Gedenken in Naumburg Gedenken in Naumburg: Opfer der Willkür Stalins
Naumburg - Mittendrin im Vorgarten, zwischen dem Grün des Sommers stehen Stühle und ein Klavier. Manch einer macht mit dem Handy ein Foto. Am Haus 7 in der Kösener Straße in Naumburg rollt der Nachmittagsverkehr vorbei. Es herrscht eine feierliche Stimmung, in die sich indes eine gewisse Melancholie mischt. Kränze, ein Grablicht und historische Aufnahmen in Schwarz-Weiß sowie eine Tafel stehen auf einem hellen Tuch.
Mit ihr erinnert die internationale Stiftung „Die letzte Adresse“ an Helmut Sonnenschein. Das Projekt war 2013 von Mitarbeitern des russischen Netzwerks „Memorial“ sowie von Historikern und Journalisten in Moskau ins Leben gerufen worden. Seitdem künden bereits rund 1.000 Tafeln in mehreren Ländern von Opfern des sowjetischen Regimes. Nach einer ersten Tafel im thüringischen Treffurt, fand in Naumburg nun das zweite Gedenken in Deutschland statt.
In Moskau zum Tode verurteilt und hingerichtet
Der Mathematiker und Physiker Helmut Sonnenschein war am 16. November 1950 verhaftet, am 26. April 1951 durch ein Militärtribunal zum Tode verurteilt und am 4. Juli desselben Jahres hingerichtet worden. „Der Name der Aktion verweist auf den Ort, wo der Mensch zuletzt gelebt hat“, erklärt Mario Bandi, Mitglied der Initiativgruppe. Das Projekt sei in Anlehnung an die bekannte Initiative „Stolpersteine“ entstanden. Neben dem Schmerz der Angehörigen sei der Verlust mit einem Tabu verbunden. „Sie durften darüber Jahrzehnte nicht öffentlich reden“, so Bandi.
Erst 1994 rehabilitiert
Über das Schicksal ihres Mannes, Sohnes und Vaters blieb die Familie lange Zeit im Unklaren. „Meine Schwiegermutter hat viel recherchiert, um etwas herauszubekommen“, erzählt Elke Sonnenschein, Schwiegertochter des Opfers und Frau von dessen Sohn Henk. Hildegard Sonnenschein reiste in die Sowjetunion, schrieb an Michail Gorbatschow, den damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und späteren Staatspräsidenten. Zudem hoffte sie auf Hilfe des Deutschen Roten Kreuzes. Erst nach der Wende erfuhr die Familie, was zu Beginn der 1950er-Jahre wirklich geschehen war. 1994 wurde Helmut Sonnenschein offiziell rehabilitiert. Wenige Jahre vor dem Tod seiner Frau, die den gemeinsamen Sohn nach ihm benannt hat.
Angehörige geben Hinweis
Helmut Sonnenschein hat im Gegensatz zu seinem älteren Bruder seinen Vater nie gekannt. Seine Mutter war mit ihm schwanger, als am 16. November 1950 ein Mann an die Tür klopfte und sich als Mitarbeiter des Wohnungsamtes ausgab. Mit teils tränenerstickter Stimme erzählt er von den letzten Monaten, Wochen und Tagen seines Vaters. „Wir sind der Initiative ’Die letzte Adresse’ sehr dankbar“, sagt der Chemiker aus Berlin, der die Projekt-Gruppe auf das Schicksal seines Vaters aufmerksam gemacht hat. „Wir erhalten oft von Angehörigen Dokumente, die wir an die Stiftung schicken. In Moskau finden Recherchen statt. Dort wird entschieden, wo eine Tafel hängen wird“, erklärt Anke Giesen, Vorstandsmitglied von Memorial Deutschland und Memorial International. Die nächste Aktion soll es im brandenburgischen Dahme zur Erinnerung an den Lehrer Ludwig Kracke geben.
Das Gedenken in Naumburg sah Birgit Neumann-Becker nicht so sehr als Form der Erinnerung, sondern vielmehr der Information. „Man kann nur erinnern, wenn man zuvor davon wusste“, betont die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die auch die Bedeutung von Bildung, Rechtsstaatlichkeit und der Informations- und Pressefreiheit hervorhebt.
Die Tafel in Naumburg nennt Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, ein Zeichen der Hoffnung, „dass nicht der Terror siegt, sondern die Menschlichkeit“. Er würdigt das Engagement der Aktiven und blickt voraus auf das künftige Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft. In Sachen Aufarbeitung gebe es noch viel zu tun, hebt indes Naumburgs Oberbürgermeister Bernward Küper hervor: „Es ist wichtig für die Angehörigen, Klarheit zu bekommen.“
Am 28. Mai 1906 geboren, studierte Helmut Sonnenschein Mathematik, Physik und Astronomie in Leipzig. Zu seinen Mentoren zählte Werner Heisenberg. Wegen Freundschaften zu jüdischen Professoren wie Friedrich Wilhelm Levi wurde er vom NS-Studentenbund angegriffen. Um diesen Anfeindungen zu entgehen, arbeitete Sonnenschein für die Wehrmacht. Von 1942 bis 1943 forschte er für das Heereswaffenamt, später leitete er eine Ballistik-Einheit in Peenemünde. Er geriet in amerikanische Gefangenschaft. Nach der Entlassung war er Arbeitsleiter im wissenschaftlich-technischen Büro „Geräte“ in Berlin-Karlshorst sowie anschließend in Leuna und Wolfen tätig.