Fall Adrian Ursache Fall Adrian Ursache: "Massive Konfrontationen mit staatlichen Organen"

Reuden - Der Landesverband der Gerichtsvollzieher Sachsen-Anhalt beantwortet Fragen im Zusammenhang mit der Zwangsräumung des Grundstücks von Adrian Ursache in Reuden. Bei der Räumung war es zu einem Schusswechsel mit der Polizei gekommen, Ursache wurde schwer verletzt.
Wie bewerten Sie als Verband die Bedrohungssituation generell und im konkreten Fall, was sagen Sie dazu?
In den letzten Jahren kann man in gewissen Kreisen schon einen Trend beobachten, nach dem die Bereitschaft, gegen staatliche Maßnahmen mit Gewalt vorzugehen, steigt. Betroffen sind nicht nur Gerichtsvollzieher, sondern auch andere Angehörige von Gerichten und Behörden sowie Finanz- und Polizeibeamte. Dabei bleiben die Bedrohung und die Gewalt oft nicht nur auf das Amt und die Tätigkeit beschränkt, sondern richten sich auch, wie insbesondere auch im dem aktuellen Fall, gegen das private Umfeld der Bediensteten.
Die Durchsetzbarkeit berechtigter Ansprüche ist ein wesentliches Merkmal eines Rechtsstaates. Dazu gehört nicht nur die objektive Rechtsfindung, sondern letztlich auch die Vollziehung bzw. die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen.
Vor diesem Hintergrund wurde im konkreten Fall die Zwangsräumung auf Grund eines gerichtlichen Räumungstitels aus einem Zwangsversteigerungsverfahren durchgeführt. Der Gerichtsvollzieher hat im Rahmen der Vollstreckung nur die förmliche, nicht aber die inhaltliche Prüfungspflicht, denn die obliegt dem Gericht. Er handelt rein als Vollzugsorgan. Dem Schuldner bleibt bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung der Rechtsweg vorbehalten oder, falls schon ein Vollstreckungsauftrag aus der Entscheidung erteilt wurde, ein Antrag auf Räumungsschutz beim zuständigen Gericht.
Findet der Gerichtsvollzieher bei einer Vollstreckungshandlung Widerstand vor, dies kann auch passiver Widerstand sein, kann er selbst Gewalt anwenden oder zu diesem Zweck und zu seinem Schutz die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane anfordern.
Im konkreten Fall hatte der Schuldner im Vorfeld schon mehrfach massive Konfrontationen mit staatlichen Organen, hier insbesondere mit dem Gericht und der Polizei. Auf einschlägigen Foren warb er um Unterstützung zur Verhinderung der Zwangsräumung. An den Tagen der Räumung war offensichtlich auch eine gewisse Anzahl von Sympathisanten auf dem zu räumenden Grundstück anzutreffen. Unter diesen Gesichtspunkten war die Entscheidung des Kollegen, die Polizei zur Vollstreckungsmaßnahme hinzuziehen, richtig.
Der Umfang der Amtshilfe und der Personaleinsatz liegt dabei im Ermessen der Polizei unter Berücksichtigung der konkreten Bedrohungslage.
Für wie gefährlich halten Sie den Beruf des Gerichtsvollziehers?
Die Tätigkeit ist verständlicherweise konfliktanfälliger als andere Berufe. Als Gerichtsvollzieher steht man im ständig im Spannungsfeld zwischen den Parteien, Gläubiger und Schuldner. Wir treten erst dann in Erscheinung, wenn ein, z.B. in einem Urteil, gerichtlich festgestellter Anspruch nicht freiwillig erfüllt wird. Dabei werden wir im Auftrag des jeweiligen Gläubigers tätig und sind oft die Ersten, welche dem Schuldner höchstpersönlich gegenüberstehen. Da wird von diesem dann schon mal Dampf abgelassen und Emotionen kochen hoch. Der Beruf ist in den letzten Jahren anspruchsvoller geworden. Allerdings sind Gerichtsvollzieher dazu ausgebildet und darin geübt, deeskalierend zu wirken.
Wie häufig gibt es verbale oder körperliche Attacken gegen Gerichtsvollzieher, wie sehen sie aus, wie äußern sie sich?
Darüber gibt es in Sachsen-Anhalt bisher keine statistische Erhebung. Verbale Attacken kommen schon häufiger vor und in den letzten Jahren erreichen uns aus dem Kreis unserer Mitglieder vermehrt Berichte über Bedrohungen und Beleidigungen, sei es persönlich oder über die sozialen Netzwerke, so dass hier ein signifikanter Anstieg erkennbar ist. Es sind auch schon Kollegen in Ausübung Ihres Dienstes von Schuldnern oder deren Angehörigen körperlich angegriffen und verletzt worden.
Es gab nun den Fall in Reuden, bei dem vor und nach der Zwangsräumung auf den einschlägigen Seiten und Foren im Internet zum Teil massive Drohungen und Aufrufe zu Gewalt gegen den an der Zwangsräumung beteiligten Gerichtsvollzieher und die Polizei zu lesen waren. In dem Ausmaß ist dies in Sachsen-Anhalt noch nicht vorgekommen und somit eine neue Qualität der Bedrohung vor der unser Staat aber nicht zurückweichen darf.
Glauben Sie, dass Gerichtsvollzieher bei ihrer Arbeit vom Staat ausreichend geschützt werden? Wo sind eventuell Mängel?
Gerichtsvollzieher sind Beamte des Landes. Dieses hat eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bediensteten. Weiterbildungen zu fachlichen und psychologischen Themen, zum Beispiel Deeskalationstraining, Konfliktbewältigung und Selbstverteidigung, werden uns aus diesem Grund vom Arbeitgeber regelmäßig angeboten und von den Kollegen auch gern angenommen.
Das konsequente Ahnden von Straftaten oder von Aufrufen zu Straftaten gegen öffentlich Bedienstete, die in Ausübung Ihres Dienstes handeln, wird, nicht nur von unserem Verband, gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten erwartet und gefordert. Dabei legen wir auch großen Wert auf eine angemessene Unterstützung durch den Dienstherrn.
Gerade in solch schwerwiegenden Fällen wie dem in Reuden sollte auch eine psychologische Betreuung der betroffenen Beamten, wie bei Polizeibeamten, obligatorisch sein.
Wie können, wie sollten sich Gerichtsvollzieher selbst schützen?
Ein hundertprozentiger Schutz kann wohl nicht gewährleistet werden. Im Regelfall begibt sich der Gerichtsvollzieher allein zum Schuldner. Dabei helfen können beispielsweise eine gute Aus- und Fortbildung, eine optimale Vorbereitung der Termine und erhöhte Aufmerksamkeit. In einigen Bundesländern wird den Gerichtsvollziehern Schutzkleidung, zum Beispiel Schutzwesten, zur Verfügung gestellt.
Sind im Vorfeld einer Vollstreckungsmaßnahme Probleme erkennbar oder kommt es während einer Vollstreckungshandlung zu einer Situation, die eine polizeiliche Unterstützung oder den persönlichen Schutz notwendig erachten lassen, sind die Gerichtsvollzieher gehalten, die Polizei im Wege der Amtshilfe anzufordern und erst danach die Vollstreckung fortzusetzen. Es sind aber auch Gefährdungsabfragen oder Auskünfte zu Waffenbesitz von Schuldnern vor Beginn der Vollstreckung möglich. (mz)
