der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, aber es ist so. Beispielsweise konnten wir nicht mal die 500 freien Stellen in Handel, Gastronomie oder Logistik mit unseren Leistungsbeziehern besetzen. Zu nennen sind verschiedene Ursachen, unter anderem die Arbeitszeiten und die sich anschließenden Kinderbetreuungszeiten in den frühen oder späten Abendstunden sowie der geringe Verdienst.
Nach wie vor ein großes Problem ist die geringe Mobilität: Kein unterstützender Nahverkehr oder der fehlende Führerschein oder kein Geld für ein Fahrzeug.
Welche Kosten laufen eigentlich im Jobcenter jährlich auf? Immerhin geht es hier um Steuermittel.
Fischer: Das sind jährlich um die 15 Millionen Euro, die aufgewendet werden, um Kunden in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es handelt sich zum Beispiel um Kosten für die Aus- und Weiterbildung, für die Erlangung von Mobilität, für ein Praktikum, es geht um Kosten für Arbeitgeberzuschüsse sowie für Arbeiten auf dem zweiten Arbeitsmarkt der Kunden.
Etliche Kunden des Jobcenters berichten immer wieder, dass sie schlecht behandelt werden. Hat jeder Ihrer 370 Mitarbeiter begriffen, dass vor ihnen Kunden sitzen?
Fischer: Ich denke schon, dass wir wissen, was wir zu tun haben und das wir das auch richtig tun. Kritik gibt es zumeist, wenn es um das Geld geht, wenn das Anspruchsdenken von dem, was das SGB II zulässt, abweicht. Da ist es oftmals egal, in welchem Wortlaut eine Antwort getätigt wird. Denn eine schlechte Antwort bleibt eine schlechte Antwort, es ist egal, wie diese vermittelt wird.
Es ist allerdings auch so, dass von den ungefähr 15.000 erwerbsfähigen Leistungsbeziehern, die wir betreuen, viele zufrieden sind mit dem, was wir leisten.
Wenn sich hingegen Leute an die Medien wenden, weil sie sich ungerechtfertigt behandelt fühlen, wirbelt das immer gleich mächtig viel Staub auf und vermittelt ein Bild vom Jobcenter, das es so gar nicht gibt. Aber ich will auch nicht verschweigen, dass ein Teil der Kunden, zugegeben ein geringer, sich gegenüber unseren Mitarbeitern nicht anständig verhält, um es vorsichtig zu sagen.
Ich will nicht ausschließen, dass auch mal einer unserer Mitarbeiter einen schlechten Tag haben kann. Fakt ist, es ist uns nicht egal, wie Kunden über unsere Arbeit reden. Wir arbeiten daran, die Qualität weiter zu verbessern. Ich sage aber auch, der Ton macht die Musik, von beiden Seiten. (mz)